Kommentar

kontertext: Klimaerzählungen zwischen Wut, Paranoia, Hoffnung

Silvia Henke ©

Silvia Henke /  Zwei aktuelle Bücher wählen diametral verschiedene Methoden, die Klimakatastrophe zu erzählen. Mit welchem Ergebnis?

Seit einiger Zeit ist klar, dass die Auswirkungen des Klimawandels auch mit unserem Gefühlshaushalt etwas anstellen. Bereits vor zehn Jahren hat der renommierte Klimaforscher Hans-Joachim Schnellnhuber in seinen Forschungen zur Erderwärmung eine Palette möglicher emotionaler Reaktionen zwischen Angst, Verleugnung und Trauer mit ihren Folgen für die Klimapolitik offengelegt («Selbstverbrennung», 2015). Jüngere Klimaforscher:innen aus den Gesellschaftswissenschaften widmen sich aktuell vertieft dieser Frage und fragen dabei nach neuen Erzählweisen für die Klimakrise. Denn es hängt im Moment sehr viel davon ab, wie die schlechten Prognosen überhaupt erzählt werden können, ohne in den Strudel des Apokalyptischen oder aber in die Gleichgültigkeit der Wiederholung zu geraten.

KlimaUNgerechtigkeit

Das Sachbuch «KlimaUNgerechtigkeit» der Klimaforscherin Friederike Otto hat sperrige Titel: Weder Gerechtigkeit noch Ungerechtigkeit lässt sich einfach erzählen und das Klima an sich ist kein Protagonist. Vielmehr ist KlimaUNgerechtigkeit eine Chiffre für das Desaster der gegenwärtigen Weltlage. Der Untertitel des Buchs: «Was die Klimakatastrophe mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat» adressiert entsprechend die globale Komplexität der Ursachen und Folgen von Klimakatastrophen. Das kann abschreckend wirken. Doch Otto schafft auch verkürzte Narrative. Jenes für die KlimaUNgerechtigkeit lautet: Die Profitmaximierung durch Rohstoffhandel geht immer mehr zu Lasten fast aller, insbesondere der Armen in den Ländern des globalen Südens und dort insbesondere der Frauen, weil diese sich am wenigsten schützen können. Es ist ein empörendes Narrativ.

Friederike Otto verfolgt nun zwei Erzählstränge, um den Sinn für Gerechtigkeit zu wecken und die Leser:innen mitzunehmen. Zum einen legt sie dar, mit welchem Vokabular Medien und Wissenschaft weiterhin neutral von «Klimawandel» und «Hitzewellen» berichten und damit Katastrophen camouflieren. Deshalb berichtet sie in ihrem Haupterzählstrang nicht von abstrakten Temperaturkurven und Treibhausgasen, sondern von Hitze, Dürre, Feuer und Flut auf fünf Kontinenten im Prisma von acht spezifischen Katastrophen. Sie lässt es aber nicht bewenden bei Katastrophenberichten, sondern zeigt deren Kontexte auf und leitet daraus die Frage ab, wie ein wirksamer Schutz für die Menschen vor Ort gelingen könnte. Sie fragt nicht einmal nach Gerechtigkeitssinn als Maxime fürs Handeln, sondern rechnet damit, dass Menschen primär sich schützen wollen. Und dass erst eventuell die Politiker:innen die Menschen in «ihren» Ländern schützen wollen. Für diese Konkretheit hat sie 2023 den deutschen Umweltpreis erhalten.

