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Min Li Marti – Verlegerin «P.S.» © zVg/«VPOD-Magazin»

«Eine gute Zeitung ist wie Biogemüse»

Christoph Schlatter /  Sinkende Inserateeinnahmen – da bleibt nur die Hoffnung auf jene, die den Preis für eine gute Zeitung zahlen. Sagt Min Li Marti.

Red. Das nachfolgende Interview von Christoph Schlatter mit Min Li Marti – seit Anfang Jahr Verlegerin der linken Wochenzeitung «P.S.», Chefin der SP-Fraktion im Zürcher Gemeinderat und Natinonalratskandidatin – wurde erstmals im Dossier «Presse wohin?» der Juli-Ausgabe des «VPOD-Magazins» veröffentlicht und thematisiert die «Chancen der linken Publikumspresse in der Schweiz».

VPOD-Magazin: Du bist Verlegerin, du hast gewisse Chancen auf ein Nationalratsmandat … Bist du der linke Roger Köppel?
Min Li Marti: Da gibt es doch, über das Geschlecht und die Gesinnung hinaus, noch ein paar weitere Unterschiede. Im Gegensatz zu meinem «Weltwoche»-Kollegen bin ich schon seit vielen Jahren in der Politik, werde dafür aber bisher eher selten vom deutschen Fernsehen eingeladen … Und im Gegensatz zu seiner Publikation sind Besitzverhältnisse und Finanzen beim «P.S.» absolut transparent.

1914 gab es in der Schweiz 92 Arbeiterzeitungen, 11 davon erschienen als Tageszeitungen. 100 Jahre später ist «dein» «P.S.» einer der allerletzten Ausläufer dieser Epoche. Und auch sonst wächst links nicht viel.

Du zeichnest ein gar düsteres Bild. Richtig: Von besagter SP-Presse sind das «P.S.» (als indirekter Nachfolger des «Volksrechts») und die «Schaffhauser AZ» übrig, beides regionale Wochenzeitungen, die längst mehr sind als reine Parteiblätter. Im Internet gibt es zudem mehrere Projekte, die sich mindestens als Mitte-links charakterisieren lassen. In Basel hält tapfer die «TagesWoche» die Stellung. Richtig bleibt, dass keine grosse Tageszeitung (mehr) existiert, die auch nur annähernd diese Charakterisierung verdient – abgesehen vom erstaunlichen links-christlichen «Courrier» in Genf. Der «Tages-Anzeiger» hat überhaupt keine politische Orientierung mehr. Es bleiben «WoZ» und «Work» als überregionale linke Blätter im Wochen- bzw. Zwei-Wochenrhythmus. Wobei das «Work» zwar den Anspruch haben mag, eine Boulevardzeitung fürs linke Publikum zu sein, aber faktisch ein Unia-Mitgliederblatt geblieben ist. Komplett ist die Übersicht jedoch nur dann, wenn wir auch diese teils sehr attraktiven NGO-Periodika erwähnen, von denen es eine grosse Vielfalt gibt und zu denen «dein» Magazin ja auch gehört.

«Das Bedürfnis nach guten Texten und ‹kuratiertem› Inhalt bleibt.»

Ist es heute unmöglich, in der Schweiz eine linke Tageszeitung zu machen? Ist eine linke Wochenzeitung mit – sagen wir mal – mässig attraktiven Arbeitsbedingungen, die trotzdem immer knapp vorm Abgrund steht, das höchste der heute denkbaren Gefühle?

Grundsätzlich ist es derzeit eh schwierig, überhaupt eine Tageszeitung zu machen, egal welcher politischen Ausrichtung. Alle kämpfen mit den gleichen Problemen: sinkende Abozahlen, rückläufige Inserate. Die Printzeitung wird zunehmend zu einem Flaggschiff für ein Marken-Imperium und ist nicht mehr ein Businessmodell per se. Auf der linken Seite kommt dazu, dass viel weniger Geld vorhanden ist, um derartige Projekte zu stemmen.

