Herde auf einer Wanderroute in Kenia.mongobay

Herde auf einer Wanderroute in Kenia © mongobay

Kenia verliert wegen Schwindel mit CO2-Zertifikaten Weideland

Susanne Aigner /  Die weltweit führende Händlerin von CO2-Zertifikaten Verra verkauft falsche Zertifikate. Opfer sind unter anderen Wanderhirten.


Aktuell: Verra-CEO tritt nach Zertifikat-Skandal zurück

dg. David Antonioli, Chef des weltgrössten CO2-Zertifikate-Händlers Verra tritt zurück. Seine Zeit als CEO ende am 16. Juni, gab Antonioli am 22. Mai in einem Statement auf Linkedin bekannt. Nach «15 fantastischen Jahren» übergebe er an die jetzige Präsidentin Judith Simon. 

Antoniolis Rücktritt folgt einer Recherche der deutschen «Zeit», des britischen «Guardian» und des Recherchemediums «SourceMaterial», bei der sich herausstellte, dass ein Grossteil der von Verra verkauften Zertifikate wertlos sind. 94 Prozent von Verras Kompensationsprojekten hätten entweder gar keine positive Klimawirkung oder die Wirkung sei übertrieben, berichteten die Recherchepartner im Januar 2023. Kunden wie Gucci stellten daraufhin ihre Kompensationspraxis um. Antonioli hat die Existenz von «Phantomzertifikaten» stets bestritten. 

Unter den Opfern sind Nomade-Bauern in Kenia, wie dieser Bericht zeigt.

Weiterführend:

Infosperber am 6.2.2023: Der Skandal um die Klima-Zertifikate
Guardian von 22.5.2023: CEO of biggest carbon credit certifier to resign after claims offsets worthless

Das Northern Kenya Grassland Carbon Project (NKGCP) im Norden Kenias sei das bisher weltweit erste und grösste Projekt, das mit veränderten Weidepraktiken Kohlendioxid im Boden speichert und damit Gutschriften generiert, behauptet die Organisation Northern Rangelands Trust (NRT). Traditionell bestehende Weidesysteme, welche die indigenen Borana und Samburu seit Jahrhunderten betreiben, sollen einem kollektiviertes, zentral kontrolliertem System weichen. Damit die Weidepläne umgesetzt werden können, darf das Vieh das Projektgebiets nicht verlassen. Deshalb würden Wanderrouten, die sich nach Trocken- und Regenzeiten ausrichten, unterbrochen, kritisiert Simon Counsell in seinem Report für Survival International.

Die Borana verurteilen das Projekt als «grünen Betrug». Es zerstöre nicht nur traditionelle Weidepraktiken, sondern gefährde ihre Ernährungssicherheit, beraube sie ihrer Lebensgrundlagen und Kultur. In einem Video beklagt der Borana-Anführer Abdullahi Hajj Gonjobe, in welcher Weise die pastorale Lebensweise der Indigenen durch das geplante Weideprojekt zerstört wird.

In einer Erklärung verurteilt der Ältestenrat das Vorgehen und begründet dies wie folgt:

  • Es gab grobe Menschenrechtsverletzungen durch den NRT gegen die indigenen Hirtengemeinschaften in Nordkenia.  
  • Die indigenen Gemeinschaften wurden weder ausreichend informiert, noch stimmten sie dem zu.
  • NRT will verhindern, dass die indigen Gemeinden ihr Land registrieren, weil die Organisation nur nicht registrierte Ländereien kommerziell verwerten kann. 

Die Borana fordern, dass der NRT das Land der Gemeinde räumt und seine  Finanzberichte für das Projekt veröffentlicht. Wegen des fortgesetzten Raubes an den Ressourcen der Gemeinschaft erwägen sie zudem weitere rechtliche Schritte gegen NRT einzuleiten.

In der Region leben rund Hunderttausend Menschen, darunter die indigenen Samburu, Massai, Borana und Rendille, die zumeist als Hirten ihren Lebensunterhalt verdienen. Ihre Lebensweise ist untrennbar mit ihren Rindern, Kamelen, Schafen und Ziegen verbunden. Die Tiere beweiden die Flächen je nach lokalen und regionalen Niederschlägen. Die Wanderrouten und Weidemuster werden von den Ältesten nach etablierten Regeln festgelegt, wobei diese Hunderte Kilometer lang sein können. Die «ungeplante» traditionelle Beweidung werde als nachhaltige Weidewirtschaft in der Region seit vielen Jahrhunderten angewandt. Weder verändert sie die Vegetation, noch ist sie mit dem variablen CO2-Gehalt des Bodens verknüpft. 

