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Geflügel-Werbung und die mehrheitliche Wirklichkeit © Proviande/tier-im-fokus.ch

Lauterkeitskommission: Steilpass für Fleischwerbung

Kurt Marti /  Die Lauterkeitskommission der Werbebranche stützt schönfärbende Fleischwerbung mit einem fragwürdigen Werbe-Grundsatz.

Besonders in der Fleischwerbung klaffen Werbung und Wirklichkeit in der Tierhaltung oft weit auseinander. Dabei wird mit vorbildlich gehaltenen Schweinen, Hühnern und Kühen für Schweizer Fleisch im Allgemeinen geworben und damit auch der Absatz von Fleisch von Tieren gefördert, die unter weit weniger tierfreundlichen Bedingungen gehalten werden.

Mutterschwein mit Ferkeln

Wer die Differenz von Werbung und Wirklichkeit in der Fleischwerbung für irreführend beziehungsweise unlauter hält, kann bei der Lauterkeitskommission (siehe Kasten) eine Beschwerde gegen unlautere kommerzielle Kommunikation einreichen.

Lauterkeitskommission wird von der Werbebranche finanziert

Die Schweizerische Lauterkeitskommission (SLK), die sich selbst als «die neutrale, unabhängige Institution der Kommunikationsbranche» bezeichnet, wird von der Schweizer Werbebranche finanziert. SLK-Präsident ist der Zürcher CVP-Nationalrat und Kommunikationsberater Philipp Kutter. Die SLK handelt im Auftrag der «Stiftung der Schweizer Werbung für die Lauterkeit in der kommerziellen Kommunikation», der «alle bedeutenden Organisationen der schweizerischen Kommunikationsbranche» angeschlossen sind. Präsident des Stiftungsrats ist der abgewählte Tessiner CVP-Ständerat Filippo Lombardi.

In den letzten Jahren sind mehrere Beschwerden gegen Fleischwerbung eingegangen. Interessant dabei sind die Begründungen, welche die Lauterkeitskommission für Rückweisungen der Beschwerden angeführt hat.

Beispielsweise im Entscheid Nr. 114/20 der Lauterkeitskommission vom 11. März 2020 ging es um eine Beschwerde gegen ein Plakat der Kampagne von AOP-IGP, das ein Mutterschwein mit Ferkeln auf der grünen Wiese zeigt und dazu den Slogan «Nachwuchs fördern? Ja».

Laut dem Entscheid der Lauterkeitskommission ist der Beschwerdeführer der Auffassung, das Plakatsujet suggeriere, dass Produkte mit den Zertifikaten AOP (Appellation d’Origine Protégée) und IGP (Indication Géographique Protégée) aus besonders tierfreundlicher Haltung stammen würden. Die AOP-IGP-Zertifizierung betreffe aber nur die geschützte Herkunft, die aber nicht an besondere Tierwohl-Standards gebunden sei. Die Darstellung des Mutterschweins mit den Ferkeln auf der grünen Wiese entspreche deshalb nicht der Realität. Denn normalerweise würden Schweine nie eine Wiese sehen und jedes zweite Schwein bleibe sein Leben lang im Stall.

Fragwürdiger Werbe-Grundsatz

Auf den Vorwurf der irreführenden beziehungsweise unlauteren Werbung räumt die Beschwerdegegnerin ein, dass die idyllische Abbildung mit dem Mutterschwein und den Ferkeln im Grünen «nicht die Mehrheit der Schweinhaltungen» darstelle, wie es im Entscheid der Lauterkommission heisst. Es sei aber zulässig, «in der Werbung eine bestimmte Realität abzubilden, auch wenn dies einer Minderheit entspreche».

Diesen Werbe-Grundsatz spitzt die Lauterkeitskommission in ihrem Entscheid wie folgt zu:

«Ein Werbesujet ist nicht schon dann unrichtig, wenn es nicht die mehrheitlich zutreffende Situation zeigt, sondern erst, wenn es eine Situation präsentiert, die nie in der Realität anzutreffen ist.»

