Stecker

Doris Leuthard will den Stromern die Stecker ziehen © cm

Leuthard will Stromverkäufer zum Sparen zwingen

Hanspeter Guggenbühl /  Bundesrätin Doris Leuthard will den Stromversorgern «verpflichtende Effizienzziele» vorschreiben. Andere Staaten tun das bereits.

Stromunternehmen trachten – wie alle Verkäufer – danach, ihren Absatz zu steigern. Die meisten Schweizer Energieversorger fördern den Stromkonsum obendrein mit Mengenrabatten und belohnen Elektroheizer mit Niedertarifen. Damit sinkt mit wachsendem Verbrauch der Preis pro Kilowattstunde Strom. Stromverschwender werden damit finanziell belohnt.

Das widerspricht dem Ziel, Strom effizient und sparsam einzusetzen. Die Folgen zeigt die Elektrizitätsstatistik: Allein von 2000 bis 2010 stieg der Stromverbrauch in der Schweiz um rund 15 Prozent.

Stromabsatz mit Zertifikaten begrenzen

Die falschen Anreize möchte Energieministerin Doris Leuthard jetzt umkehren – und folgt damit einer alten Forderung von AKW-Gegnern. In ihrer Vernehmlassungs-Vorlage zur «Energiestrategie 2050» beantragt sie, den Energieversorgungs-Unternehmen (EVU) «verpflichtende Stromeffizienzziele» zu verordnen. Details zu diesem brisanten Vorschlag, der das Bewilligungsverbot für neue Atomkraftwerke in der Schweiz flankieren soll, skizzierte Matthias Gysler, Chefökonom des Bundesamtes für Energie, am Freitag an der Jahrestagung der Schweizerischen Energiestiftung (SES):

o Die Ziele für die einzelnen Stromversorger sollen individuell festgelegt werden, je nach Absatzmenge oder Kundenstruktur. Denkbar ist etwa, bei unveränderter Kundenstruktur jährlich einen Rückgang der Absatzmenge von einem Prozent vorzuschreiben. Oder einen Rückgang pro Haushalt oder Arbeitsplatz. Falls die Marktöffnung die Kundenstruktur verändert, kann das Ziel nachträglich individuell angepasst werden.

o Die Begrenzung des Stromabsatzes soll mit handelbaren Zertifikaten geregelt werden, wie es zum Beispiel die EU mit ihrem – leider zu laschen – CO2-Emissionshandel bereits praktiziert. So sollen die Zertifikate gemäss Effizienzziel zugeteilt werden. Wer sein Ziel verfehlt, muss Zertifikate kaufen und wird damit finanziell bestraft. Wer das Ziel übertrifft, kann Zertifikate verkaufen.

Mit der Begrenzung des Absatzes erhalten Energieversorger einen Anreiz, ihrer Kundschaft Beratung, Contracting, effiziente Elektrogeräte oder Mittel zum Stromsparen anzubieten. Zudem wächst damit der Druck, die Mengenrabatte abzuschaffen und Stromverschwendung mit progressiven Tarifen zu sanktionieren.

Widerstand der Schweizer Stromlobby ist absehbar

Auf Leuthards Vorschlag, so zeigt unsere kleine Umfrage, reagiert die Stromwirtschaft mit Widerstand oder Skepsis: Als «marktwidrig» und «bürokratisch» beurteilt etwa Dorothea Tiefenauer, Sprecherin des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), die vorgeschlagenen Effizienzziele. Zudem widerspreche die vorgesehene Verbindlichkeit einer früheren Ankündigung, wonach die Energiewende anfänglich mit «freiwilligen Massnahmen» umgesetzt werden soll.

»Grundsätzlich» begrüsse die Axpo zwar Energieeffizienz-Massnahmen, antwortet die Axpo-Medienstelle, kritisiert jedoch: «Mit diesem regulativen Instrument würde man sich von der beabsichtigten Marktliberalisierung weiter entfernen.» Grundsätzlich ebenfalls positiv reagiert Dominik Baier, Geschäftsleitungs-Mitglied der Baselbieter Stromversorgerin EBM-Elektra Birseck, die sich laut Statuten seit Jahrzehnten zur rationellen Energieverwendung verpflichtet. Baier äussert aber Skepsis, ob das skizzierte Modell bei einer weiteren Marktöffnung in der Praxis funktionieren kann. Die ebenfalls angegefragten Elektrizitätswerke des Kantons Zürich (EKZ), die Industriellen Werke Basel (IWB) und die Berner BKW wollen die Vernehmlassung abwarten, bevor sie Stellung beziehen.

Effizienzziele und Decoupling im Ausland verwirklicht

Was Schweizer Stromverkäufer bekämpfen, ist in andern Staaten – in unterschiedlicher Form – längst realisiert: Kaliforniens Energiebehörde zum Beispiel hat die Marktregeln für die Energiekonzerne so festgelegt, dass die Tarife und Gewinne dann erhöht werden können, wenn sie weniger Strom verkaufen. Mit diesem vor 30 Jahren eingeführten «Decoupling» gelang es Kalifornien, den Stromverbrauch trotz Wirtschaftswachstum auf dem Stand von 1978 zu stabilisieren. Die Regierungen von Dänemark und Grossbritannien haben ihren Energieversorgern ebenfalls Einsparverpflichtungen auferlegt.

»Effizienzverpflichtungen für die Strombranche», so folgerte die deutsche Energieexpertin Ulrike Saul an der SES-Tagung, «wären – richtig umgesetzt – ein vielversprechendes Instrument, um in der Schweiz innovative Effizienzmassnahmen im Stromsektor zu verwirklichen.»


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