Strand_ in_Accra_Ghana

Plastikmüll am Strand bei Accra, der Hauptstadt von Ghana © Muntaka Chasant

Reiche Länder überhäufen die armen mit Plastikmüll

Daniela Gschweng /  Die Menge des Plastikabfalls, den reiche Länder den armen schicken, wurde bisher drastisch unterschätzt.

Industrieländer entsorgen ihren Abfall schon lange im Ausland. Ein grosser Teil davon sind Kunststoffe. Die Weigerung Chinas, das seit 2018 keinen Plastikmüll aus dem Ausland mehr annimmt, änderte daran wenig. Wie viel Plastik dabei aus den reichen Ländern in die armen gelangt, wurde bisher jedoch drastisch unterschätzt. Entweder weil Plastik als Recyclingmüll reist oder weil es sich in anderen Müllströmen verbirgt.

Millionen Tonnen Plastikmüll werden nicht erfasst

Mindestens 1,8 Millionen Tonnen versteckter Plastikmüll, die aus der EU, Japan, Grossbritannien und den USA exportiert werden, werden jedes Jahr nicht erfasst. Das zeigt eine Analyse der schwedischen Organisation IPEN (International Pollutants Elimination Network). Ein internationales Forschenden-Team hat dafür zusammen mit der Non-Profit-Organisation Daten der Vereinten Nationen (UN) über den globalen Müllhandel untersucht.

Die Lücke ergibt sich unter anderem durch die Art der Erfassung von Müllströmen. Als Summe des globalen Plastikmüllaufkommens gelte normalerweise die Kategorie HS 3915 «waste, parings, and scrap of plastic» (Plastikabfälle, -schnitzel und -teile), erklärt IPEN. Damit ist aber längst noch nicht aller Plastikmüll erfasst.

Unsichtbarer Plastikmüll in Textilien und Papier

Das System richtet sich nach Fertigungsprozessen und ist aus Konsumentensicht eher schlecht nachvollziehbar. Nicht als Plastikmüll gilt beispielsweise ausrangierte Kleidung, obwohl Textilien zu 60 bis 70 Prozent aus Kunststoff bestehen. Etwa 500’000 Kilogramm Plastik fehlen deshalb in der Statistik.

Kleiderabfälle fallen unter «Garnabfälle und Spinnstoff aus Synthetik» (HS 5505) oder aber unter «gebrauchte Kleidung und Zubehör» (HS 6309). Vor allem die EU-Länder exportieren sehr viele Abfälle dieser Kategorie.

Die UN gehen davon aus, dass Kleidung recycelt wird und betrachtet sie deshalb oft gar nicht als Müll. Das sei falsch, argumentiert IPEN und zitiert Zahlen von Greenpeace: Zwei Fünftel der Gebrauchtkleider seien nicht wiederverwertbar.

Plastikmüllströme IPEN UN
Viele Plastikexporte aus Industrieländern werden gar nicht als solche erfasst. Verstecktes Plastik findet sich zum Beispiel in den Kategorien HS 6309 und HS 5505, die gebrauchte Kleidung bezeichnen.

Unsortierter Papiermüll, der in Ballen exportiert wird, enthält ebenfalls zwischen fünf und 30 Prozent Kunststoff. Im Jahr summiert sich das auf 1,3 Millionen Tonnen Plastikexporte, die als Papier-Recyclingmüll deklariert sind.

Zusammen machen diese beiden Abfallströme 1,8 Millionen Tonnen aus, was die bisherige Schätzung aus der oben erwähnten Kategorie «Plastikabfälle, -schnitzel und -teile» mehr als verdoppelt. Bezieht man verstecktes Plastik mit ein, exportiert Grossbritannien 18-mal so viel Plastikmüll wie jetzt bekannt, die EU-Länder mehr als doppelt so viel und für die USA würden sich die bisherigen Zahlen vervierfachen.

Da nicht alles am globalen Müllhandel dokumentiert ist, sind diese Zahlen Schätzungen. In der Realität lägen sie vermutlich höher. Abfälle wie Kunststoffe im Elektromüll und Gummi kämen noch dazu. Über diese gebe es jedoch zu wenig Daten, sagt die Hauptautorin des Reports, Therese Karlsson von IPEN, zu «Grist». Was wir bisher über Müllexporte wüssten, sei deshalb eher «die Spitze des Müllbergs», schreibt IPEN.  

