Die bodenlose Täuschung über die Herkunft unseres Gemüses
Rüebli, Zwiebeln, Broccoli und Blumenkohl wachsen in der Schweiz meistens im Boden und unter freiem Himmel. Doch fast alle Schweizer Salatgurken und Tomaten gedeihen in Treibhäusern – die meisten von ihnen, ohne je mit Erde in Kontakt zu kommen.
Das Gemüse wächst «hors-sol», ausserhalb des Bodens, auf Kokosfasern oder Steinwolle. Die Pflanzen erhalten mit Tröpfchenbewässerung Dünger und Wasser zugeführt.
Auch die meisten Erdbeeren, die vor Mai oder nach August verkauft werden, und viele Salate wachsen auf Regalen in Treibhäusern. In der Schweiz belegen die Hors-sol-Regale mittlerweile gut einen Fünftel der Erdbeer-Anbauflächen.

Vor 30 Jahren stiess der Hors-sol-Anbau bei den Konsumenten auf heftigen Widerstand. Deshalb vereinbarten die Gemüse- und Früchteproduzenten, dass sie Hors-Sol-Produkte kennzeichnen.
Vor gut acht Jahren wurde diese Vereinbarung aber aufgelöst. Die «Bauernzeitung» stellte befriedigt fest: «Hors-sol-Sturm abgeflaut.» Selbst die Stiftung für Konsumentenschutz räumte damals ein: Hors-sol sei eine akzeptierte Art geworden, wie man Landwirtschaft auch betreiben kann.
Migros schaffte Deklaration sofort ab
Gewiss haben manche Konsumentinnen und Konsument den Hors-sol-Anbau akzeptiert. Viele wissen aber gar nicht, wie das Gemüse und die Beeren, die sie kaufen, angebaut worden sind.

Die Migros hat damals die Deklaration unverzüglich abgeschafft. Auch Denner und Aldi deklarieren nicht, wenn etwas im Regal statt auf dem Boden gewachsen ist. Bei Lidl sind einige Produkte gekennzeichnet, andere nicht. Einzig Coop bemüht sich darum, konsequent auf dem Preisschild zu vermerken, wenn es sich um ein Hors-sol-Produkt handelt.
Nur Bio ist sicher nicht hors-sol
Wer Hors-sol-Produkte meiden will, muss sich an Bio-Gemüse und -Früchte halten. Diese dürfen in der Schweiz zwar im Treibhaus, aber nicht getrennt vom Boden kultiviert werden.
Die Hors-sol-Produzenten und Händler betonen, der Anbau ohne Erdkontakt habe Vorteile: Hors-sol-Pflanzen erhalten Wasser und Dünger automatisch und dosiert zugeführt. Das senke den Verbrauch. Auch das Risiko, dass die Pflanzen von Schädlingen befallen werden, sei geringer.
Das könnte aber gleichzeitig ein Nachteil sein. Es gibt Hinweise – aber keine Beweise – dass Hors-sol-Gemüse und -Früchte weniger gesundheitsfördernde sekundäre Pflanzenstoffe enthalten, weil sie weniger natürliche Abwehrstoffe bilden müssen als im Erdboden auf dem Freiland.
Knackiger – oder eher zäher?
Ob Hors-sol-Produkte weniger Geschmack haben als solche aus dem Freiland, ist umstritten. Salat, der direkt an der Sonne gewachsen ist, hat häufig dickere Blätter als solcher aus dem Treibhaus. Die einen Konsumenten finden solche Blätter knackiger und geschmackvoller. Andere finden sie zäher und bitterer.
Studien und Blindtests zeigten bisher, dass bei den Qualitätsunterschieden weniger die Anbaumethode als vielmehr die Sorte, der Reifegrad, das Klima und die Pflege eine Rolle spielen.
Wenn Produzenten und Händler betonen, wie umweltschonend Hors-sol-Anbau sei, geht häufig ein Aspekt vergessen: Die Kokosfasern oder die Steinwolle, in denen die Pflanzen wachsen, müssen aufwändig hergestellt, transportiert und wieder entsorgt werden. Auch das Abwasser muss behandelt und entsorgt werden.
Treibhäuser statt Äcker in den Schweizer Gemüsekammern
Ausserdem wird Hors-sol-Anbau meistens in Treibhäusern betrieben. Das braucht mehr Energie wegen der Temperaturregelung und der übrigen Technik. Es gibt nur sehr wenig Hors-sol-Produkte, die unter freiem Himmel wachsen.
Natur- und Landschaftsschützer stehen dem zunehmenden Bau von grossen Treibhäusern kritisch gegenüber. So gibt Franziska Grossenbacher, Co-Geschäftsleiterin der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, zu bedenken: Wenn der Schweizer Gemüsebau nur noch auf Hors-sol setzte, hätten wir in ein paar Jahren in allen Gemüsekammern der Schweiz eine Treibhauslandschaft wie im spanischen Almeria. Sie sagt: «Aus landschaftlicher Sicht wäre die radikale Forderung: keine Treibhäuser auf dem lebendigen Boden, sondern nur noch auf bestehenden Gebäuden als Aufbau.»

Der Treibhausanbau ist nicht etwa in den drei grössten Gemüsekantonen Bern, Zürich und Aargau am weitesten verbreitet, sondern in den Kantonen Genf, Waadt und im Tessin.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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