Bergzone Landwirtschaft Lebensmittel Ulmizberg Köniz

Das Berggebiet (braun) beginnt bereits am Ulmizberg, vier Kilometer vom Bundeshaus entfernt. Grün sind die Gemeinden dargestellt, die teilweise im Berggebiet liegen. © swisstopo

Das Märchen von den Bergprodukten

Marco Diener /  Bergmilch oder Bergkäse stammen nicht unbedingt aus den Bergen. Sie können auch aus Köniz BE kommen – 4 km vom Bundeshaus entfernt.

Unter der Marke «Heidi» verkauft die Migros einen Liter Vollmilch zu Fr. 1.95. Das ist relativ teuer. Denn M-Budget-Vollmilch gibt es für Fr. 1.13 pro Liter. Aber: Die «Heidi»-Milch stammt laut Etikette «aus dem Berggebiet».

Bei Coop gibt es Vollmilch der Marke «Pro Montagna» zum Preis von Fr. 1.90. Gleichzeitig ist die Prix-Garantie-Vollmilch für Fr. 1.10 pro Liter zu haben. «Pro Montagna» steht laut Coop «für authentische Produkte, hergestellt und verarbeitet in den Schweizer Berggebieten».

Gesetzlich geregelt

Wer nun meint, die Kühe würden zwingend in den Bergen grasen, der täuscht sich. Sie müssen einfach in der Bergzone gemäss Landwirtschaftlicher Zonen-Verordnung leben. Für die Einteilung in die Bergzone gelten laut Verordnung «in absteigender Bedeutung folgende Kriterien:

  • die klimatische Lage, insbesondere die Dauer der Vegetationszeit;
  • die Verkehrslage, insbesondere die Erschliessung vom nächstgelegenen Dorf und vom nächstgelegenen Zentrum her;
  • die Oberflächengestaltung, insbesondere der Anteil an Hang- und Steillagen».

Am Uetliberg

Die Auswirkungen dieser Bestimmungen sind grotesk:

  • So beginnt das Berggebiet schon am Ulmizberg BE – auf einer Höhe von nicht einmal 640 Metern über Meer und gerade mal vier Kilometer vom Bundehaus entfernt.
  • Teile des Uetlibergs ZH vor den Toren der Stadt Zürich gehören zum Berggebiet.
  • Am Randen SH hat es einen Flecken Berggebiet mit einer Fläche von gerade mal 0,3 Quadratkilometern.
  • In St-Gingolph VS reicht das Berggebiet bis hinunter an den Genfersee – auf eine Meereshöhe von 374 Metern.
  • Und in Brissago TI bis hinunter ans Ufer des Langensees (193 Meter über Meer).

Zum Berggebiet gehören auch Teile von Gemeinden wie Richterswil ZH, Egg ZH, Neuenhof AG, Oensingen SO, Triengen LU oder Baar ZG. 39 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in der Schweiz liegt in der Bergzone. Weitere 14 Prozent in der Hügelzone.

Nach Estavayer

Grundsätzlich muss die Herstellung der Lebensmittel «in einer ganz oder teilweise im Berggebiet gelegenen Gemeinde» erfolgen. Produkte vom Ulmizberg beispielsweise müssten an sich in der Berner Agglomerationsgemeinde Köniz hergestellt werden. Aber das Gesetz sieht viele Ausnahmen vor. Zum Beispiel für die Verarbeitung von Milch und Rahm, für die Reifung von Käse, die Schlachtung von Tieren und das Schleudern von Honig. Und so kommt es, dass die «Heidi»-Milch der Migros nicht im Berggebiet pasteurisiert wird, sondern in Estavayer FR am Neuenburgersee. Die «Pro-Montagna»-Milch hingegen wird im Berggebiet, wie es im Gesetz definiert ist, verarbeitet. Die «Berner-Oberland»-Milch beispielsweise in der «Chrüzwäg-Chäsi» in Schwarzenegg.

Weitere Ausnahmen

Das Gesetz legt auch fest, dass «alle Zutaten landwirtschaftlichen Ursprungs» aus dem Berggebiet stammen müssten. Allerdings gibt es auch da Ausnahmen. Zum Beispiel für Zucker. Er darf auch aus dem Flachland stammen.

