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Migros-Supermarkt in Lugano © Wikimedia

Die Migros muss ihre Seele wieder finden

Christof Leisinger /  Rät McKinsey trotz Rekorderlösen und sattem Gewinn der Bank zum Kahlschlag? Und wurden mit Benko 200 Millionen Franken versenkt?

Rekordumsatz und Krisenmeldungen – bei der Migros könnten die Aussendarstellung und die allgemeine Wahrnehmung in diesen Tagen kaum gegensätzlicher sein. Das Management des Schweizer Einzelhandels-, Produktions-, Banken- und Wohltätigkeitsriesen sonnt sich in der jüngsten Mitteilung, im vergangenen Jahr nach einem Plus von knapp sechs Prozent einen Rekordumsatz von knapp 32 Milliarden Franken erzielt zu haben und Marktanteile zu gewinnen.

Missmanagement und versenkte Immobilien-Millionen?

Kritiker dagegen werfen ihm vor, im Wettbewerb mit Konkurrenten wie Coop, Aldi, Lidl oder der hauseigenen Billigmarke Denner wegen grobem Missmanagement und niedrigen Margen nicht mehr mithalten zu können. Manche argwöhnen, er habe gleichzeitig im Immobiliengeschäft mit dubiosen Gegenparteien wie dem inzwischen insolventen österreichischen Immobilien-König René Benko etwas mehr als 200 Millionen Franken versenkt. Der Mann aus Innsbruck soll mit unnatürlich hohen Mietzinsen die Bewertung von Liegenschaften künstlich «hochgeföhnt» haben, um so an höhere Kredite zu kommen. Das könnte sich nun für die Migros rächen, entspräche die Summe der Ausfälle doch im Extremfall der Hälfte des Gewinns im Jahr 2022.

Die Gewinnmarge des grössten privaten Arbeitgebers der Schweiz ist dünn. Sie belief sich in den Jahren 2018 bis 2022 im Median gerade einmal auf 1,7 Prozent. Nur die Migrosbank steht scheinbar gut da. Diese steuerte schon in der Vergangenheit einen wesentlichen Anteil dazu bei, und tatsächlich konnte sie den Gewinn auch im vergangenen Jahr aufgrund eines starken Zins- und Handelsgeschäfts und wegen einer verbesserten Effizienz um 30 Prozent auf 313 Millionen Franken steigern. Er soll vollumfänglich einbehalten werden, um die Eigenkapitalbasis zu stärken, so die Bank. Sie ging am Dienstag bei der Vorlage der Zahlen nicht weiter auf einen Konsortialkredit von knapp 100 Millionen Franken ein, den sie bei einem Immobilienunternehmen offen hat, an dem auch Benko beteiligt ist.

migros umsatz
Rekordumsatz nur wegen starker Preiserhöhungen?

Ob dagegen der gesamte Migroskonzern im Jahr 2023 trotz der erfreulichen Umsatzzuwächse einen Gewinn erzielt konnte, ist noch nicht bekannt. Sicher ist jedoch, dass «die Herausforderungen gross bleiben. Um unseren Kundinnen und Kunden weiterhin Top-Leistungen bieten zu können, müssen wir unsere Marktposition nachhaltig stärken und die Wirtschaftlichkeit zwingend steigern», verlautbarte die Migros-Gruppe in ihrer Medienmittelung am 16. Januar.

In dieser werden Preissenkungen angekündigt, nachdem verärgerte Kritiker dem Konzern vorgeworfen haben, das inflationäre Umfeld schamlos ausgenutzt und den jüngsten Umsatzzuwachs vor allem mit hohen Preissteigerungen auf dem Rücken der Kunden erreicht zu haben. Die Preise des Supermarkt-Sortiments hätten sich im Jahresdurchschnitt um 4,3 Prozent erhöht, erklärte jüngst die Migros. Man wollte auf diese Weise von grobem Missmanagement in der Vergangenheit ablenken, behaupten dagegen die Nörgler und hoffen, die in den vergangenen Monaten beschlossene Reorganisation werde mit dem jüngsten Start der «Supermarkt AG» bald Früchte tragen.

Sind die Unternehmensberater nur Sündenböcke?

Mit Schlagzeilen wie «Migros-Misere: Jetzt kommt McKinsey» wollen verschiedene Medien die Vorzeichen für einen tiefgreifenden Strukturwandel und einen beachtlichen Stellenabbau beim «orangen Riesen» ausgemacht haben. «Die Berater messen die Leistung der Leute, legen die gewohnten Abläufe auf den Prüfstand, überlegen sich andere, günstigere Wege. Dann unterbreiten sie dem Management ihre Vorschläge – im Wissen, was diese von den geholten Beratern hören wollen. So können die Topshots schliesslich das Messer zücken, ohne selbst schuld am Abbruch zu sein, sondern McKinsey», heisst es beispielsweise bei Inside Paradeplatz.

Tatsächlich verbindet die «Mutter aller Strategieberater» und die Migros eine lange Partnerschaft, denn das amerikanische Beratungsunternehmen ist schon seit etwa acht Jahren omnipräsent beim schlingernden Einzelhändler. Hätten dessen Fachleute wirklich den Durchblick, wäre der Migros-Konzern gar nicht erst in die Ecke geraten, aus der er sich nun offensichtlich mühsam herausarbeiten muss. Insider jedenfalls wollen schon lange erkannt haben, was das Problem des in der Vergangenheit ziemlich komplex organisierten Gebildes war und ist.

migros gewinn
Die Gewinnentwicklung ist durchwachsen

In vielen Betrieben der Migros-Gruppe seien in den vergangenen 15 Jahren administrative «Wasserköpfe par excellence» herangewachsen, weil sie nicht kontrolliert worden seien – vor allem nicht von ihren Verwaltungsräten. Diese internen Abteilungen hätten sich mit sich selbst beschäftigt und dabei immer neue Mitarbeiter eingestellt. Einzelne Funktionen hätten angelsächsische Namen, die keinen Hinweis darauf gäben, wofür sie eigentlich da seien. Die dort beschäftigten Kolleginnen und Kollegen wüssten nicht einmal genau, für wen ihre Arbeit von Nutzen sei – sicher aber nicht für die Kundschaft.

