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Abschuss einer Patriot-Rakete © mda.mil

Raketenabwehr – der löchrige Schutzschild

Jürg Müller-Muralt /  Die amerikanischen Raketenabwehrsysteme sind möglicherweise nicht so effizient, wie die Propaganda behauptet.

Die offizielle Version tönt so: Die Huthi-Rebellen feuerten im vergangenen November von Jemen aus einen Marschflugkörper in Richtung der saudi-arabischen Hauptstadt Riad. Doch das aus den USA stammende Patriot-Raketenabwehrsystem schoss die Rakete ab, bevor sie Schaden anrichten konnte. Präsident Donald Trump war mächtig stolz und twitterte: «Unser System hat die Rakete vom Himmel geholt. So gut sind wir. Niemand bekommt das hin so wie wir, und jetzt verkaufen wir das System an die ganze Welt.»

Rakete hat Ziel beinahe erreicht

Doch nun kommen Zweifel auf. Die New York Times (NYT) hat eine Untersuchung renommierter Raketenexperten unter der Leitung von Jeffrey Lewis vom Middlebury Institute of International Studies in Monterey publiziert. Und die sehen das anders als Trump: Die Analyse von Fotos, Videos und weiterer Unterlagen «scheint zu zeigen, dass der Gefechtskopf der Rakete ungehindert über die saudi-arabische Verteidigung hinwegflog und beinahe sein Ziel erreicht hätte: den internationalen Flughafen von Riad. Der Gefechtskopf detonierte so nahe am Inlandterminal, dass die Fluggäste von ihren Sitzen aufsprangen», schreibt die NYT.

Die NYT zitiert auch die Raketenexpertin Laura Grego von der Union of Concerned Scientists, eine US-Wissenschaftlervereinigung, die sich für Abrüstung und Umweltschutz einsetzt: Fünf Mal sei auf die Rakete geschossen worden – ohne Erfolg: «Sie schiessen fünf Mal auf diese Rakete und sie treffen nie? Das ist schockierend, denn dieses System muss funktionieren.» Gemäss NYT bezweifeln auch US-Beamte, dass die Saudis die einfliegende Rakete getroffen haben. Die saudischen Behörden haben auf eine Anfrage der NYT jedenfalls nicht reagiert.

Fluglinie der Rakete und der Bombe (Satellite image from DigitalGlobe via Google Earth, NYT). Grössere Auflösung hier.
Zweifel am Patriot-System seit 1991

Der Vorfall hätte, sollten die Analysen der Experten zutreffen, für die USA und ihre Verbündeten grosse Bedeutung. Denn zahlreiche Alliierte und Käufer verlassen sich auf das Patriot-Raketenabwehrsystem der US-Firma Raytheon, des weltweit drittgrössten Rüstungskonzerns. Raketen und Radar-Systeme gehören zu den wichtigsten Produkten der Firma.

Die Untersuchungen der Experten nähren im Übrigen gemäss NYT langjährige Zweifel an der Raketenabwehrtechnologie. Der Leiter des Expertenteams wird mit den Worten zitiert: «Die Regierungen lügen über die Wirksamkeit dieser Systeme. Oder sie sind schlecht informiert.» Bereits in der Vergangenheit hätten Regierungen die Wirksamkeit ihrer Raketenabwehrsysteme übertrieben positiv dargestellt. Während des ersten Irak-Kriegs von 1991 habe das Pentagon behauptet, die USA hätten nahezu alle irakischen Scud-Raketen abgeschossen. Spätere Analysen förderten dann allerdings das Gegenteil zu Tage: Fast alle Abschussversuche sind gescheitert.

