Kühe

Weniger umweltfreundlich als behauptet: grasende Kühe im Berggebiet © Pixel-Sepp (Pixabay)

Lauterkeitskommission prüft Milch-Werbung

Pascal Sigg /  Milch fördere die Biodiversität, sagt Swissmilk in einer aktuellen Kampagne. Darüber hat sich Pro Natura beschwert.

Die Schweizer Kuhmilchwirtschaft fördere die Biodiversität, sagt Swissmilk, der Verband der Schweizer Milchproduzenten, in einer aktuellen Kampagne. Diese Kampagnenbotschaft hat Pro Natura kürzlich bei der Lauterkeitskommission beanstandet. «Die Aussagen des SMP sind fachlich ganz klar falsch. Herr und Frau Schweizer werden irrgeführt», schreibt Marcel Liner, Landwirtschaftsexperte von Pro Natura in der entsprechenden Mitteilung. Tatsächlich schädige die heute in der Schweiz praktizierte intensive Milchproduktion eindeutig die Biodiversität.

Der Verband Schweizer Milchproduzenten verbreitet in einem aktuellen Werbevideo und auf Plakaten: Schweizer Kühe fördern das CO2-Bindepotenzial und die Biodiversität von Schweizer Wiesen. Auf der Swissmilk-Website heisst es: «Unsere Weiden tragen zu einer hohen Artenvielfalt bei. Eine vielfältige Vegetationsstruktur fördert dabei die Biodiversität der Flora und Fauna in den Wiesen.»

Kühe fördern Biodiversität: Werbespot der Schweizer Milchproduzenten. Quelle: Youtube, Swissmilk

Inwiefern stimmt das? Alle Themen auf der eigenen Website seien mit Quellen belegt, behauptete Swissmilk-Sprecher Reto Burkhardt vor Kurzem in der BauernZeitung. Doch im Themen-Dossier Nachhaltigkeit auf der eigenen Website bleibt Swissmilk eine Begründung der positiven Wirkung der Milchwirtschaft auf die Biodiversität schuldig. Auf Nachfrage von Infosperber liefert Swissmilk hauptsächlich drei Argumente:

  1. «In der Schweiz ist eine kleinstrukturierte Landwirtschaft charakteristisch. Das heisst relativ viele kleine Betriebe, die unterschiedliche Betriebssysteme betreiben. Dadurch werden automatisch unterschiedliche Habitate gepflegt.» Weshalb eine potenzielle betriebliche Vielfalt auch automatisch zu Biodiversität führt, belegte Swissmilk jedoch nicht.
  2. Fast alle Milchviehbetriebe in der Schweiz würden den Ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN) mit einem obligatorischen Anteil an Biodiversitätsflächen erbringen. Dies ist erwiesen. Jedoch kommt ein Evaluationsbericht der Biodiversitätsbeiträge im Auftrag des Bundesamts für Landwirtschaft von 2019 zum Schluss, dass die Ziele des entsprechenden Direktzahlungsprogramms nur quantitativ, nicht aber qualitativ erreicht werden.
  3. Die heute als Kuhweiden genutzten Flächen würden bei Nichtnutzung verbuschen. Dies hätte eine niedrigere Biodiversität zur Folge. Auch hierfür liefert Swissmilk keine Belege.

Pro Natura argumentiert in der Beschwerde an die Lauterkeitskommission, dass die aktuell in der Schweiz praktizierte Milchwirtschaft der Biodiversität viel eher schade. Und zwar wegen des Stickstoffs. «Je grösser die produzierte Milchmenge in einer Region ist, desto höher sind die übermässigen Stickstoffemissionen und in Folge die Stickstoffdeposition und desto grösser die Schäden an der Biodiversität.» Um diese Korrelation zu illustrieren, stellt Pro Natura zwei Karten aus Berichten des Bundesamts für Landwirtschaft und des Bundesamts für Umwelt übereinander.

Überschreitung der Grenzwerte für Stickstoffimmissionen in der Schweiz 2015. Quelle: Bundesamt für Umwelt
Auswertung der Daten über die Milchproduktion Kalenderjahr 2017. Quelle: Bundesamt für Landwirtschaft.