Katastrophen und Menschenleben

Anders als viele solastalgische Klimaerzählungen, die auf Trauer und Sorge um die Natur beruhen, zählt Otto also gefährdete Menschenleben und spricht nicht von Naturschutz, sondern von Menschenschutz. Sie verkürzt die grosse Perspektive von Raubbau, Überkonsum, Ausbeutung und Erderwärmung und fragt nach den Voraussetzungen für Katastrophenschutz. Die wichtigste wäre, dass Katastrophen als solche wahrgenommen und so bezeichnet werden. Dafür braucht es in erster Linie Messungen und Daten. Heisst: die Extremwetter und Toten eines Landes oder einer Region müssen gezählt werden, das wäre genauso wichtig wie die Kurven der Treibhausgasemissionen zu messen, wie es das Pariser Klimaabkommen festgelegt hat. Nur wenn die Politik zur Kenntnis nimmt, wie viel wir schon verloren haben, wie viele Menschen bereits gestorben oder vertrieben sind, und dass wir erst am Anfang stehen in der Zunahme von Extremwetter, trifft sie die notwendigen Massnahmen, so Otto. Das betrifft die Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 genauso wie die Hitzetoten in Afrika, die Hungertoten in Folge von Dürre oder die Buschbrände in Australien. Dass dies nicht passiert, hat mit aktiver Verleugnung zu tun wie in Australien oder aber – am Beispiel von Gambia – damit, dass es gar keine Wetterdaten gibt, welche die vermehrten Todesfälle mit Hitzekurven in Verbindung bringen. Entsprechend gibt es trotz jährlich steigender Hitze und Dürre keine Hitzeaktionspläne. Es geht Otto also nicht um apokalyptische Prognosen, sondern um Warnungen. Nur wer vor realen Gefahren gewarnt wird, kann und wird sich schützen. Die eindringlichste Erkenntnis des Buchs lautet mithin: Es müssen andere Geschichten erzählt werden von Katastrophen, global und regional, damit Klimapolitik à jour gebracht werden könnte. Das Buch hat also die Qualität, ein moralisches Sollen zu verringern zu einem Können. In diesem Sinn befördert es das, was der Ideenforscher Peter E. Gordon aktuell bei Adorno freigelegt hat, nämlich dass man die Desaster des Bestehenden zur Kenntnis nehmen kann, ohne zu verzweifeln, weil man nur daraus die Ideen eines gerechteren Lebens schöpft.

«Das Problem bin ich»

Nikolaj Schultz, Schüler und Mitarbeiter des verstorbenen Bruno Latour, beginnt seine Klimaerzählung «Landkrank» (englisch «Landsickness», französisch «Mal de Terre») an einem anderen Pol, nämlich im eigenen Schlafzimmer. Eine nächtliche Paranoia bringt den Erzähler Schultz in einer Hitzenacht in Paris um den Schlaf. Nicht nur die Hitze ist schuld, sondern die Unmöglichkeit, den Ventilator einzuschalten, erhöht dieser doch nur weiter den Co2-Ausstoss. Dieses Dilemma führt ihn zur Feststellung, dass praktisch alle Aspekte seines Lebens mit diesem Problem verbunden sind, soweit dass er, schwankend zwischen Paranoia und Pathos, sagt: «Das Problem bin ich».

Diese Verstrickung wird vertieft im Hauptteil des Essays, der eine Reiseschilderung ist zur Île de Porquerolles, auf welcher der Erzähler, wie die meisten Menschen im Sommer, ein Stück Entkommen aus der Zivilisation sucht. Das Ergebnis: Die Insel, die wie viele südliche Regionen zwischen Wasserknappheit und steigendem Meeresspiegel um ihre Existenz bangen muss, leidet im Sommer an einem Übertourismus, der jede Hoffnung auf echte Erholung moralisch und physisch zunichte macht. Durch Begegnungen mit Einheimischen und Beobachtungen kommt Schultz zum Schluss, dass der Kapitalismus heute in der Phase einer neuen Ausbeutung gelandet ist. Nicht mehr nur die Arbeitskräfte, sondern auch die Territorien werden ausgebeutet von jenen, die das nötige Geld dafür haben – auf Kosten anderer, die sich keine Reisen leisten können, und, schlimmer: die es sich mitunter nicht mehr leisten können, ihre eigenen Territorien zu bewohnen.

