CarlWursterZyklonB

Zyklon B-Produzent Carl Wurster / Giftgas Zyklon B für die Konzentrationslager © gdch/auschwitz.org

Der «Ehrensenator» und das Giftgas Zyklon B

Red. /  Das Karlsruher Institut für Technologie würdigt einen damaligen Anhänger des Nazi-Regimes als «Ehrensenator». Wie lange noch?

Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) führt das einstige Vorstandsmitglied des IG Farben-Konzerns Carl Wurster (1900 – 1974) als «Ehrensenator» auf. Wurster wurde vom NS-Regime vielfach ausgezeichnet und gehörte während des Zweiten Weltkriegs dem Leitungsgremium des IG Farben-Konzerns an. In dieser Funktion war er sowohl für die chemische Kriegsproduktion des Deutschen Reiches als auch für die Ausplünderung besetzter Länder und die Ausbeutung von Zwangsarbeitern verantwortlich. Die IG Farben war massgeblich an der Aufrüstungspolitik des NS-Regimes beteiligt und kontrollierte die gesamte chemische Kriegsproduktion des «Dritten Reichs».

Zudem zählte Wurster zu den Aufsichtsratsmitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung (Degesch), die das Giftgas «Zyklon B» produzierte, mit dem in den deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern Millionen von Menschen, insbesondere Juden, ermordet wurden.

NSDAP-Mitglied ab 1937

Der IG Farben-Konzern eignete sich während des Zweiten Weltkriegs zahlreiche Unternehmen in den von Deutschland besetzten Ländern an und beutete Tausende von Zwangsarbeitern aus; in Auschwitz unterhielt die IG ein eigenes KZ (Buna/Monowitz). Wurster, der sich nach dem Ersten Weltkrieg einem antikommunistischen «Freikorps» angeschlossen hatte, machte in den 1920er und 1930er Jahren eine steile Karriere bei der IG, die ihn 1938 bis an die Spitze des Konzerns brachte. Ein Jahr zuvor war er der NSDAP beigetreten.

Besonders eng arbeitete Wurster mit seinem IG-Vorstandskollegen Carl Krauch zusammen. Krauch, der ebenfalls 1937 der NSDAP beigetreten war, wurde 1938 von Hermann Göring zum «Generalbevollmächtigten für Sonderfragen der chemischen Erzeugung beim Beauftragten des Führers für den Vierjahresplan» ernannt und avancierte ein Jahr später zum Leiter des «Reichsamts für Wirtschaftsausbau».

Wie der renommierte Historiker Dietrich Eichholtz urteilt, handelte es sich bei der Behörde de facto um das «Kriegsamt» des IG-Konzerns, das die ihm zur Verfügung stehenden Machtmittel insbesondere nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 rücksichtslos für die Ausplünderung der besetzten Gebiete und der dort lebenden Menschen einsetzte.[1]

Zyklon B für die Konzentrationslager

Während Krauch 1948 vom US-Militärtribunal in Nürnberg wegen der Versklavung von Zwangsarbeitern zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde, blieb Wurster straffrei. Das NS-Regime hatte ihn indes für seine «Verdienste» nicht nur zum «Wehrwirtschaftsführer» geadelt, sondern mit Auszeichnungen geradezu überschüttet: 1940 erhielt Wurster das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse, 1943 das Kriegsverdienstkreuz I. Klasse und 1944 das Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes mit Schwertern – eines der höchsten Ehrenzeichen, die der NS-Staat zu vergeben hatte.

Wursters Freispruch in Nürnberg erfolgte auch insofern überraschend, als das IG-Vorstandsmitglied während des Zweiten Weltkriegs dem Aufsichtsrat der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung (Degesch) angehört hatte. Von der Degesch, an der die IG einen Kapitalanteil von 42,5 Prozent hielt, stammte das Giftgas Zyklon B, mit dem in den deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern Millionen von Menschen, insbesondere Juden, ermordet wurden. Den Nürnberger Richtern zufolge hatte Wurster keine «strafrechtlich erhebliche Kenntnis» von diesem «Verwendungszweck», da die «Hauptaufgabe des Aufsichtsrats» darin bestanden habe, «sich um die Kapitaleinlagen der Aktionäre zu kümmern».[2]

Genau diese Kapitaleinlagen warfen allerdings durch die Lieferung von «Zyklon B» an die SS bis dato nicht gekannte Gewinne ab, wie die Ermittler der US-Militäradministration nach 1945 feststellten: «Mit Beginn der Vorbereitungen für die ‹Endlösung› steigerten sich die Zyklon-B-Einkäufe der SS dramatisch. Vorher hatte die SS nur kleinere Mengen Zyklon B von der Degesch gekauft, um es bei der Schädlingsbekämpfung in den Konzentrationslagern einzusetzen. Als im Rahmen der ‹Endlösung› auch Juden auf die Tötungsliste der SS kamen, erreichten die Profite der Degesch einen Höhepunkt. In den Jahren von 1942 bis 1944 erzielte die IG aus ihren Einlagen bei der Degesch den doppelten Dividendenertrag der Jahre 1940/41.»[2]

Distanzierung von einem anderen «Ehrensenator»

Während das KIT ungeachtet der genannten Tatsachen an der Ehrensenatorenwürde für Carl Wurster festhält, musste es sich erst unlängst von einem anderen «Ehrensenator» öffentlich distanzieren. Nach heftigen Protesten und einer mehr als drei Jahre währenden Kontroverse teilte der Senat der wissenschaftlichen Einrichtung im Dezember 2015 mit, er «bedauere» die Würdigung für Rudolf Greifeld, der von 1956 bis 1974 als Geschäftsführer des Kernforschungszentrums Karlsruhe fungierte: «Nach dem heutigen Kenntnisstand und auf der Basis ethischer Bewertungen würde die Ehrung von Dr. Greifeld nicht mehr erfolgen.»