Für die Nato sind die Patriot-Systeme zentral. Die Partner des Nordatlantik-Paktes haben den Schutz ihres Gebietes vor ballistischen Raketen zu einer ihrer Kernaufgaben erklärt. Dabei geht es allerdings zur Hauptsache um Kurz- und Mittelstreckenraketen, die effektiver abgefangen werden könnten als Langstreckenraketen, wie der deutsche Raketenspezialist Marco Fey sagt. Auch die deutsche Bundeswehr sei mit «relativ zuverlässigen, aber alten Patriot-Raketen» ausgerüstet. Er beurteilt diese Systeme als etwas wirkungsvoller als die von der NYT zitierten Experten. Fey arbeitet für das grösste Friedensforschungsinstitut in Deutschland, die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK).

Machtlos gegen Nordkorea?

Im Bereich der nordkoreanischen Interkontinentalraketen sieht Marco Fey allerdings schwarz. Die meisten Experten bezweifelten, dass die USA ihr Gebiet verteidigen könnten, sagt Fey auf der HSFK-Homepage: «Die Testbilanz liegt bestenfalls bei 50 Prozent erfolgreicher Abschüsse – und das nicht einmal bei realistischen Einsatzbedingungen. Man könnte genauso gut eine Münze aufwerfen. Um eine einzige nordkoreanische Rakete zu zerstören, müsste man ihr vier bis fünf Abwehrraketen entgegenschicken. Bei derzeit lediglich 36 in Alaska und Kalifornien stationierten Geschossen kann man sich ausrechnen, wie viele Raketen bestenfalls abgefangen werden könnten.» Laut Fey sind seit den Neunzigerjahren über 50 Milliarden Dollar in diese Systeme geflossen. Und die Entwicklung ist noch keineswegs abgeschlossen.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Nato: Sicherheit oder Machtpolitik?

Das Militärbündnis soll vor Angriffen schützen, doch Russland oder China fühlen sich von ihm bedroht.

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9 Meinungen

  • am 18.12.2017 um 11:56 Uhr
    Permalink

    Es wird Kim Jong Un sicherlich freuen, dies zu hören….

  • am 18.12.2017 um 20:07 Uhr
    Permalink

    Wenn das «Abwehrsystem» das an der russischen Grenze, gegen iranische Raketen ( so die offizielle Version, für alle die sich die Hose mit der Kneifzange anzeihen ), schon bei nordkoreanischen Raketen problematisch ist, gehört es in den Müll, wie bald auch Tarnkappenbomber. Die Tage der Tarnkappenbomber, sind aufgrund des Passiv Radar gezählt.

    Zu den Raketen siehe Topol M
    "Der Gefechtskopf der Topol-M ist in der Lage, nach dem Start von einer ballistischen in eine semiballistische Flugbahn zu wechseln; dadurch ist es Raketenabwehrsystemen nur sehr schwer möglich, den Flugkörper zu zerstören. «

    https://de.wikipedia.org/wiki/Topol-M

    und

    "Während herkömmliche Gefechtsköpfe stets eine berechenbare ballistische Bahn beschreiben, können MARV in der Endphase des Flugs schnelle und nicht vorhersehbare Flugbewegungen durchführen. Damit wird es für einen Abwehrflugkörper deutlich erschwert, den Eintrittskörper mit dem erforderlichen Hit-To-Kill-Treffer zu zerstören. «

    https://de.wikipedia.org/wiki/Maneuverable_reentry_vehicle

    Noch «sinnvoller» ist das Abwehrsystem, gegen Unterwasserdrohnen.

    https://www.heise.de/tp/features/Die-geheimnisvolle-russische-Unterwasserdrohne-mit-Nuklearsprengkopf-3376609.html

    In den Schule lernte wir, der Siegfried aus der Sage war nicht unsterblich. Die Mora von der Geschichte, jedes System eine Schwachstellen.

    Noch viel gefährlicher ist das asoziale wirtschaftsfeindliche neoliberale System.
    Das wird viel mehr Opfer fordern, als jeder Krieg zuvor.