«Landkrank»

Die Diagnose von Nicolaj Schultz zu diesem Desaster lautet: «Landkrankheit». Was wir den Territorien, der Natur zufügen, macht uns selber «landkrank». Dabei unterscheidet Schultz nicht zwischen Natur und Menschen: das Land (la terre) umfasst im Sinne des Terrestrischen bei Bruno Latour alles, was von der Erde lebt. Elegant und bestechend am Essay von Schultz ist nun, wie er die konkrete Bedeutung von «Landkrankheit» – das Empfinden eines schwankenden Bodens nach dem Verlassen eines Boots – metaphorisch ausweitet für ein spezifisches Lebensgefühl, welches das Schwanken als Bewegung aufnimmt wie das in den Wellen und Winden schwankende Segelboot, das sich jeden Moment seinen Kurs neu suchen muss. Erst das bewegte Meer führt ihn zu einer Übereinstimmung mit seiner emotionalen Landschaft. Die Angst ist am Ende des Essays gewichen, weil der Erzähler hier «mit den Problemen» ist, statt sie zu kontrollieren oder auszuweichen. Im Sturm der Elemente (der schon begonnen hat), gilt es, so die Schlussfolgerung von Schultz, von Piraten zu Seeleuten zu werden, vom Plündern ins Verhandeln überzugehen und sogar «aus einer zerstörerischen Fahrt eine glückliche Reise zu machen.»

Hoffnung konkret

Niemand, der sich länger mit der Entwicklung der Erderwärmung, dem Zynismus der Klimapolitik und der Ohnmacht guter Ideen beschäftigt, ist gefeit gegen die Gefühle der Hoffnungslosigkeit, Wut und Verzweiflung. Die düsteren Analysen sind gemacht. Die beiden Bücher bringen Ansätze eines anderen Verständnisses hervor, indem sie pragmatisch wie Friederike Otto auf die Kombination von Fakten setzen – woraus allerdings eher ein Bericht als eine Erzählung wird. Eine solche legt Nicolaj Schultz vor, indem er tief genug in sich und in die Sprache eindringt, um das Bekannte neu zu formulieren. Seine Erzählung ist damit nicht weniger wahr als das Sachbuch von Otto. Sie zeigt einfach zusätzlich, dass Hoffnung ohne eine säkulare Form der Transzendenz kaum zu haben ist. So endet der Essay von Schultz mit der Vision, dass das schwankende Schiff unterwegs ist zu einer anderen Erde, die wir wirklich bewohnen werden und wieder träumen können. Ohne Klimaschutz und ohne 2050 die Klimaziele von Paris zu erreichen, bleibt diese Vision auf dem Weg zu neuen Ufern natürlich prekär. Aber eine andere Hoffnung gibt es nicht.

Nachsatz: Den Seniorinnen sei Dank

Die Reaktionen der Rechten in der Schweiz auf das Strassburger Urteil für wirksamen Klimaschutz als Menschenrecht geisseln diese Hoffnung aktuell als Ideologie, verhöhnen sie als naiv und undemokratisch. Die Klimaseniorinnen werden in der NZZ als «Strohfrauen» von Greenpeace bezeichnet, von Skandal und dreister Einmischung des europäischen Gerichtshofs spricht die SVP in ihrer Medienmitteilung. Sie zeigen damit die zementierte Ignoranz einer politischen Klasse, die den Klimanotstand als ausserordentliches Problem nicht zur Kenntnis nehmen will. Dass sogar eine sogenannt progressive Stadt wie Basel (das den Klimanotstand ausgesprochen und eine Klimagerechtigkeitsinitiative umzusetzen hat), mit dem Bau des gigantischen Rheintunnels nichts Besseres weiss als Verkehr umzuleiten statt ihn zu vermindern, zeigt, dass es eine andere Politik braucht, der Schutz kommt nicht vom Himmel. Das Urteil kann die Hoffnung auf diese andere Politik beflügeln, den Seniorinnen sei Dank.

