Venezuela

US-Flugzeugträger «Gerald R. Ford», der aktuell vor der Küste Venezuelas aufkreuzt. © Wikipedia

US-Präsident Trumps erbitterte Fehde mit seinen Geheimdiensten

Helmut Scheben /  Die Direktorin der Nationalen Nachrichtendienste verkündet eine radikale Kursänderung in der Aussenpolitik. Widerstand garantiert.

Am 31. Oktober erklärte Tulsi Gabbard, Direktorin der Nationalen Nachrichtendienste der USA, es sei nun Schluss mit einer Aussenpolitik, die Jahrzehnte lang darin bestanden habe, «Regime zu stürzen, anderen unser Regierungssystem aufzuzwingen und in Konflikten zu intervenieren, die wir kaum verstanden und die uns am Ende mehr Feinde als Verbündete einbrachten».  Das Ergebnis, so Gabbard sei nichts anderes als «Billionen-Ausgaben, der Verlust unzähliger Menschenleben und in vielen Fällen die Entstehung grösserer Sicherheitsbedrohungen, zum Beispiel der Aufstieg islamistischer Terror-Organisationen wie der Islamische Staat».

Das ist eine Betrachtung der US-Politik, wie sie selbst von Gabbards Chef im Weissen Haus in dieser schonungslosen Formulierung bisher nicht zu hören war. Viele Historikerinnen und Historiker weltweit würden Gabbards Formulierung vorbehaltlos unterschreiben. Laut offiziellen Daten des «Congressional Research Service» (vergleichbar dem Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages) haben die Vereinigten Staaten allein in den Jahren zwischen 1991 und 2022 mindestens 251 militärische Interventionen durchgeführt. Das entspricht durchschnittlich acht Militärinterventionen pro Jahr. Bei den Zahlen sind CIA-Operationen und Putschversuche nicht erfasst. Als Begründung hiess es meist, die USA müssten den Terrorismus bekämpfen oder einem unterdrückten Volk zu Hilfe eilen, um Freiheit und Demokratie zu bringen.

Gabbard sagte, Donald Trump sei vom amerikanischen Volk gewählt worden, um all dem ein Ende zu machen. Die erstaunliche Aussage kommt zu dem Zeitpunkt, da Präsident Trump Nigeria mit Krieg droht und Flugzeugträger und weitere Kriegsschiffe vor die Küste von Venezuela schickt. Er lässt Woche für Woche Boote in der Karibik versenken, die laut offiziellen Angaben Drogen transportieren. Was die getöteten Besatzungen dieser Schiffe angeht, so sprechen Juristen von «aussergerichtlichen Hinrichtungen». Die aussenpolitische Praxis, Verdächtige umzubringen statt sie gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen, ist nach 9/11 in Washington Staatsdoktrin geworden. Allein der Friedensnobelpreisträger Barack Obama soll einige tausend «präventive Tötungen» durch Drohnen genehmigt haben, bei der ungezählte Zivilpersonen als «Kollateralschäden» ums Leben kamen.

Regime Change ist angesagt: diesmal in Venezuela

Es gibt wohl keine kompetente politische Beobachterin, keinen Diplomaten weltweit, denen nicht klar ist, dass es Präsident Trump nicht um Drogenhandel geht, sondern darum, einen Regierungswechsel zu bewirken, der Venezuela für die US-Energie-Konzerne wieder zu der Tankstelle machen würde, die das Land früher einmal war. Die Nachfrage nach Gas und Öl wird weltweit in den kommenden Jahrzehnten steigen.

Die USA bekämpfen in Lateinamerika den Drogenhandel seit mehr als vierzig Jahren ohne den geringsten Erfolg. Anfang der neunziger Jahre habe ich die Drug Enforcement Agency (DEA) und die famosen Green Berets begleitet, als sie Journalisten zu ihren Show-Einsätzen in den Coca-Anbaugebieten in Peru einluden. Ich bin zu der Einsicht gelangt, dass die zahlreichen militärischen Stützpunkte der USA in den Andenländern nur vorgeblich dem Kampf gegen Drogen gelten. In Wirklichkeit sind sie nichts anderes als ein Counterinsurgency-Programm, also die geostrategische Kontrolle des «Hinterhofs» Lateinamerika. Die CIA selbst wurde im Übrigen in den achtziger Jahren von US-Staatsanwälten als «grösster Drogendealer der USA» bezeichnet. Schon in Vietnam hatte der US-Geheimdienst gelernt, wie Opiumhandel helfen kann, einen Krieg zu finanzieren.