Wie ein Faktenblatt des Forums Biodiversität der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz zeigt, ist die Beziehung zwischen Stickstoff und Artenvielfalt ziemlich gut belegt und erforscht. Darin heisst es: «Übermässige Einträge von Stickstoff und/oder Phosphor in die Umwelt beeinträchtigen Gewässer-, (Trink-)Wasser-, Boden- und Luftqualität, Treibhausgasbilanz, Waldfunktionen, Biodiversität sowie die menschliche Gesundheit.» Die Stickstoffverfügbarkeit reguliert das Wachstum der Pflanzen. Bei erhöhtem Stickstoffgehalt in der Luft verdrängen gewisse Pflanzen andere Arten. In der Schweiz stammen 70 Prozent der stickstoffhaltigen Luftschadstoffe von der Landwirtschaft.

Die Lauterkeitskommission muss nun also beurteilen, als wie biodiversitätsfördernd eine Kuh in der Schweiz dargestellt werden darf. Gemäss Marcel Liner von Pro Natura hat die Kommission den Eingang der Beschwerde bestätigt. Swissmilk hat nun längstens sechs Wochen Zeit, um auf die Pro-Natura-Beschwerde zu antworten. Ein Entscheid wird im Februar 2022 erwartet. Die Lauterkeitskommission ist ein Selbstregulierungsorgan der Werbebranche. Beschwerdeverfahren sind kostenlos, aber ihre Entscheide sind nicht verbindlich.

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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

6 Meinungen

  • am 12.11.2021 um 16:39 Uhr
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    Ich vermute nur wenige konventionelle Milchbauern wissen noch wie der in der Werbung gezeigte Schmetterling heisst, geschweige denn auf welche Pflanzen die Raupe angewiesen wäre. Mir scheint die Bauern lernen während der Grundausbildung viel über Tierhaltung, Ackerbau und Landmaschinen, aber leider nur wenig über biologische Wechselwirkungen. Ein benachbarter Bauer hat mir vor zwei Jahren ganz erstaunt erzählt, er habe im Fernsehen einen Bericht gesehen, dass die Biodiversität in der Schweiz stark zurück geht, für ihn war das ganz neu und er konnte sich das nicht erklären. Nun er güllt und mäht seine Felder 4-5 mal jährlich, entbuscht regelmässig die Waldränder und Hecken, ersetzt die kaputt gegüllten Hochstämmer in den Feldern nicht und mäht jedes Rändli und jede hinterste Ecke regelmässig mit dem Trimmer damit’s schön gepflegt aussieht. Viele Berufsleute müssen regelmässig Weiterbildungen besuchen, gibt es denn so etwas für die Bauern nicht?

    • am 13.11.2021 um 12:03 Uhr
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      An A.Seiler:
      Die Bauern haben eine riesige Lobby in den eidg.Räten. Die können tun und lassen was sie wollen.

  • am 13.11.2021 um 09:39 Uhr
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    Artgerecht gehaltene Kühe auf der Weide sind, zumindest wenn man der Arte Doku «ziemlich wilde Rinder» glauben schenkt, tatsächlich ein booster der Artenvielfalt. Allerdings hat die gezeigte Idylle nicht viel mit moderner Milchwirtschaft zu tun. Leider kann ich die Doku nicht mehr finden

  • am 13.11.2021 um 17:35 Uhr
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    Jeder Mähgang mit einem Kreiselmäher tötet gemäss Agroscope bis zu 50% der Insekten auf einer Wiese. Heute wird viel früher im Jahr und viel öfter gemäht als früher. Bodenbrütende Vögel haben da keine Chance mehr, ihre Jungen aufzuziehen, entsprechend stehen viele von ihnen auf der Roten Liste.
    Ebenso zugenommen haben die Kunstwiesen, die besonders artenarm sind.
    Dass die Swissmilk mit Biodiversität wirbt, ist daher geradezu ein Hohn.
    Die Biodiversität ist ohne den Eingriff des Menschen entstanden.
    Und sie würde sich erholen, wenn wir auf die Tierhaltung verzichten würden.
    Wir müssten dafür nur das Wildrind Wisent wieder ansiedeln. Denn mit seinem «Verbiss» und seinem «Trittschaden» hat es schon immer für beste Rahmenbedingungen für die Biodiversität gesorgt!

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