Rotationsweiden schützen Klima nicht besser als traditionelle Weideformen

Das Northern Kenya Grassland Carbon Project, dass 2013 initiiert wurde, umfasst dreizehn Naturschutzgebiete. Das ist etwa die Hälfte der vier Millionen Hektar der zu NRT gehörenden Naturschutzgebiete. Diese sollen theoretisch zum Nutzen von Wildtieren und der lokalen Bevölkerung bewirtschaftet werden. Es handle sich um eine «naturbasierte Lösung», bei der Naturschutzprogramme mit dem Verkauf von Emissionsgutschriften an umweltverschmutzende Unternehmen finanziert werden, werben die Akteure des Northern Rangelands Trust (NRT). Es diene dem Aufbau eines grossen Finanzierungsprogramms für Naturschutzprojekte in Afrika. Mit den zusätzlichen Einnahmen sollten die Flächen für Wildtiere und Pflanzen wiederhergestellt, ausgeweitet und geschützt werden. Basierend auf der Annahme, dass durch geplante Rotationsbeweidung die Vegetation stärker wächst, werde in den Böden im Schnitt 1,75 Tonnen mehr pro Hektar und Jahr gespeichert als durch traditionelle Beweidung, denn diese degradiere die Böden, behauptet NRT. Angeblich werde im NKCP rund 1,5 Millionen Tonnen zusätzliches Kohlendioxid pro Jahr gespeichert. Über einen Projektzeitraum von 30 Jahren würde dies rund 41 Millionen Nettotonnen CO2-Zertifikate für den Verkauf erzeugen. Deren Bruttowert würde sich auch 300 bis 500 Millionen US-Dollar belaufen. 

Doch diese Angaben hat der NRT nie hinreichend belegt. Es gibt keine empirischen Analysen oder Daten, die zeigen, dass die geplante Rotationsbeweidung Kohlendioxid besser und stärker im Boden bindet als indigene traditionelle Weideformen. Stattdessen ignoriert der NRT, dass die «ungeplante Beweidung» seit vielen Jahrhunderten von den Indigenen angewandt wird und sich stets als nachhaltig bewährte.

Verra verdiente Millionen an wertlosen Zertifikaten

Von 2013 bis 2016 generierte das NRT-Projekt 3,2 Millionen CO2- Zertifikate. Der Wert dieser Verkäufe wird auf 21 bis 45 Millionen US-Dollar geschätzt. Die meisten davon gingen an Netflix und an Meta Platforms. Von 2017 bis 2020 wurden weitere 3,5 Millionen Gutschriften verifiziert und 1,3 Millionen davon verkauft.

Vor Kurzem allerdings hat Verra die Ausgabe von Zertifikaten ausgesetzt. Dies sei ein «Zeichen für erhebliche Bedenken im Hinblick auf die Legitimität des NRT-Projektes», erklärt Survival International. 

Zertifiziert wurden die «Emissionsausgleichsprojekte» im Northern Kenya Grassland Carbon Project durch Verra. Die Organisation mit Hauptsitz in Washington gilt als weltweit führende Händlerin von CO2-Zertifikaten. 

Verra steht schon länger in der Kritik – etwa mit dem Verkauf von CO2-Zertifikaten über das Verified Carbon Standard-Programm aus Wiederaufforstungsprojekten. Der Handel basiert auf der Annahme, dass nicht gerodete Wälder Kohlendioxid einsparen. So verdienen Waldbesitzer daran, dass sie Bäume stehen lassen, anstatt das Holz zu verwerten. Wissenschaftler bezweifeln allerdings, dass diese «zertifizierten» Wälder tatsächlich gerodet werden würden, wenn die Waldbesitzer kein Geld bekämen. 

Die meisten Zertifikate, die auf Waldschutzprojekten basieren, seien weitgehend wertlos. Sie könnten die globale Erwärmung sogar verschlimmern, heisst es in einem Bericht, den die britische Zeitschrift «Guardian» im Januar veröffentlichte. Demnach handelt es sich bei mehr als 90 Prozent der am häufigsten verwendeten Regenwald-Zertifikate um «Phantomgutschriften», für die kaum bis gar kein CO2 reduziert wurde. 94 Prozent der Kredite haben keinerlei Nutzen für das Klima, wie die Autoren belegen. In ausführlichen Recherchen untersuchten sie rund 60 Verra-Waldprojekte, darunter solche, bei denen Zertifikate für «Waldschutz» erzeugt wurden. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

3719017725_8c14405266

Die Klimapolitik kritisch hinterfragt

Die Menschen beschleunigen die Erwärmung der Erde. Doch kurzfristige Interessen verhindern griffige Massnahmen.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

Eine Meinung zu

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...