Trump liess schon in seiner ersten Amtszeit die Kriegsmarine vor der Küste Venezuelas auffahren. Er verschärfte die Sanktionen, mit denen die USA zwei Jahrzehnte vorher begonnen hatten, als der ehemalige venezolanische Armee-Offizier Hugo Chávez zum Präsidenten gewählt wurde. Chávez wurde mit seinem «Sozialismus des 21. Jahrhunderts», seiner Verstaatlichung des Erdöls und anderer Schlüsselindustrien, seinem Schulterschluss mit Kuba, Russland, China und allen linken Bewegungen auf dem Kontinent zum Erzfeind der USA. Sein Nachfolger Maduro wird in Washington als kommunistischer Diktator in dem gleichen Polit-Katalog geführt wie Kim Jong-un in Nordkorea.

Tulsi Gabbard hat Recht, wenn sie sagt, viele Amerikanerinnen und Amerikaner hätten Donald Trump gewählt, weil er versprach, der Politik der weltweiten militärischen Interventionen ein Ende zu machen. Man kann nicht ausschliessen, dass Trump ernsthaft diese Absicht hatte.

Der lange Arm des militärisch-industriellen Apparates

Die Frage ist aber nicht, ob Trump sich wirklich abwenden will von der Rolle eines Weltpolizisten, der sich anmasst, die Verkehrsregeln zu bestimmen und sie nach Belieben zu brechen, sondern ob die herrschenden Machtstrukturen es ihm erlauben. Ein Präsident der USA gilt als der mächtigste Mann der Welt, aber er bewegt sich nur innerhalb eines politischen Geheges, das er bei seinem Amtsantritt vorfindet. Es ist das Gehege, das abgesteckt wird von einem Apparat, in dem, wie der Ökonom Jeffrey Sachs einmal formulierte, «Wallstreet das Finanzsystem steuert, Big Oil das Energiesystem und die militärisch-industrielle Lobby die Aussenpolitik». Die Geheimdienste sind eng verflochten mit diesen Interessengruppen, ihr wichtigstes Werkzeug sind die Medien.

Trump hat schon in seiner ersten Amtszeit lernen müssen, dass seine Versuche einer neuen Aussenpolitik durch einen Medien-Tsunami sabotiert wurden, hinter dem die Demokraten in Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten standen. Trumps wenige Ansätze zu einer Entspannung mit Russland und Nordkorea sowie einer Verminderung der US-Militärpräsenz weltweit wurden unverzüglich zugeschüttet von einem Narrativ namens «Russiagate». Als Wikileaks im Juli 2016 zwanzigtausend E-Mails publizierte, die von einem Computer des National Committee der Demokraten stammten, verbreiteten Mitarbeiter der Wahlkampagne von Hillary Clinton augenblicklich, es handele sich «laut Geheimdienst-Erkenntnissen» um einen «russischen Hackerangriff». Der russische Präsident Putin wolle Clinton schaden und verhelfe Trump zum Wahlsieg.

Die Story versetzte die Medien in ein wahres Delirium, das während der gesamten Amtszeit Trumps andauerte. Die Vorstellung, dass Trump von Putin gesteuert werde, wurde mit immer neuen «Erkenntnissen der Geheimdienste» gefüttert, sie sich später weitgehend als Fake erwiesen. Der ehemalige FBI-Chef Robert Müller wurde mit einer Untersuchung beauftragt, bei der am Ende keine Beweise für das ominöse Russiagate herauskamen. Im Mai 2017 wurden Geheimdienstleute, Cybersicherheitsfirmen und Mitarbeiter Clintons, die alle behauptet hatten, sie hätten Beweise für die Russiagate-Story, unter Eid vor dem Senat angehört. Keiner der Vorgeladenen konnte die angeblichen Beweise erhärten. Die Russiagate-Erzählung implodierte lautlos.