Eine andere These geht dahin, dass das Publikum eben keine politischen Analysen mehr lesen mag, sondern lieber Blödsinn, Klatsch und Sexberatung. Schon 1900 sagte Arbeitersekretär August Merk: «Der Widerstand der Arbeiter richtet sich nicht gegen das Volksrecht, sondern der Inhalt des Blattes passt der grossen Masse nicht so wie derjenige der Quatsch- und Tratschblätter à la Tages-Anzeiger.»

Ich glaube, das Problem liegt anders. Die schiere Versorgung mit News ist heute schneller denn je zu haben – und günstiger bis gratis. Wenn Sepp Blatter verhaftet würde, erführe ich das nicht erst am nächsten Tag aus der Zeitung …

Wir müssen den alten Spruch ändern in: «Nichts ist so alt wie die Zeitung von heute».

Ich glaube ja keineswegs, dass die Leute nicht mehr lesen. Sie lesen sehr wohl, durchaus auch Tages- oder Wochenzeitungen, aber oft artikelweise im Internet, weil die Facebookfreundin was empfiehlt. Das Problematische daran ist die Tendenz, dass wir uns bald nur noch im eigenen Saft wälzen. Du interessierst dich für Fussball, Oper und Stadtzürcher Politik? Du kriegst nur noch Geschichten aus diesen Bereichen. Zu einer Zeitung gehört auch, dass ich Dinge entdecke, die ich von mir aus nicht gesucht hätte. Dazu kommt, dass die Bindung ans Produkt, an «meine» Zeitung schwächer wird. Genau wie auch die Bindung an eine Konfession oder an einen Verein oder an eine Partei oder Gewerkschaft nicht mehr zwingend ein Leben lang hält. Aber das Bedürfnis nach gut geschriebenen Texten, nach Reportagen, nach Einordnung und Kommentar, nach redaktionell ausgewähltem, «kuratiertem» Inhalt hält an.

«Eine Prawda ist immer langweilig, egal ob als Sprachrohr Moskaus oder Herrlibergs.»

Dann wäre die «Weltwoche» ja eine moderne Zeitung …

Sie hat ein ähnliches Problem wie das «Work», bloss umgekehrt. Seit Jahrzehnten träumt ein Teil der Linken von einer linken Boulevardzeitung. Leider ist das Publikum, das Boulevard mag, nicht links. Bei der «Weltwoche» haben wir den umgekehrten Fall eines Intellektuellenblattes für die SVP-Wählerschaft. Dummerweise mögen die meisten SVP-Wähler die Bilder und die Titel eher gross, die Texte kurz. Ein Dilemma … Ein zweites: Die Meinungspresse ist nur dann spannend, wenn sie unvorhersehbar bleibt, wenn sie immer wieder unerwartete Themen, Blickwinkel, Zugänge liefert. Wenn sie zu einer Prawda verkommt, erlahmt das Interesse. Egal ob sie das Sprachrohr Moskaus oder Herrlibergs ist.

Wir kennen zwar die Buchhaltung nicht genau, aber klar ist sowieso: Die «Weltwoche», die ja massiv Leser verloren hat, ist ein politisches, kein kommerzielles Projekt. Das gilt auch für die «NZZ», die zwar die freie Marktwirtschaft verficht, aber selber am Markt nur sehr mässig erfolgreich ist.

Wenn nicht mal mehr der FDP-Präsident sie liest … Die «NZZ» ist aus meiner Sicht ein fast schon tragisches Globalisierungsopfer. Denn die Zürcher Wirtschaftselite besteht ja nicht mehr aus dem via Militär und Verein verbandelten und «NZZ»-lesenden Zürichberg- oder Zürichseefreisinn. Die heutigen Wirtschaftskapitäne sind Expats, und die lesen dann eben die «New York Times» oder das «Wall Street Journal».

Würdest du zustimmen, dass das Internet und die Gratiszeitung die beiden grossen Fressfeinde der heutigen Presse sind?

Sie haben die Landschaft massiv verändert. Und was die Digitalisierung – ausser dem Einbruch bei den Inseraten und der Veränderung der Lesegewohnheiten – noch alles bewirken wird, ist nicht abzusehen. Die Gratiskultur betrifft sowohl gedruckte sogenannte Pendlerzeitungen wie auch das Internet und macht allen zu schaffen. Es ist halt schwierig, für etwas Geld zu verlangen, das zuvor gratis war. Und warum soll ich den «Blick kaufen», wenn es den «Blick am Abend» umsonst gibt?

