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Kleider, die auf einer Müllkippe zum Trocknen aufgehängt sind. © cc-by-nc-nd The Donkey Sanctuary

Vernichtung neuer Kleider: Verlässliche Angaben fehlen

Daniela Gschweng /  Wie viele neuwertige Textilien landen im Müll? Im neuen BAFU-Bericht stehe dazu leider wenig Konkretes, kritisiert Public Eye.

In der Schweiz werden etwa 0,3 Prozent der unverkauften Textilien vernichtet – diese Zahl stammt aus einem Bericht vom 15. Februar, den das Bundesamt für Umwelt (BAFU) im Auftrag des Bundesrates erstellt hat.

0,3 Prozent – das tönt nach wenig. Doch die Datengrundlage dafür sei bestenfalls vage, kritisiert «Public Eye». Das BAFU stütze sich auf eine ganze Anzahl Schätzungen und liefere keine verlässlichen Angaben. Statt Klarheit zu schaffen, wie viel neuwertige Kleidung in der Schweiz vernichtet werde, zeige der Bericht lediglich die Intransparenz der Branche auf. Griffige Lösungsansätze suche man ebenfalls vergebens.

Worum es im Abfallbericht geht

Der Bericht «Abfallwirtschaft, Abfallvermeidung, Abfallplanung, Messung» befasst sich nicht nur mit Kleidung, sondern auch mit Bauabfällen und Foodwaste. Das BAFU sollte im Auftrag des Bundesrats feststellen, wie Schweizer Unternehmen mit nicht verkauften Waren umgehen.

Kleidung spielt im globalen Müll-Casino eine wichtige Rolle. Besonders im Handel mit schnelllebiger Mode (Fast Fashion) fallen grosse Mengen ungetragener Kleidung an, die nicht mehr in den Verkauf gelangt. Bei den Retouren ist die Schweiz weltweit Spitzenreiter.

Händler sind zwar verpflichtet, einwandfreie retournierte Waren wieder in den Verkauf zu bringen. Der Aufwand, die Kleider zu prüfen, könne aber «dazu führen, dass die Vernichtung wirtschaftlicher ist als die Weiterverwendung», so das BAFU. 14 vom BAFU angefragte Kehrrichtverbrennungsanlagen gaben an, es sei keine «systematische Vernichtung von Retouren aus der Fast-Fashion-Branche» bekannt.

Welche Daten das BAFU hatte und wozu sie führen

Um herauszufinden, wie viel neue Kleidung im Handel übrig bleibt, führte das BAFU Interviews mit Händlern, Recyclingunternehmen und Entsorgern. Fünf Prozent der Ware im Textilbereich wie Schuhe, Kleider und Haushaltstextilien würden nicht verkauft, gaben 56 Unternehmen an. Diese 56 Betriebe decken laut BAFU «50 Prozent des Schweizer Textilmarktes ab».

Die grossen internationalen Unternehmen und damit die grössten Fast-Fashion-Verkäufer beantworteten die Fragen des BAFU nicht.

Diese Selbstauskunft sieht «Public Eye» kritisch. «Welche Firma gibt schon gerne die Vernichtung neuwertiger Produkte zu?», gibt die Organisation zu bedenken. Die Zahlen liegen deutlich unter den Schätzungen einer Studie von 2018, nach der ein Viertel aller Textilien nicht verkauft werden, stellt das BAFU selbst fest.

Wie die 0,3 Prozent vernichteter Textilien genau zustande kommen

Eine Studie aus den Niederlanden stellte 2014 mit einer ähnlichen Stossrichtung wie der aktuelle Bericht fest, dass «schätzungsweise sechs Prozent» aller Textilien unverkauft blieben. Die Schätzung basierte auf Interviews und Umfragen. Knapp sechs Prozent der unverkauften Kleidungsstücke werden vernichtet, davon wiederrum drei Prozent durch Downcycling und 2,8 Prozent durch Verbrennung.

Ausserdem gaben zehn Prozent der vom BAFU befragten Unternehmen an, unverkaufte Textilien «zu exportieren, zu re- oder downcyceln oder in einer Kehrrichtverbrennungsanlage zu entsorgen».

Aus dieser Selbstauskunft der Schweizer Händler über fünf Prozent unverkaufte Kleider plus den Daten von 2014 aus den Niederlanden schliesst das BAFU dann, dass 0,3 Prozent der produzierten Textilen vernichtet werden – genauer: von fünf Prozent Neuware werden sechs Prozent vernichtet. Wahrscheinlich sei der Anteil höher, bemerkt der Bericht einige Sätze später.

Dabei bleiben einige Lücken. Nicht abschätzen kann das BAFU,

  • was grosse Fast-Fashion-Labels mit nicht verkauften Kleidern tun, besonders aber
  • was Online-Händler mit retournierten Kleidern tun. Das deutsche Medium «Flip» deckte vor einigen Monaten auf, wie Retouren tage- bis wochenlang im Lastwagen über Europas Strassen gefahren werden, statt weiter- oder wiederverwertet zu werden.
  • Was mit Kleidern passiert, deren Logistik aus dem Ausland gesteuert wird. Diese machen aber den grössten Teil der in der Schweiz angebotenen Textilien aus.
  • Wie viele an Textilsammelstellen gespendete Kleider vernichtet werden. Dass einige auch neuwertig vernichtet werden, zeigte eine Recherche zu gebrauchten Sneakers von «Flip» (Infosperber berichtete).

Am Ende wieder die Konsumenten

Anhand der Kleidermengen, die Schweizerinnen und Schweizer jährlich kaufen und allgemeiner Zahlen dazu, wie oft sie getragen werden, sowie Daten darüber, wie viele Kleider pro Person in Textilsammlungen abgegeben werden, schätzt das BAFU weiter, dass deutlich mehr neuwertige Textilien direkt über Privatpersonen entsorgt werden als über den Handel.

Man erfährt also, dass mindestens 0,3 Prozent der in der Schweiz zum Verkauf stehenden Textilien und Schuhe vernichtet werden, dass Konsument:innen einen unbekannten Teil der verkauften Kleidung ungetragen wegwerfen und Europa ein blinder Fleck ist – abfallseitig zumindest.

In einem Punkt sind sich BAFU und Public Eye einig

Der Bundesrat habe mit dem Abfallbericht eine Chance verpasst, wichtige Daten zum Umgang mit Abfällen zu erheben, kritisiert «Public Eye». Nur diese brächten die Branche einer echten Kreislaufwirtschaft näher.

Mehr Transparenz wäre also sehr wünschenswert. Um das Datendunkel zu lichten, könnten Händler zu Berichterstattung verpflichtet werden. Das schlägt nicht nur Public Eye seit Jahren vor, sondern auch das BAFU in seinem Abfallbericht.

Die Schweiz beobachtet einmal mehr, was die EU tut

Da endet aber schon die Einigkeit. Public Eye drängt, die Auskunftspflicht umgehend ins Umweltschutzgesetz zu schreiben. Das BAFU will Daten aus Deutschland und Frankreich abwarten. Dort ist es seit 2020 verboten, neuwertige Waren zu vernichten. Sie müssen stattdessen gespendet oder rezykliert werden – auch wenn das teurer ist als Verbrennen.

Beobachten will man auch die weitere Entwicklung auf EU-Ebene. Falls dort ein umfassendes Kreislaufgesetz in Kraft treten sollte, stünde die Schweiz ohne gesetzliche Regelung da – wenn auch nicht ohne Kleider.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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