Vom CIA trainierte Journalisten

1953 übernahm Allen Dulles, der Bruder des Aussenministers John Foster Dulles, die Leitung der CIA. Unter Allen Dulles wurde die Manipulation der öffentlichen Meinung durch die Presse zum wichtigsten politischen Hebel. Journalisten wurden für die CIA rekrutiert und platzierten «Nachrichten» und «Kommentare», die wiederum von anderen Medien als seriöse Informationen aufgenommen wurden. CIA-Agenten wurden trainiert für ihre Rolle als Journalisten.

Das ging so lange gut, bis die Anzeichen, dass die Presse von Geheimdienst-Agenten durchsetzt war, nicht mehr zu verheimlichen waren. Anfang der 70er Jahre trat CIA-Direktor William Colby die Flucht nach vorne an. Er organisierte ein «Leck» an die Medien, in dem die CIA bekanntgab, sie habe interne Unregelmässigkeiten entdeckt. Drei Dutzend Journalisten stünden auf der Gehaltsliste des Geheimdienstes. Die Sache schlug hohe Wellen und führte zu einer Untersuchung, die nach ihrem Leiter, einem Senator aus Idaho, «Frank Church-Komitee» benannt wurde. Das Ergebnis wurde in sechs Bänden 1976 publiziert und hat mehr verheimlicht als aufgeklärt. Die beschuldigten Journalisten und Verleger waren nicht gezwungen worden, in den Zeugenstand zu treten. Spätere Recherchen unabhängiger Journalisten fanden heraus, dass es nicht «mehrere Dutzend», sondern mehr als 400 Journalisten waren, die für die CIA arbeiteten. 1963 schrieb der ehemalige US-Präsident Harry Truman, der Geheimdienst sei völlig aus dem Ruder gelaufen:

«Als ich die CIA gründete, hätte ich nie gedacht, dass sie in Friedenszeiten mit dunklen Mordkomplotten in Verbindung gebracht werden könnte. Ich sähe es gern (…) dass ihre operativen Aufgaben beendet würden» («Limit CIA Role to Intelligence», Washington Post, 22.12.1963).

Attentat auf De Gaulle: CIA unter Verdacht

Als Truman das schrieb, waren auf den französischen Präsidenten Charles De Gaulle mehrere Mordanschläge verübt worden, die er mit viel Glück überlebte. De Gaulle war überzeugt, dass der US-Geheimdienst dahintersteckte. Die französische Presse deckte Verbindungen zwischen Allen Dulles und französischen Putschisten auf.  Die diplomatischen Spannungen wurden so untragbar, dass Präsident Kennedy mit De Gaulle telefonierte, um ihn seiner Freundschaft zu versichern und an Informationen zu gelangen: Informationen über die Machenschaften seines eigenen Geheimdienst-Chefs Allen Dulles. De Gaulle hatte die Vision von einem «Europe des Patries», welches in der friedlichen Kooperation souveräner Staaten von London bis Moskau bestehen sollte. Der Franzose war den Falken in Washington ein Dorn im Auge. Weil De Gaulle die französische Kolonie Algerien aufgab, schlugen sie Alarm, De Gaulle wolle Algerien dem Kommunismus zum Frass vorwerfen.

Präsident Truman hätte sich nicht träumen lassen, wie viele Kriege und Militärputsche in der Folge mit den «Informationen westlicher Geheimdienste» begründet wurden und wie die Öffentlichkeit jeweils hinters Licht geführt wurde. Geheimdienste helfen der Regierung, Schaden vom Land abzuwenden, so die Lehrmeinung. Sie können aber auch ihrer eigenen Regierung schaden. Sicher ist es grob vereinfachend und unzutreffend, von einem «Deep State», einem «Staat im Staat» oder einem «militärisch-industriellen Komplex» zu sprechen, als handele es sich um einen statischen, geschlossenen Machtblock, der über die Jahrzehnte unverändert die Fäden zieht.  

Wenn der Kuckuck im Nest «Intelligence Community» heisst

Unbestreitbar ist die historische Konstante, dass der Komplex «Aufrüstung-Krieg-Wiederaufbau» zu den stärksten Motoren der westlichen Wirtschaft gehört und dass es keinen grossen Industriekonzern mehr gibt, der nicht daran verdient, in letzter Zeit besonders die IT-Branche. Der Philosoph Günther Anders hat es in die Sentenz gefasst: «Die Waffen werden nicht für die Kriege gemacht. Der Krieg wird für die Waffen gemacht.» 