So sei es zwar nur logisch, dass Mckinsey in diesen Bereichen den Hebel ansetzen werde. Aber eigentlich brauche man dafür keine teuren Berater, denn das könne jeder. Migros habe zehntausende von Mitarbeitenden, und da gebe es genug helle Köpfe, die das ebenso gut könnten. Die Skeptiker monieren, die Berater hätten in den vergangenen Jahren kaum etwas erreicht – und Migros solle sich stattdessen endlich wieder auf die Prinzipien des Gründers Gottlieb Duttweiler besinnen.

Kritiker fordern die Rückkehr zu den Prinzipien des Gründers

Was hat Dutti gemacht? Er setzte beim Produktsortiment und bei den Dienstleistungen auf solide Qualität zu niedrigen Preisen. Das sei bei «Ausschaltung nutzloser Zwischenhändler» ein einfaches und einträgliches Geschäft und stehe im Gegensatz zum «woken Marketing» von heute, welches die Kunden vertreibe und den Absatz nicht fördere. Es sei auch nicht in Einklang zu bringen mit den Investitionen in den für das Kerngeschäft nutzlosen Betrieben wie etwa Golfplätzen und Fitnesscentern, mit den wild wuchernden Regionalgenossenschaften oder mit dem Auslandsgeschäft. Die Migros habe die Seele verloren und müsse diese erst wieder finden, Berater schadeten da nur.

Skeptiker fürchten, das aktuelle Migros-Management sei nicht stark und entschlossen genug, um den gestrandeten Konzern mit einer auf Effizienz ausgerichteten Struktur wieder in Fahrt zu bringen. Im Gegensatz etwa zu Coop, wo man vor gut 20 Jahren sämtliche Regionalgenossenschaften auf einen Schlag mit der Basler Zentrale fusionierte, habe die Migros bisher die notwendige Tabula rasa vermieden. Die regionalen Ableger stellten die Verwaltungsräte sowie den Präsidenten der Supermarkt AG – und wer werde verhindern, dass sie primär an der Erhaltung des Status Quo interessiert seien?

Struktur von Migros
Die Struktur der Migros-Genossenschaften ist komplex

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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3 Meinungen

  • am 25.01.2024 um 22:54 Uhr
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    Mit der Einführung von internationalen Markenartikeln, wie Knorr, Coca-Cola, Thomy etc. als wichtige Produkte des täglichen Bedarfs, wollte die Migros Umsatz von der Coop etc. abziehen und eine engere Kundenbindung anstreben. Doch damit verlor die Migros die Basis der Duttweilerschen Philosophie und rückte vom Image her in die Vergleichbarkeit zu Coop. Sie überliess den Markt der preiswerten Produkte, die Grundlage der Migros Strategie und des Erfolges den Konkurrenten für einen erfolgreichen Markteintritt in der Schweiz: Aldi – einfaches Sortiment mit Eigenmarken – und Lidl – preisgünstige Markenartikel. Ironie des Schicksals, Migros konterte danach mit den «Budget-Produkten», «machte sich so selbst Konkurrenz». Heute hat die Migros zu viele und zu breite Sortimente, es sind die Regalplatz- und Profitfresser. Sie stecken an der Decke. Da herauszufinden, wird schwierig sein, Es bleiben eigentlich nur «Sparmassnahmen» – «die Seele zu finden » reicht nicht.

    • am 26.01.2024 um 11:39 Uhr
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      Ich fühle mich – wenn ich so die letzten Jahre ansehe – mit jedem Besuch in der Migros weniger «heimisch». Wenn ich Markenprodukte will, kann ich ja in den näher gelegenen Coop gehen (oder dann zu Lidl 🙂 – die Migros ersetzt immer mehr tolle Eigenprodukte durch Markenprodukte. Das ist sehr schade.
      Auch wenn das nur in einigen Filialen so sein sollte – das macht es nicht besser.

  • am 26.01.2024 um 15:08 Uhr
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    Das Grundproblem der Migros liegt bei ihrer Organisation mit einem Organigramm, das konträr zu jeder grösseren Firma ist (und bei der Reorganisation der Coop vor 20 Jahren umgekehrt wurde): das oberste Organ (neben den eigentlich belanglosen oder machtlosen Genossenschaftervereinigungen) sind die 12 regionalen Genossenschaften und nicht der Migros-Genossenschaftsbund. Der Konzern wird also quasi von den Filialen geführt und die Konzernleitung hat wenig zu sagen. Das hat zur Folge, dass eine gesamte Organisation in jeder Regionalgenossenschaft besteht, also jede mit einem eigenen Informatiksysteme (oft nicht kongruent), eigen Einkaufsorganisation, Personalabteilung, Presseabteilung usw und einer eigenmächtigen Direktion. Der Konzernzentrale bleibt wenig und aus dem wenigen resultieren unzählige Flops, die Liste wäre lang: M-Informatik, Diax usw, zuletzt mit den Kauf und Verkauf von Globus mit dem Buchhaltungstrick: überteuerter Verkauf (=Gewinn) gegen einen faulen Kredit (=Abschreiber).

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