Es sind die Medienhäuser, die ihren eigenen Produkten Konkurrenz machen!

Ich denke, der Vorgang funktioniert ähnlich wie bei den Billigairlines. Mit denen macht man auch keinen oder kaum Profit; sie dienen dazu, die anderen Marktteilnehmer in den Ruin zu treiben. Auch der Gratiszeitungskrieg dürfte für keine der Kriegsparteien rentieren. «20 Minuten» erzielt zwar wohl ganz gute Werbeeinnahmen. Aber es kannibalisiert gleichzeitig die Bezahlzeitung aus dem eigenen Haus.

«So wie es Leute gibt, die Biogemüse kaufen und Eier von glücklichen Hühnern …»

Wenn das Zeitungsmachen nicht rentiert, muss es unterstützt werden. Wie am besten?

Ich halte die indirekte Presseförderung via Verbilligung der Zustellung für ein ganz gutes Modell – vergleichbar vielleicht mit der leider abgeschafften Buchpreisbindung. Natürlich, von der Giesskanne profitieren immer auch ein paar, die es nicht nötig hätten. Aber sie kommt ohne staatliche Qualitätsaufsicht aus, wo sofort alle «Zensur!» schreien und wo auch gleich wieder viel Bürokratie entsteht. Theoretisch wäre das System elegant – faktisch trifft das mittlerweile leider nicht mehr zu … Die Frage ist ohnehin, ob es reicht. Zudem braucht es ein analoges Modell für Onlinemedien.

Die Tamedia fährt eine extrem aggressive Strategie, kauft alles auf, was sich in ihrem Milieu bewegt, trimmt die Firma auf Rendite. Und die Besitzerfamilie saugt jedes Jahr zweistellige Millionenbeträge aus dem Unternehmen.

Ich beobachte diesen Wandel mit Sorge. Klar: Auch der Verleger von 1960 wollte schön in einer Villa wohnen und vielleicht eine Yacht besitzen oder ein wenig Kunst sammeln. Aber er hatte doch auch eine Affinität zur Zeitung und ein Wissen darum, dass sich so etwas anders anfühlt, als Autos oder Waschmittel zu verkaufen. Heute scheinen die Manager weitgehend austauschbar und unterstehen dem Profitdruck.

«…zähle ich darauf, dass es Menschen gibt, die bereit sind, sich eine gute Zeitung zu leisten oder dafür zu spenden»

Gibt es unter diesen Bedingungen überhaupt eine Zukunft für linke Publikumsmedien? Da musst du jetzt fast Ja sagen, nicht wahr …

Ich hoffe es. Ich bin nicht absolut sicher. Als eine, die vor wenigen Jahren noch behauptet hat, kein Mensch werde diese unförmigen Smartphonedinger kaufen, bin ich nicht zwingend die Seherin vom Dienst. Und klar: Die Entwicklungen sind für niemanden günstig, also auch für ein linkes Presseprojekt nicht. Wenn überall die Inserateeinnahmen schrumpfen, dann tun sie das auch bei uns – halt einfach von eh schon wenig auf fast null. Aber so, wie es Leute gibt, die Biogemüse kaufen und Eier von glücklichen Hühnern und die dafür etwas tiefer in den Geldbeutel langen, so zähle ich darauf, dass es Menschen gibt, die bereit sind, sich eine gute Zeitung zu leisten oder dafür zu spenden. Vielleicht sogar für ein grösseres linkes Projekt?

Crowdfunding ersetzt den reichen Mäzen, den wir nicht haben?

Es braucht jedenfalls einen Gegenpol zur immer rechter werdenden Presselandschaft. Alle Blätter segeln nach rechts, und die Journis selber sind schon lange nicht mehr links, wie das vor 40 Jahren noch standesgemäss war. Aber den 40 Prozent der Bevölkerung von linksliberal bis links kann es doch auch nicht egal sein, wenn sie in der veröffentlichten Meinung überhaupt nicht mehr vorkommen. Derzeit sind alle linken Blätter, das «P.S.» inklusive, weitgehend irrelevant. Und das sollten wir ändern.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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