Eine grosse globale Ungerechtigkeit

Dabei geht es nicht nur um eine grössere Menge Plastikmüll, die bisher unbeachtet blieb, sondern auch um eine grosse globale Ungerechtigkeit. Die Müllberge aus Übersee belasten die ohnehin schwachen Entsorgungssysteme armer Länder, sie gefährden die Gesundheit der lokalen Bevölkerung und verschmutzen dort die Umwelt.

In der giftigen Suppe, die aus Deponien und Verbrennungsstätten in Wasser und Boden gelangen und die Umwelt für lange Zeit verseuchen können, finden sich zum Beispiel PCB (polychlorierte Biphenyle). PCB sind sehr giftig und seit mehr als 20 Jahren weltweit verboten.

Welche Chemikalien wo zu finden seien, sei ein Ratespiel, sagt Karlsson, die ein Exportverbot für Plastikmüll, bessere Regulierung und mehr Kontrollen von Müllexporten fordert. Die petrochemische Industrie mache die Bestandteile ihrer Produkte nicht immer transparent. Von den mehr als 10’000 einzelnen Chemikalien, die in der Kunststoffproduktion verwendet werden, ist etwa ein Viertel potenziell gesundheitsschädlich. Einige Chemikalien reichern sich in der Umwelt und im Körper an, weil sie nicht zerfallen oder sich ans Körperfettgewebe binden.

Die Welt ertrinkt in Plastik, wenn sich nichts ändert

Falls sich keine Alternativen finden und die Plastikproduktion nicht abnimmt, wird sich das Problem vervielfachen. Schätzungen zufolge wird die Menschheit bis 2050 etwa 26 Milliarden Tonnen Plastikmüll produziert haben. Zum Vergleich: Bis 2017 waren es noch 8,3 Milliarden Tonnen, 2020 schon 10 Milliarden Tonnen. Derzeit werden etwa 9 Prozent davon recycelt und mindestens die Hälfte deponiert. Das heisst, der Grossteil ist noch immer da, liegt in Deponien oder schwimmt in den Ozeanen der Welt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

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4 Meinungen

  • am 10.04.2023 um 14:27 Uhr
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    Eigentlich müssten die Grossverteiler und Verkaufsstellen für die Rücknahme und fachgerechte Entsorgung der Plastik/Kunststoff-Verpackungen verantwortlich gemacht werden. Es ist schließlich ihr Müll. Der Kunde kauft nicht die Verpackung, diese dient nur zum Schutz und Transport des gekauften Gutes. Der Kunde kauft lediglich den den Inhalt. Deshalb müssten Grossverteiler und Verkaufsstellen auch zur Rücknahme von Verpackungen verpflichtet werden – sie haben dazu die Transport-Infrastruktur und das Know-How, diese fachgerecht zu entsorgen. So kann man sicherstellen, dass der Plastik nicht im Export nach Asien oder Afrika und dann im Meer landet, sondern in der hiesigen Verwertung oder Kehrichtverbrennung.

    • am 11.04.2023 um 10:30 Uhr
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      Lieber Herr Fehr, als Bewohner der schönen Gemeinde Herrliberg haben sehr wohl auch Sie Zugriff auf die nötige Infrastruktur und das Know-how, um die von Ihnen gekauften Plastikverpackungen, derer Sie Sich besser nicht schon unmittelbar nach dem Kauf im Laden entledigen sollten, fachgerecht zu entsorgen. Meines Erachtens besteht das Hauptproblem aber darin, dass in vielen aufstrebenden Ländern zwar die Lieferketten auch schon auf massivem Einsatz von Plastikverpackungen beruhen, die für dessen Entsorgung nötigen Strukturen aber noch fehlen. Diese auch in ärmeren Ländern aufzubauen, wäre eine weltweite Aufgabe, für die es wohl eine Art Marshall-Plan bräuchte. Zivilisationskritisches Gejammer macht zwar den Konsumenten ein schlechtes Gewissen und lässt dadurch die Einnahmen etlicher NGO’s sprudeln, dürfte aber zur Behebung dieses weltweiten Problems wenig beitragen.

    • am 11.04.2023 um 11:29 Uhr
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      Idealerweise ergreifen schon Hersteller von Verpackungsmaterial die Initiative, Plastikflaschen und Folien mit einem Streumuster eines klar identifizierbaren Produkte-Codes zu bedrucken. Damit könnte Leergut auf ein Fliessband gelegt schon beim Detailhändler an der Selbstscanner-Kasse maschinell sortiert werden. Auch wild weggeworfener Verpackungsmüll könnte in 100%tiger Reinheit zurück geführt werden.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 10.04.2023 um 14:28 Uhr
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    Zum Glück gilt die EU nach der Wertewende als Strahlenheld der Umweltpolitik.

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