Milchbauern erhalten nicht mehr

Und wer verdient eigentlich an den eingangs erwähnten Produkten aus dem Berggebiet? Immerhin kostet die «Heidi»-Milch der Migros 73 Prozent mehr als die M-Budget-Milch. Und auch die «Pro-Montagna-Milch» von Coop kostet 73 Prozent mehr als die Prix-Garantie-Milch. Die Migros schreibt zwar: «Die Migros zahlt ihren Milchproduzenten einen kompetitiven, überdurchschnittlichen Preis.» Doch die Bauern im Berggebiet profitieren nicht davon. Weder am Ulmizberg noch im richtigen Berggebiet. Auch Coop zahlt den Milchbauern keinen höheren Preis, spendet aber fünf Rappen «an die Coop-Patenschaft für Berggebiete zur Unterstützung der Bergbauernfamilien in der Schweiz.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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5 Meinungen

  • am 19.02.2023 um 11:35 Uhr
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    Danke, absurde Verhältnisse werden hier aufgezeigt; wie so oft, werden die gutgläubigen Konsumenten auf üble Art ausgenommen.

    Sie haben die Story aber auch unnötig aufgebauscht: Die 1 L Berg-Packungen mit den extra verbilligten 2 L Standard-Milchpreisen verglichen. Der natürlichere Vergleich wäre gewesen mit der 1 L Standard-Milch, die nicht extra für Tieflöhner reduzierte Preis haben. Hand aufs Herz, das wissen sie, denn sie hätten, wären bei der Standardmilch die Liter-Preise in den 2 L Packungen höher gewesen als in den 1 L Packungen, ja natürlich die 1 L Packungen als Vergleich herangezogen.

    Dass die Budget-Produkte (und Grosspackungen) durchs Band billiger sind als Standard, und die Selection-Produkte teurer als Standard, ist ja ein anderes Thema, sollte man mit der spezifischen Bergmilchabzocke nicht einfach vermischen.

    Schade, auch bei Infosperber Stories so unnötig ‹verreisserischt› zu sehen, dennoch danke für den Artikel zum leider nicht überraschenden Marktgeschehen.

  • am 19.02.2023 um 13:21 Uhr
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    Ojeh, das ist relativ. Jedenfalls ist Schweizer Landwirtschaft mit mehr Handarbeit und Bewirtschaftung kleinerer Flächen verbunden. Ich durfte vor langer Zeit ein Praktikum in Kalifornien machen. Mandeln. Die werden unter Einsatz grosser Maschinenparks geerntet und angebaut. Aus Sicht der USA dürfte die gesamte Milchproduktion des Landes als Bergmilch bezeichnet werden.

  • am 19.02.2023 um 15:53 Uhr
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    Die Migros könnte auch mal ausrechnen und veröffentlichen, wie viele endlose Autobahn- und Kantonsstrassen-Kilometer im «tatsächlichen» Berggebiet von Kühe-Futterweiden gesäumt sind, die samt Reifenabrieb letztendlich wo landen? «Heidiland-Idylle», wo gibts das noch ausser in PR-Wortklangmalerei?

  • am 19.02.2023 um 18:58 Uhr
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    Es sind bei Coop aber immer noch 75 Rappen vermisst.
    Da poppen doch gleich Bilder vor meinen Augen auf, von wegen tierliebe Massentierhaltung in Deutschland, von idyllischen Hühnerställen, von glücklichem MSC-Fisch und FSC-Holz aus Rumänischen Primärwäldern die eigentlich Nationalparks wären, und hinter all die Label her geworfen die vielen CO2-Zertifikate dazu. Oh, Nutriscore hab ich vergessen. Und «Fairtrade mit Mengenausgleich». Und es geistern plötzlich Bilder von Klimakleber vor meinen Augen herum, die mit dem Flieger nach Bali in die Ferien fliegen – selbstverständlich CO2-Kompensiert, was sonst. Womit wir beim alten Spruch mit der Sintflut angekommen wären.
    Fehlt nur noch das klimafreundliche Heizöl – und wen wundert es an dieser Stelle noch? Auch das gibt es schon:
    https://www.agrola.ch/de/waerme/heizoel/preisentwicklung.html

    Lachen verboten.

  • am 20.02.2023 um 08:18 Uhr
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    Vielen Dank für die Infos. Aber was ist genau die Kritik? Was das Ziel? Sind Migros, Coop und Co. oder die vom Volk gewählten Parlamentarier für die Gesetze verantwortlich?
    Dass Detailhändler Gewinne erwirtschaften wollen und müssen und vereinzelte Produkte teurer verkaufen ? Bashing der Detailhändler? Kritik an der Entlöhnung der Bauer? Grundsatzkritik an der Marktwirtschaft? Kritik am Filz und Unfähigkeit der Politiker? Wo bleiben die konstruktiven Lösungsvorschläge? Meiner ist: Allen ein indexiertes, existenzsicherndes, zweckgebundenes Grundeinkommen bezahlt durch Umsatzabgaben, MWST, Lenkungsabgaben, Gewinn- und Einkommenssteuern und on the Top kleine Leistungslöhne für jene, die Arbeit haben. Dann spielt der Preis und Sozialwerke nur eine untergeordnete Rolle.

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