Laut diesem Werbe-Grundsatz ist also ein Werbesujet erst dann unrichtig beziehungsweise irreführend, wenn es nie in der Realität anzutreffen ist. Das heisst im Extremfall: Wenn von 1000 Schweinen oder Hühnern nur ein einziges gemäss Bio-Standard mit Weidgang gehalten wird und die anderen 999 in Massentierhaltung, dann ist es richtig beziehungsweise nicht irreführend, wenn mit dem einzigen Bio-Huhn beziehungsweise mit dem einzigen Bio-Schwein generell für den Konsum von Schweine- beziehungsweise Pouletfleisch geworben wird.

Das ist ein Steilpass für schönfärbende Fleischwerbung. Damit legitimiert die Lauterkeitskommission die krasse Differenz von Werbung und Wirklichkeit und beruft sich dabei auf die sogenannten «Durchschnittsadressaten», die grundsätzlich zu erkennen vermögen, «dass die Abbildung und Darstellung des beanstandeten Sujets nicht in jedem Fall den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen». Folglich vermag die Lauterkeitskommission im vorliegenden Fall «keine Irreführung zu erkennen».

Geflügelhaltung im «lauschigen Holzstall»

Diesen fragwürdigen Werbe-Grundsatz hat die Lauterkeitskommission in einem weiteren Entscheid (Nr. 113/18) angewendet. Proviande warb mit dem Slogan «Logenplätze für unser Geflügel» für die «Besonders tierfreundliche Stallhaltung» (BTS) von Geflügel. Zu sehen waren auf dem Bild drei herausgeputzte Hühner in einem rustikalen Hühnerstall (siehe Foto oben).

Dagegen reichte tier-im-fokus.ch eine Beschwerde ein. Die Proviande-Werbung sei irreführend, weil die meisten BTS-Hühner nicht wie auf der Werbung in kleinen Gruppen gehalten werden, sondern in industriellen Hallen mit Massentierhaltung.

Auf diese Kritik behauptete Proviande gegenüber der Lauterkeitskommission, dass die kritisierte Werbung nach dem Verständnis der «Durchschnittsadressaten», nämlich der «Fleischesser», zu beurteilen sei. Und dieser Durchschnitts-Fleischesser habe beim Betrachten der drei Hühner nicht den Eindruck einer Haltung in kleinen Gruppen.

Dieser erstaunlichen Einschätzung schloss sich die Lauterkeitskommission an und erklärte, der «Durchschnittsadressat» vermöge «grundsätzlich zu erkennen, dass die Abbildungen und Darstellungen nicht 1:1 den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen». Dieser sei sich sehr wohl bewusst, «dass auch in der Schweiz nicht alle Hühner in einem lauschigen Holzstall aufwachsen würden». Daher sei der «Gesamteindruck des vorliegenden Werbemittels» nicht zu beanstanden.

In einem Neben-Punkt hingegen gab die Lauterkeitskommission tier-im-fokus.ch Recht. Sie bezeichnete die Beschriftung des Plakats «Ausserdem hat das Geflügel in BTS-Ställen tagsüber stets Zugang zu einem Wintergarten» als «unlauter» und empfahl Proviande, darauf «inskünftig zu verzichten».

Schönfärbende Proviande-Werbung wirkt

Im Widerspruch zur Behauptung der Lauterkeitskommission, die «Durchschnittsadressaten» wüssten die Proviande-Werbung zu beurteilen, steht eine Umfrage des Meinungsforschungs-Instituts GFS im Auftrag von tier-im-fokus.ch. Aus dieser Umfrage folgt, dass die Bevölkerung das Label «Besonders tierfreundliche Stallhaltung» (BTS) als viel tierfreundlicher einschätzt, als es tatsächlich ist. Beispielsweise waren 70 Prozent der Befragten der falschen Meinung, dass die Landwirte gemäss BTS-Label maximal fünf Hühner pro Quadratmeter halten dürften. Tatsächlich sind es laut tier-im-fokus.ch 13 bis 17.

Ebenfalls falsch ist der Eindruck der Befragten, dass BTS-Masthühner auf die Weide gehen könnten. 88 Prozent waren dieser Ansicht. Tatsächlich schreibt das BTS-Labell laut tier-im-fokus.ch «keinen Weidegang vor». Mit dem BTS-Label verschleiere der Staat die Schweizer Massentierhaltung.

