Afrika: Warten auf Hilfe

Fast drei Millionen Somalierinnen und Somalier haben angesichts der Dürre und des Hungers irgendwo Zuflucht gesucht, um zu überleben. (Symbolbild) © Depositphotos

Somalia: Islamisten profitieren von Hunger und Elend

Heinrich Frei /  Fast jeder vierte Mensch in Somalia hat nicht genug zu essen. Mehr als jeder fünfte ist geflüchtet.

Red. – In Somalia bekriegen die USA die Islamisten. Das Problem aber sind eine drohende Hungersnot und Arbeitslosigkeit. Das macht es den Islamisten leicht, Menschen zu rekrutieren. An der Jahresversammlung des Vereins «Swisso Kalmo» (siehe Box unten) informierten die beiden Somalier Nur Scecdon Olad und Bashir Gobdon über die Lage in ihrem Land. Heinrich Frei fasst ihre Informationen zusammen. Er ist Vorstandsmitglied bei «Swisso Kalmo» war bis zur Auflösung des «Fördervereins Neue Wege in Somalia» im Jahr 2014 dessen Vizepräsident.

In Somalia droht eine Hungersnot wie zwischen Oktober 2010 und April 2012. Damals starben der UNO zufolge dort 258’000 Menschen. Nach drei schlechten Regenzeiten und durch den Bürgerkrieg, der nun schon über 30 Jahre dauert, sind heute rund 4.1 Millionen Menschen in Somalia von einer Hungerkrise betroffen. Das ist fast jeder vierte Mensch in diesem Land.

Somalia zählt 2.9 Millionen interne Flüchtlinge bei einer Einwohnerzahl von etwa 17 Millionen. Diese Menschen haben in Städten wie Mogadischu und Kismaayo Zuflucht gesucht, um zu überleben. Durch die Dürre, durch ausfallende Ernten und durch Verlust ihres Viehs haben viele Bauern und Nomaden ihre Lebensgrundlage verloren.

Somalia Landkarte
Landkarte von Somalia.

Schätzungsweise 1.4 Millionen Kinder sind in Somalia unterernährt. Krankheiten, niedrige Impfraten und ein oft schlechter Zugang zu sauberem Wasser verschlimmern alles. Öffentliche Gesundheitseinrichtungen und Schule fehlen weitgehend. Meist kann nur, wer Geld hat, seine Kinder in die Schule schicken und einen Arzt aufsuchen. «Für Menschen, die keine Angehörigen im Ausland haben, die sie unterstützen, ist die Lage durch die Teuerung viel schlimmer geworden. Es gibt heute zwei Gruppen: Die Armen und Leute, die durch den Krieg etwas verdient haben», sagt Bashir Gobdon. Er ist Präsident der «Somaliswiss Diaspora» und Co-Präsident von «Swisso Kalmo».

Die Hoffnung der Somalierinnen und Somalier ruht auf der somalischen Diaspora im Ausland, den arabischen Staaten und auch auf dem Welternährungsprogramm, um die Hungerkrise zu bewältigen. Aber man wisse nicht, wie das möglich sei, sagt Gobdon, «denn Gebiete in Süd- und Zentralsomalia werden von den Milizen der Al Shabaab kontrolliert, die im Krieg mit der Regierung in Mogadischu steht. In die Gebiete, die unter der Herrschaft der Al Shabaab stehen, ist es nicht möglich, Hilfe zu bringen.» 

Junge Männer finden bei der Al Shabaab einen «Verdienst»

Durch die allgemeine Misere gelingt es der islamistischen Miliz Al Shabaab immer mehr junge Leute zu rekrutierten. Die extremistische Al Shabaab möchte einen islamistischen Staat errichten. Junge arbeitslose Männer suchen bei dieser Organisation eine Möglichkeit zum Leben und einen Verdienst. «Das ist das Allerschlimmste», sagt Gobdon. «In den Regionen, die vom Krieg und der Dürre am meisten betroffen sind, müsste man vor Ort helfen, aber das hat bisher nicht funktioniert. Die Menschen fliehen, weil sie dort nicht mehr leben können. Sie haben keine andere Wahl.» Bashir Gobdon selbst floh als junger Mann aus Somalia, als er unter dem Regime des Diktators Siad Barre in den Krieg ziehen sollte.

