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Orangenpflücker in einer Plantage der Louis Dreyfus Company © Marcos Weiske/Public Eye

Orangenpflücker arbeiten sich krumm für einen Hungerlohn

Red. /  Schuften bis zum Umfallen für einen Lohn, der kaum zum Leben reicht: Das ist bittere Realität der Orangenpflücker in Brasilien.

Die Orangenernte in den grossen Plantagen im Norden von São Paulo ist Knochenarbeit: Mit dem leeren Sack über der Schulter die Leiter hoch, Orangen pflücken bis der Sack voll ist und die Früchte zur Sammelstelle tragen. Ein voller Sack kann 30 Kilo schwer werden, rund 3000 Kilogramm Orangen pro Tag muss ein Arbeiter ernten. Um das Soll zu erfüllen, schuften die Pflückerinnen und Pflücker fast pausenlos. Dafür gibts Ende Monat umgerechnet 230 bis 360 Schweizer Franken – aber nur für die produktivsten Arbeiter. Ein Hungerlohn, der bei weitem nicht zum Leben reicht. Eine Familie in Brasilien benötigt mindestens 800 Franken im Monat für Miete und Güter des täglichen Bedarfs, hat das Intergewerkschaftliche Institut für Statistik und sozioökonomische Studien (DIEESE) ausgerechnet.
Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen beklagen es seit langem: Arbeiter auf brasilianischen Orangenplantagen werden systematisch ausgebeutet. Zusammen mit der brasilianischen Organisation Repórter Brasil hat Public Eye die Arbeitsbedingungen auf den Plantagen in der Region São Paulo untersucht und in der Reportage «Bittere Orangen» gravierende Missstände dokumentiert: Schwarzarbeit, keine existenzsichernden Löhne, intransparente Lohnabrechnungen, heruntergekommene Arbeiter-Unterkünfte und fehlender Gesundheitsschutz.