Die GFS-Umfrage zeigt, dass die Proviande-Werbung mit den Bildern von Vorzeigebetrieben durchaus bewirkt, dass die KonsumentInnen Fleisch aus Massentierhaltung kaufen, in der Annahme, diese stamme aus tierfreundlicher Haltung. Unter anderem diese Werbung führt dazu, dass der Fleischkonsum aus Massentierhaltung zunimmt, während der Fleischkonsum aus tiergerechter Haltung stagniert.

Vorstösse gegen die «Proviande-Propaganda»

Deshalb will der grüne Nationalrat und Rinderbauer Kilian Baumann in der Herbstsession des Nationalrats einen Vorstoss einreichen, um die vom Bund mit jährlich rund sechs Millionen Franken subventionierte «Proviande-Propaganda» zu stoppen, wie er gegenüber dem Online-Portal Nau.ch erklärte. Die Fleischwerbung von Proviande sei nicht nur «tendenziös», sondern auch «verfassungswidrig» (siehe dazu Infosperber: Subventionen für Proviande droht die Schlachtbank).

Im Interview mit Nau.ch begründete Baumann seinen Vorstoss wie folgt: «Die Werbung von Proviande ist absichtlich irreführend und schadet schlussendlich sogar uns Label-Fleischproduzenten. Die Bevölkerung erhält so das Gefühl, dass es um die Tiermast hierzulande gutstehe, und ist weniger bereit etwas zu verbessern.»

Auch die Schaffhauser SP-Nationalrätin Martina Munz will laut Blick mit einer Motion fordern, dass der Bund nur noch Werbung für Label-Fleisch unterstützt.

Bereits früher gab es eine parlamentarische Initiative von SP-Nationalrat Beat Jans gegen die Proviande-Subventionen. Sie wurde vom Nationalrat mit 115 zu 60 Stimmen abgelehnt. Ebenfalls auf Granit biss der grüne Nationalrat Balthasar Glättli mit seiner Frage beim Bundesrat.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

Kuh

Landwirtschaft

Massentierhaltung? Bio? Gentechnisch? Zu teuer? Verarbeitende Industrie? Verbände? Lobbys?

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4 Meinungen

  • am 22.08.2020 um 13:20 Uhr
    Permalink

    Warum sind solche arglistigen Täuschungen in Marketing u. PublicRelation auch in der industriellen Fleischproduktion immer erfolgreicher ?
    Ein Erklärungsversuch, die meisten Menschen haben keine Zeit oder nehmen sich die Zeit für anderes, als zu reflektieren. Mangels Übung leidet Erkenntnis- u. Urteils-Kraft. So leidet Mündigkeit u. Selbstaufklärung unter der Denkfaulheit einfach auf Meinungen zu hören u. geistig zu folgen.
    Gerne frage ich andere, woher haben sie die Meinung, die sie haben ?

  • am 22.08.2020 um 14:29 Uhr
    Permalink

    Ich bin selber Produzent und mich stört diese Werbung auch, weil es effektiv fast immer nicht der Wahrheit entspricht. Es dürfen keine Bundesgelder ausgeschüttet werden um die Produktion zu verfälschen, auch keine Subventionen. Ein Huhn wie in der Werbung kostet dann statt 5.00 eben 40 Franken. Nur die jetzt laut schreien, kaufen dann trotzdem das Billigste. Zum Schluss; Die Haltung hat nichts mit der Anzahl Tiere zutun.

  • am 22.08.2020 um 14:39 Uhr
    Permalink

    Wir haben als Organisation schon mehrmals versucht zu intervenieren – ohne Erfolg. Die Agrarlobby ist zu stark und unsere Politik zu schwach! Skandalös
    Marion Theus
    Alliance Animale Suisse

  • am 23.08.2020 um 14:05 Uhr
    Permalink

    Es gäbe eine simple u. kostengünstige lösung für o.g. probleme: vegetarier werden! ich ernähre mich seit über 30 jahren lactovegetabil vollwert-biologisch, bin seidem pumperlgsund und kann mir das trotz kleiner rente leicht leisten. vielleicht esse ich wieder moderat fleisch sobald massentierhaltung u. schlachthöfe abgeschafft sind. zitat: «solange es schlachthöfe gibt, wird es schlachtfelder geben».
    annalisa

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