Al Shabaab finanziert sich mit Erpressungszahlungen

Inzwischen ist der Krieg mit der Al Shabaab kein täglicher Krieg mehr. Stattdessen verübt die Miliz Anschläge – gegen Hotels, gegen die eigenen Leute, gegen das eigene Volk. Wer keine Schutzgelder entrichtet, riskiert sein Leben. Das «Einkommen» der Al Shabaab durch mafiöse Erpressungszahlungen soll grösser sein als die Steuereinnahmen der Regierung. Wer zum Beispiel ein Haus baue, zahle der Al Shabaab eine Gebühr, auch wenn er dazu einen Kredit aufnehmen müsse. 

«Die Attacken der Al Shabaab richten sich heute auch gegen die neue Regierung. Einige Stämme sind nicht an der Regierung beteiligt. Also bombardiert Al Shabaab die Hotels, die im Besitz von Stammesangehörigen sind, die an der Regierung beteiligt sind», berichtet Bashir Gobdon.

Bezahlt wird mit Mobiltelefonen

Die grosse Schwierigkeit sei, dass der Handel mit dem somalischen Shilling nicht funktioniere. «Es läuft alles über den Dollar. Bezahlt wird in Somalia mit Mobiltelefonen ohne Bargeld», schildert Gobdon die Lage. Aus seiner Sicht müsste die Einheit Somalias wiederhergestellt und das Land stabilisiert werden, damit der Zahlungsverkehr mit einer eigenen Währung wieder funktioniere.

Türkei betreibt Hafen und Flugplatz von Mogadischu

Schulen, Universitäten und Spitäler in Somalia werden von privaten Unternehmen betrieben, auch die Versorgung mit Wasser, Elektrizität kontrollieren private Firmen. Versuche dies zu ändern sind gescheitert, denn der Regierung stehen keine Mittel zur Verfügung, um solche Einrichtungen zu finanzieren. «Die Regierung hat mit der Weltbank eine Vereinbarung getroffen, dass sie keine neuen Mitarbeiter einstellt. Folglich können auch keine öffentlichen Schulen und Spitäler eröffnet werden», berichtet Bashir Gobdon. 

Der Hafen und der Flugplatz in Mogadischu beispielsweise werden mit modernen Einrichtungen von der Türkei betrieben. Das funktioniere gut. Auch Frachtschiffe mit Getreide aus der Ukraine kommen nun nach Somalia. Es wird vermutet, dass Al Shabaab auch in diesen Einrichtungen «Steuern» einzieht. 

5000 somalische Soldaten wollen nach Hause

Ein grosses Problem seien die etwa 5000 somalischen Soldaten, die seit zweieinhalb Jahren in Asmara, der Hauptstadt von Eritrea, sind. Sie wollen zurück. Die frühere somalische Regierung unter Präsident Formaggio vereinbarte mit Eritrea, diese Somalier in Eritrea auszubilden. Bei der Fussballweltmeisterschaft in Katar, die im November beginnt, hätten sie als Schutztruppe eingesetzt werden sollen. Doch das ist im Moment nicht mehr aktuell. Nun sollen diese 5000 Soldaten nach Somalia zurückkehren. Aber Eritrea erwartet von Somalia eine Entschädigung dafür, dass die Soldaten dort gelebt haben. Die Frage sei auch, sagt Gobdon: «Welche Rolle werden diese Soldaten in Somalia haben? Wer bezahlt ihnen den Sold?» 

Die USA fliegen wieder Bombenangriffe

Laut dem britischen Radiosender «BBC» traf sich der somalische Verteidigungsminister Abdikadir Mohamed Nur kürzlich mit General Michael Langley, dem Kommandanten des Africa Command der USA. Das US Africa Command ist in Stuttgart stationiert, zudem sollen nun auch wieder etwa 300 US-Soldaten in Somalia stationiert sein. Unter der Präsidentschaft Joe Bidens fliegen die USA wieder wie früher Angriffe gegen Al Shabaab. Dem Vernehmen nach handeln sie in Absprache mit der somalischen Regierung. 

