Kommentar

Tripolis wird nicht nur für Migranten zur Falle

Gudrun Harrer © zvg

Gudrun Harrer /  Donald Trump ergreift in Libyen Partei für General Hafta und verhindert einen Aufruf des UN-Sicherheitsrats zur Waffenruhe.

Ist die Empörung echt, so ist sich die internationale Gemeinschaft für einen kurzen Moment weitgehend einig über den Wert von Menschenleben, auch wenn es sich um Migranten handelt: Wären die mindestens 44 Personen, die am 3. Juli bei einem Luftangriff in Libyen getötet wurden, im Mittelmeer je nachdem ertrunken oder vor dem Ertrinken gerettet worden, wäre das nicht so eindeutig.
Das bombardierte Lager in Tajura am östlichen Rand der libyschen Hauptstadt ist nur eines von dutzenden, in denen tausende Menschen interniert sind. Viele von ihnen haben die Überfahrt nach Europa bereits versucht. Dass sie durch die neue Runde des libyschen Bürgerkriegs, die mittlerweile in den vierten Monat geht, besonders gefährdet sind, ist bekannt. Direkt neben dem getroffenen Ort liegen Militärlager von mit der offiziellen Regierung Libyens verbündeten Milizen. Schon zuvor gab es irrtümlichen Beschuss, ganz abgesehen davon, dass die Lebensumstände der Migranten in den Lagern katastrophal sind, auch Essen ist knapp.
Regierungsfreundliche Kräfte behaupten, dass der Angriff am 3. Juli von der LNA (Libyan National Army) von General Khalifa Haftar ausging. Haftar wurde Ende Juni im strategisch wichtigen Gharyan südwestlich von Tripolis zurückgeschlagen. Das habe ihn bewogen, den Luftkrieg zu intensivieren, heisst es. Der 75-Jährige beschuldigt hingegen die Kräfte rund um Fayez al-Sarraj. Er ist Premier der im Dezember 2017 mithilfe der UNO kreierten «Regierung der nationalen Einheit» – die aber das Versprechen in ihrem Namen nie einlösen konnte.

Festgefahrene Fronten im Libyen-Krieg




Die grosse Spaltung
Haftar kontrolliert fast den gesamten Osten und seit Jahresbeginn auch Teile des Süden Libyens mit den bedeutenden Ölfeldern. Die Spaltung zwischen Tripolis und Bengazi, wo Haftar residiert, begann schon vor den Parlamentswahlen 2014, die dann letztlich zu zwei Regierungen und zwei Parlamenten führten. Trotz laufender diplomatischer Verhandlungen mit Sarraj und einer bevorstehenden nationalen Dialogkonferenz griff Haftar am 4. April 2019 Tripolis an.
Seine Ankündigung, er werde die libysche Hauptstadt von «Terroristen» säubern, verfing zwar bei einigen Staaten und Personen – auch bei US-Präsident Donald Trump, der am Donnerstag eine Erklärung des UNO-Sicherheitsrates zum Angriff auf Tajura verhinderte. Andererseits führte die Ansage Haftars aber zum Zusammenrücken der zahlreichen, sonst konkurrierenden Milizen von Tripolis und Umgebung. Etliche davon sind tatsächlich islamistisch oder auch einfach kriminell und fühlen sich nur nominell Sarraj zugehörig. Aber es gelang ihnen, Haftars Offensive aufzuhalten.
Kein Einlenken
Die Situation ist festgefahren, sowohl militärisch als auch politisch. Sarraj schlug Mitte Juni eine Friedensinitiative vor – unter Ausschluss Haftars, den er der Kriegsverbrechen beschuldigt. Das negiert die Unterstützung, die dessen Kurs im Osten geniesst. Haftar hingegen will erst verhandeln, wenn Tripolis «befreit» ist. Die befürchtete Pattstellung, die sich noch Monate hinziehen könnte, ist also Realität geworden.
Laut UNO sind seit April etwa 100’000 Menschen aus den Vororten von Tripolis geflohen, Hunderte wurden getötet, Tausende verletzt. Die UNO hat bereits vor dem Massaker in Tajura die Verlegung der Flüchtlingslager gefordert, die libysche Regierung hat jedoch andere Prioritäten. Es gibt Berichte, dass Wachmannschaften nach dem Bombardement auf aus dem Lager flüchtende Migranten schossen.
Eine uneinige internationale Gemeinschaft ist einem neuen diplomatischen Anlauf nicht zuträglich. Haftar, der selbsternannte Islamistenfresser, findet Unterstützung in Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die ihn laut UNO auch militärisch beliefern, und hat gute Kontakte zu Russland. Laut Haftar wird die Gegenseite dafür aktiv von der Türkei unterstützt.
Die US-Position ist, wie bei so vielen aussenpolitischen Themen, gespalten zwischen der traditionellen Diplomatie und dem Weissen Haus beziehungsweise den Scharfmachern rund um Trump. Wurde der Beginn der Offensive Haftars noch mit einer US-Mahnung kommentiert, dass es keine militärische Lösung gebe, stellte sich Trump kurz danach persönlich hinter den General.
Dass die USA am 3. Juli eine Erklärung des UNO-Sicherheitsrats zu Tajura verhinderten, kam dennoch eher überraschend. Dabei ging es eher nicht um die Verurteilung des Bombardements, sondern um die Forderung nach einem Waffenstillstand. Offenbar zählt Washington darauf, dass Haftars «Terroristen»-Bekämpfung auch die Reste des «Islamischen Staats» (IS) in Libyen trifft. Aber Beobachter sind der Meinung, dass gerade der neue Krieg das Wiederaufkommen des IS begünstigt.

Dieser Beitrag erschien zuerst im «Standard».

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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Gudrun Harrer ist leitende Redakteurin des österreichischen «Standard» und unterrichtet Moderne Geschichte und Politik des Nahen und Mittleren Ostens an der Universität Wien.

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Eine Meinung zu

  • am 15.07.2019 um 15:00 Uhr
    Permalink

    Die Wiener-Zeitung DerStandard ist kein rechtslibertäres Blatt. deshalb wird man da über die andere Hälfte der bei den CH-Mainstreammedien so beliebten Halbwahrheiten informiert.
    RechtsLibertäre Kapitalgewaltige inszenieren sich gerne gerne gerne als Schutz-heilige der Demokratie und selbstlose Vorkämpfer der Freiheit oder lassen ihre ihre PublicRelation-Agenturen und deren bezahlte Influencer das für sie tun.
    Für einen gewinnträchtigen DEAL machen die fast alles, egal mit wem und was.
    Heute wird gerne ausgelagert, auch die schmutzigen Geschäfte.
    Einer hat das mal offen zugegeben, «Wir machen alles, ausser es schadet der Reputation.» So eben auch viele der Kapitalgewaltigen im Trumplager und die wissen, wie sie ihre Reputation mit politischem Faming schützen

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