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  • Friederike Otto, KlimaUNgerechtigkeit. Was die Klimakatastrophe mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat, Ullstein 2023
  • Nicolaj Schultz, Landkrank (Engl. Landsickness, frz. Mal de Terre), Suhrkamp 2024


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Silvia Henke ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und Publizistin. Sie unterrichtet an der Hochschule Luzern Design & Kunst u.a. Kunst und Politik und visuelle Kultur. Forschungsschwerpunkte sind Kunst und Religion, künstlerisches Denken, transkulturelle Kunstpädagogik. Sie interessiert sich grundsätzlich für die Widersprüche der Gegenwart, wie sie auch in der Medienlandschaft auftauchen, und veröffentlicht regelmässig Texte und Kolumnen in Magazinen und Anthologien.
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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5 Meinungen

  • am 11.04.2024 um 17:06 Uhr
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    Wiederum hier eine seltsame Fixierung auf das Kohlendioxid, wo doch soviele andere Faktoren Einfluss auf Erkaltung und Erwärmung und überhaupt auf das Wetter in einer Klimazone haben. Nicht primär eine Erwärmung sondern jahrhundertelanger Raubbau an Böden, Pflanzen, Tieren und anderen Ressourcen, extreme Ausbeutung durch Monokulturen, Kolonialismus, fehlende Boden- und Wasserpflege und besonders enorme Einkommensunterschiede verursachen die Probleme, die den Autoren «Angst» machen. Unregulierte Megacities in Asien und Afrika sind natürlich viel anfälliger für Extremwetter. Im Ahrtal kam es so schlimm, weil die Verantwortlichen zu spät und zu wenige Maßnahmen ergriffen. Viele Waldbrände entstehen durch Brandstiftung um günstig an Bauland zu kommen. Im Artikel traut sich eine Erzählerfigur nicht, den Ventilator einzuschalten wegen dessen CO2-Emmission – das hat mit Wissenschaft nun wirklich nichts mehr zu tun.

    • am 13.04.2024 um 08:51 Uhr
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      Danke an Paul Schön.

  • am 12.04.2024 um 08:20 Uhr
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    Ich halte den Ansatz «ich bin schuld» für genau verkehrt, da entmachtend. Ob ein schwitzender Autor nach Ventilator oder Klimaanlage benutzt, verblasst komplett for dem Terroranschlag auf Nordstream, oder dem Manöver einer Flugzeugträgerflotte die um die Welt fährt um kleine Länder mit der Macht des Imperiums zu bedrohen.
    Was mir Hoffnung macht, ist die Produktion und Installation von Solaranlagen durch China, welche beide den Rest der Welt inkl. Europa und USA übersteigen. Statt über «Überkapazität» zu reklamieren, sollten wir Aufbau von Solarkapazität in Europa einfordern, egal ob wir mit Velo oder SUV zu einer Demo fahren. Die grossen und nötigen Reformen finden nicht im Schlafzimmer statt. Die Bevölkerung im Westen muss die Westlichen Staaten wieder in unsere eigenen Hände bringen, die Regierungen zwingen, in unserem Sinne zu arbeiten. Nichts weniger als grundlegende Systemreform in Europa und den USA ist nötig, um einer Revolution vorzubeugen.

  • am 12.04.2024 um 13:20 Uhr
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    Dass auch  die ‹Altengeneration› sich weiter  im Sinne des guten Lebens aller engagiert, freut mich das sehr.

    Allerdings bin ich bezüglich Klimaschutz als Menschenrecht einzuklagen noch am Zweifeln ob und wie das Sinn macht?

    Verhält es sich nicht so, dass Menschenrechte nicht abstrakt verhandelt können werden für das politisch Wünschenswerte, sondern nur der konkrete individuelle Anspruch des Einzelnen gegenüber dem Staat und/oder seinen Mitmenschen? Kann das, was die Klimaseniorinnen eingeklagt haben, vom Staat geleistet werden?

    Selber  als «Alte»  engagiert  gegen Krieg  und  für  eine Transformation des vorherrschenden zerstörerischen  Wirtschaftens müsste ja jetzt als  Konsequenz aus dem EGMR-Urteil all das sofort aufhören.Schön wär’s.

    • am 13.04.2024 um 12:10 Uhr
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      Wieder einmal wird das Ahrtal benutzt um den schrecklichen Klimawandel zu betonen. Dabei wissen wir, das dort schon vor hunderten von Jahren überschwemmungen vorkamen. Aber immer mehr Menschen bauen ihre Häuser immer näher an den Gewässern; ist halt schön, sie gleich vor dem Balkon zu haben. Normalerweise.

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