Diese Bombardierungen könnten den Hass auf die USA schüren, denn sie werden auch wieder viele zivile Opfer fordern, wie die Bombardierungen und aussergerichtlichen Hinrichtungen mit Drohnen in Somalia unter den US-Präsidenten Obama und Trump.

Ein Spital mit einem Arzt ohne Lohn für 230 000 Somalierinnen und Somalier

Vor über 30 Jahren eröffnete der Somalier Nur Scecdon Olad zusammen mit seiner Schweizer Frau Magda Nur-Frei ein Ambulatorium in der Stadt Merka. In dieser Stadt, etwa 70 Kilometer südlich der Hauptstadt Mogadischu, leben heute circa 230 000 Menschen. Im Ambulatorium finden vor allem Mütter mit ihren Kindern unentgeltliche Hilfe. Auch an Tuberkulose, Malaria und HIV/AIDS Erkrankte werden behandelt, alles Menschen, die sich einen medizinischen Beistand sonst nicht leisten könnten

Neben dem Ambulatorium gibt es in Merka ein Regionalspital, das allerdings nicht gut funktioniert. Es hat keinen Arzt mehr. Die Bevölkerung hofft, dass es wieder einmal funktionieren wird. Von 2016 bis 2018 wurde diese Klinik von «Swisso Kalmo» geführt, unterstützt durch Beiträge der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). Sowohl die DEZA als auch das «UN Office for the Coordination of Humaniatarian Affairs» beendeten ihre Unterstützung aufgrund von Anschuldigungen gegenüber «Swisso Kalmo». Unter anderem wurde «Swisso Kalmo» vorgeworfen, in den Konflikt zwischen zwei Sub-Clans involviert gewesen zu sein. «Swisso Kalmo» weist die Anschuldigungen zurück.

Ein weiteres Spital steht im Zentrum von Merka. Dort arbeitet ein Arzt, der momentan keinen Lohn bezieht. Die Gemeindeälteren von Merka, die sogenannten Elders, sorgen dafür, dass er etwas Geld erhält. Laut der «Bauernzeitung» gehen sie dafür auch auf der Strasse betteln. In diesem neuen Spital gibt es einen Operationssaal, einen Röntgenapparat und ein Gerät für Herzuntersuchungen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Heinrich Frei ist auch im Vorstand des Schweizerischen Friedensrates. Dieser Artikel erschien zuerst auf der Website von IFOR Schweiz.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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2 Meinungen

  • am 30.09.2022 um 12:37 Uhr
    Permalink

    Danke, sehr informativ. Das Geschäft mit dem Hunger, der Angst, dem Durst, der Energie, drohender Krankheit, wurde schon immer verwendet um Menschen welche ihre Grundbedürfnisse nicht erfüllen können, dazu zu bringen, daß zu tun was eine Obrigkeit anordnet. Ist die Obrigkeit moralisch fragwürdig, verletzt Menschenrechte, dann wird es gefährlich. Das ist auch eine Form von Gewalt, insbesondere dann, wenn Hungersnöte inszeniert werden von denjenigen, welche neue Mitglieder in ihrer Organisation brauchen. Dann braucht ein Vermögender nur alles Getreide vorweg auf zu kaufen, dann hat er oder sie die Macht über die Hungernden. Auch das kommt leider vor. Wir leben wirklich in einer schwierigen Welt, mit viel Leiden und Schmerz, obwohl wir um die besten Werte wissen.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 2.10.2022 um 20:25 Uhr
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    Warum kennt Ghargaisa in Somaliland diese Probleme nicht im selben Ausmass ?

    Meine Optik von Somalia ist vielleicht von meinen Aufenthalten in Mombasa etwas verfälscht. Aber die US-Leute als positive Faktoren in der politischen Entwicklung der Region zu sehen, scheint mir doch etwas weither geholt.

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