In der Kritik steht auch die Louis Dreyfus Company (LDC), einer der wichtigsten Player im millionenschweren Orangensaft-Business. Der Agrarrohstoffhändler mit Hauptsitz in Rotterdam wickelt einen Grossteil seiner globalen Geschäfte über die Genfer Schaltzentrale ab. In Brasilien besitzt LDC gemäss eigenen Angaben 38 Zitrusplantagen mit insgesamt über 25’000 Hektaren Anbaufläche. Hinzu kommen zahlreiche Zulieferbetriebe und drei Anlagen, in denen die Orangen zu Konzentrat oder Saft verarbeitet werden.
34 Arbeiter wohnten in einem alten Hühnerstall
Gemäss Recherchen von Public Eye und Repórter Brasil haben die brasilianischen Behörden in den letzten zehn Jahren 200 Verstösse gegen das Arbeitsgesetz in LDC-Betrieben festgestellt. Die Hälfte davon betreffe die Gesundheit und Sicherheit der Arbeiter. Vor zwei Jahren musste das Unternehmen 120’000 Franken Busse zahlen, weil 34 Arbeiter in einem alten Hühnerstall untergebracht waren.
Brasilien ist der wichtigste Exporteur von Orangensaft. 85 Prozent der weltweiten Produktion stammen aus diesem Land. Dabei kontrollieren nur drei Betriebe 75 Prozent des Weltmarkts: die brasilianischen Unternehmen Cutrale und Citrosuco und die Louis Dreyfus Company. Mit dieser geballten Marktmacht können die Grossunternehmen massgeblich über die Produktionsbedingungen und Preise bestimmen – vom Anbau der Orangen auf den Plantagen über die Herstellung von Saft bis zum Abfüllen und Vertrieb.
Gegenüber Public Eye versichert LDC, kein Mitarbeiter in LDC-Betrieben erhalte weniger als das gesetzliche Minimum von umgerechnet 190 Franken im Monat. Und wer die Leistungsziele des Betriebs übertreffe, könne den Lohn mit Produktionsprämien aufstocken. Allerdings beklagen sich ArbeiterInnen bitter, auch mit allfälligen Prämien reiche der Lohn nicht zum Leben, zudem sei das Bonus-System kompliziert und die Lohnabrechnungen nicht transparent.
Prekäre Bedingungen in Zuliefer-Betrieben
Noch schlechtere Bedingungen hat Public Eye auf Plantagen von LDC-Zulieferern angetroffen. Viele Pflückerinnen und Pflücker schuften dort zu Dumpinglöhnen im Akkord. Trotzdem erreichen einige nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn. Aus Angst, ihre Arbeit zu verlieren, nehmen sie die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen stillschweigend hin.
Die Erntehelfer stammen überwiegend aus dem Nordosten Brasiliens, wo es viele arme Dörfer und kaum Arbeit gibt. Hier, im Zitrusgürtel des Bundesstaats São Paulo, hoffen die Saisonarbeiter auf gutes Geld. Manche von ihnen wurden mit falschen Versprechen von zweifelhaften Vermittlern als Erntehelfer angeworben und Tausende Kilometer von ihrem Heimatort entfernt in einer Plantage abgeliefert.
Die Arbeit zwischen den endlosen Orangenbaumreihen bei strömendem Regen oder bei brütender Hitze ist nicht nur hart, sondern auch gefährlich. Es drohen Stürze von der Leiter und Verletzungen durch die Dornen der Orangenbäume. Es gibt giftige Schlangen und Spinnen, zudem sind die PflückerInnen Pestiziden ausgesetzt, die in den Monokulturen massenhaft versprüht werden. Oft müssen die Pflücker ohne Schutzkleidung arbeiten.
Kontrolleure werden abgeblockt
Kontrollen finden kaum statt. Hohe Zäune und Sicherheitspersonal verhindern den Zugang zu den Plantagen – auch für Behörden und Vertreter von Gewerkschaften. «Wir wissen nicht, was derzeit auf den Landwirtschaftsbetrieben geschieht», gibt der Staatsanwalt des Arbeitsministeriums, Rafael de Araújo Gomes, unumwunden zu. Und er sagt auch, die Ermittlung bei mutmasslichen Verstössen gegen das Arbeitsrecht sei zunehmend schwierig, auch weil sich die Politik immer weniger um die Rechte der Arbeiter kümmere.

Doch was unternimmt die Louis Dreyfus Company gegen die prekären Arbeitsbedingungen in Plantagen von Zulieferern? Gegenüber Public Eye lässt LDC verlauten, man verlange von Dritten, «dass sie unserer guten Praxis folgen». «Unsere Teams vor Ort überwachen die Tätigkeiten der Lieferanten durch regelmässige Besuche.» Doch der Staatsanwalt des Arbeitsministeriums widerspricht: «Unternehmen wie Louis Dreyfus und Cutrale schauen weg», sagt er. Sie wollten die Missstände gar nicht sehen, weil sie Probleme machen könnten. Die Devise der Grossunternehmen: «Begnügt euch damit, Orangen zu pflücken und sie mir zu liefern. Ich will nicht wissen, wie ihr das macht.»


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2 Meinungen

  • am 16.08.2020 um 13:03 Uhr
    Permalink

    Ich empfehle zu diesem Thema die Berichte, Recherchen und Aktionen der Christlichen Initiative Romero CIR aus Münster (BRD), die immer wieder in ihrer Zeitschrift «presente» über dieses Thema berichtet.

  • am 17.08.2020 um 11:26 Uhr
    Permalink

    Es ist müssig die Plantagenbesitzer zu beklagen.
    Nehmen wir uns Konsumenten, Importeure, Handel und Grossverteiler and der Nase.
    Wir wollen nicht mehr den Preis bezahlen der in der Landwirtschaft benötigt wird zum Überleben und die Arbeiter mit gerechtem Lohn zu bezahlen.

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