Als Beispiel mag das Project for a New American Century (PNAC) von 1997 stehen, das vorsieht, die weltweite Dominanz der USA durch militärische Gewalt zu verteidigen. Es ist das Projekt einer von den Lobbyisten der Energie- und Rüstungsindustrie betriebenen Aussenpolitik als neokoloniale Kriegspolitik. Dass sich an dieser groben Marschrichtung nichts geändert hat, zeigt die Studie «Overextending and unbalancing Russia», die die Rand Corporation, die mächtigste Denkfabrik des Pentagons, 2019 publizierte. Wenn viele Analysten den Begriff «Deep State» verwenden, dann weil sie überzeugt sind, dass da ein Apparat wirkt, der sehr oft in geheimen, «unterirdischen» Kanälen mit grossen Medien verbunden ist und über diese Medien jede Regierung vor sich hertreiben kann. Ob man diesen Apparat «Staat im Staat» nennt oder Kuckuck im Nest, macht keinen Unterschied. Die Washington Post berichtete 2010, dass es in den USA 854’000 Leute gebe, die an zehntausend verschiedenen Orten auf Geheimhaltungsstufe für die «nationale Sicherheit» arbeiteten.

Frontlinie mit Tradition

Die erbitterte Fehde, die Präsident Donald Trump mit seinen Geheimdiensten austrägt, ist also kein einmaliger Vorgang. Da ist ein System wirksam, das zurückreicht bis in die Anfänge des Kalten Krieges. Allen Dulles hasste John F. Kennedy. Und umgekehrt. Nach aussenhin wurde zwar ein formal korrekter Umgang gewahrt, aber der alternde CIA-Chef sah mit Bestürzung, dass der junge Präsident nicht gewillt war, der Sowjetunion und dem Kommunismus mit der kompromisslosen militärischen Härte zu begegnen, die Dulles für unabdingbar hielt. Kennedy probte nach seiner Amtsübernahme eine Politik der Kohabitation der Blöcke. Er wollte eine militärische Eskalation und einen Nuklearkrieg vermeiden, gleichwohl liess er sich in das Vietnam-Desaster hineinziehen. 

1961 organisierte die CIA einen Angriff auf das kommunistische Kuba, um Fidel Castro zu stürzen. Kennedy war nicht erfreut darüber. Er wollte die Invasion als eine Operation aufständischer kubanischer Antikommunisten erscheinen lassen und nach aussen hin die offizielle Hilfe seiner Regierung abstreiten. Dulles hatte dagegen auf massives militärisches Eingreifen der USA gedrängt und war damit bei Kennedy aufgelaufen. Folglich versuchte der CIA-Chef es mit dem Holzhammer. Er liess Kennedy im Unklaren über die geringen Chancen der Operation und hoffte, wenn sich ein Scheitern abzeichne, werde Kennedy gezwungen sein, Luftwaffe und Marine einzusetzen, um ein weltweites Image-Desaster der USA zu vermeiden. Kennedy ging nicht in die Falle. Er musste seinen Widerstand gegen den Machtblock seiner Generäle und der «Intelligence Community» – das ist meine Interpretation – 1963 mit dem Leben bezahlen.

Man mag in Donald Trump einen Bluffer sehen, einen Gambler und Hasardeur, aber sein erratischer Kurs in der Aussenpolitik ist nicht nur mit derartiger Psychologie zu begründen. Trump muss, wie jeder seiner Vorgänger im Amt, den aggressiven Kuckuck im Nest füttern, indem er den militärischen Kraftmeier spielt. Daher sein aussenpolitischer Slalom. Kein Präsident der USA konnte sich jemals diesen Zwängen entziehen.

Dieser Text ist die gekürzte Fassung eines Artikels, der auf Globalbridge erschienen ist.


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US-Politik unter Donald Trump

Weichenstellungen: An seinen Entscheiden ist Trump zu messen, nicht an seinen widersprüchlichen Aussagen.

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