Zwischen 1940 und 1941 hatte Greifeld in seiner Eigenschaft als «Kriegsverwaltungsrat» der Naziwehrmacht im von deutschen Truppen besetzten Paris antisemitische Massnahmen lanciert, die schliesslich in die Deportation der französischen Juden in die NS-Vernichtungslager mündeten. So fertigte er Anfang 1941 einen «Vermerk» für das «Polizeireferat» der deutschen Besatzungsbehörde an, in dem er forderte, die «Bewilligung auf verlängerte Polizeistunde in den von Wehrmachtsangehörigen häufig besuchten Lokalen» von der «Verpflichtung» abhängig zu machen, «dass der Eigentümer ein Schild an der Tür anbringt, wonach Juden der Zutritt verboten ist».

Ein vom KIT in Auftrag gegebenes Gutachten hat diesen seit Jahren bekannten Sachverhalt nunmehr bestätigt; festgestellt wird zudem, dass Greifeld, der neben der NSDAP auch der SA und dem NS-Rechtswahrerbund angehörte, seit seiner Jugend ein «überzeugter Antisemit» war. Entsprechend habe er sich in seiner Eigenschaft als «Kriegsverwaltungsrat» gegenüber einem hohen französischen Beamten geäussert, heisst es. Demnach erklärte Greifeld, die Juden müssten «weggefegt» werden, und er wundere sich, dass die französische Kollaborationsregierung «nicht energischere Massnahmen gegen die Juden ergreift». Lediglich der gegen Greifeld erhobene Vorwurf, er habe 1940 einen Besuch Hitlers in Paris organisiert, konnte laut Gutachten nicht bestätigt werden.[3]

Offene Fragen

Sollte der Fall Wurster begutachtet werden, dürfte sich das KIT ebenfalls gezwungen sehen, sich von seinem «Ehrensenator» zu distanzieren. Die Frage ist nur, wann ein solcher Schritt erfolgt und wie gross der hierfür notwendige politische Druck sein muss.

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Dieser Artikel ist auf der Plattform «German-Foreign-Policy.com» erschienen.

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[1] Dietrich Eichholtz: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945. Bd. 1, München 1999.

[2] Zitiert nach: Joseph Borkin: Die unheilige Allianz der IG Farben. Eine Interessengemeinschaft im Dritten Reich. Frankfurt/Main und New York 1990.

[3] Bernd-A. Rusinek: Greifeld. Gutachten – Endfassung mit nachträglichen Korrekturen. Januar 2016.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Die «Informationen zur Deutschen Aussenpolitik» (german-foreign-policy.com) werden von einer Gruppe unabhängiger Publizisten und Wissenschaftler zusammengestellt, die das Wiedererstarken deutscher Grossmachtbestrebungen auf wirtschaftlichem, politischem und militärischem Gebiet kontinuierlich beobachten.

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Eine Meinung zu

  • am 2.05.2016 um 14:30 Uhr
    Permalink

    Wollte man Alle Leute, die damals im national-sozialistischen Deutschland, später im Bauern- und Arbeiter-Paradies, oder gar Europäischen Umfeld eine mehr oder weniger grosse Rolle spielten, deswegen für immer vor der Liste der Anständigen verbannen, es gäbe bis heute wohl bis heute sehr wenig Intelligenz in all diesen Ländern, die Schweiz eingeschlossen, die noch nennenswerte gesellschaftliche oder wirtschaftliche Positionen innehätten.

    Aber es ist heute einfach, rückblickend Urteile zu fällen, über Andere. Und vor Allem über solche, die damals vermeintlich auf der falschen Seite standen.

    Gelernt jedenfalls scheint niemand etwas zu haben. Deshalb wohl wiederholt man die gleichen Fehler, und lässt die Gleichen wieder die gleichen Sprüche machen, wie damals, ein Grund wohl, weshalb sich die Geschichte doch ständig wiederholt.

    Es wäre wohl daher sehr viel gescheiter, sich weniger mit der Vergangenheit, und etwas mehr mit der Zukunft zu beschäftigen, die Vergangenheit ist Geschichte, und gelernt daraus hat man ja sowieso nichts, sonst würde man nicht bis dato immer noch versuchen, es entweder einfach zu verschweigen, oder dann zumindest immer noch Schuldige zu suchen, die ja damals auch nur darauf aus waren, selber möglichst ungeschoren am Leben zu bleiben.

    Und was man dabei sowieso immer vergisst, oder zumindest unterdrückt, wäre damals nicht gewesen, was war, wären wir wohl technisch, forschungsmässig, und entwicklungsmässig noch längst nicht dort, wo wir heute sind.

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