  • am 19.12.2017 um 06:00 Uhr
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    Die USA gefallen sich (selbst ernannt) in der Rolle des Welt-Polizisten. Neuerdings möchten sie sich dafür besser bezahlen lassen (im Rahmen von ‹America first› halt). Nur:
    – Die Ausrüstung der US-Armeen gilt unter Fachleuten zunehmend als veraltet + ungenügend gewartet. Insbesondere die Atom-Waffen gelten als schlecht gewartet + dringend Erneuerung-bedürftig.
    – Allerdings fehlt den USA für eine solche Erneuerung das Geld … Daran können auch die vielen Militärs in der Administration ‹Trump› wenig ändern.

    Wieso nur soll West-Europa die USA dabei unterstützen, ihr Waffenarsenal wieder auf Vordermann zu bringen?
    – Gibt es dafür einen guten Grund nach den vielen erratischen Eroberungskriegen der USA in der halben Welt?
    – Für uns wichtiger erscheint mir eine Zusammenarbeit vom Typ ‹Handel zum Wandel mit Russland›. Das passt deutlich besser als eine diktierte Zusammenarbeit mit den USA.

  • am 19.12.2017 um 08:53 Uhr
    Permalink

    Die USA haben sich in ihrer «Weltpolizisten-Funktion» völlig überfordert. Europa ist ebenfalls finanziell schwach auf der Brust. Es ist wirklich Zeit, die Wirtschafts-sanktionen gegenüber Russland aufzuheben und mit diesem europäischen Land einen Modus Vivendi zu suchen. Da bedingt allerdings auch, dass eine Expansionspolitik der EU nach Osten (Ukraine, Georgien etc.) nicht machbar ist. Es braucht eine neutrale Ukraine nach dem Vorbild der Schweiz!

  • am 19.12.2017 um 11:47 Uhr
    Permalink

    Ich stimme den meisten Vordenkern zu.
    Aufrüstung hat noch kein einziges Problem wirklich gelöst.
    Es stützt lediglich ein kaputtes Geld- und Wirtschaftssystem, vielleicht noch für Monate bis wenige Jahre, aber der Preis für zu spätes Erkennen ist sehr hoch.
    Wir sollten die Bedrohungs-Paranoia der NATO wirklich ablegen und uns auf das Wagnis Frieden und Zusammenarbeit in Eurasien inkl. Russland und China einlassen.
    Frieden und Zusammenarbeit sind alternativlos, Aufrüstung führt zu Krieg, mit oder ohne löchrigem Abwehrsystem. Europa sollte sich emanzipieren und vom US-Diktat lossagen.
    Ohne Frieden gibt es keine Zukunft, ohne Frieden ist Alles Nichts. Gehen Sie für Frieden auf die Strasse und fordern Sie die Einhaltung des UNO-Charta Artikels 2 (Gewaltverbot).

  • am 19.12.2017 um 18:04 Uhr
    Permalink

    Herr Steinmann, die Strategie ist in «Die Einzige Weltmacht», nachzulesen.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Die_einzige_Weltmacht:_Amerikas_Strategie_der_Vorherrschaft

    „Anders als frühere Imperien ist dieses gewaltige und komplexe globale System nicht hierarchisch organisiert. Amerika steht im Mittelpunkt eines ineinander greifenden Universums, in dem Macht durch dauerndes Verhandeln, im Dialog, durch Diffusion und in dem Streben nach offiziellem Konsens ausgeübt wird, selbst wenn diese Macht letztlich von einer einzigen Quelle, nämlich Washington, D.C., ausgeht. Das ist auch der Ort, wo sich der Machtpoker abspielt, und zwar nach amerikanischen Regeln.“

    und

    "„Bedient man sich einer Terminologie, die an das brutalere Zeitalter der alten Weltreiche gemahnt, so lauten die drei großen Imperative imperialer Geostrategie: Absprachen zwischen den Vasallen zu verhindern und ihre Abhängigkeit in Fragen der Sicherheit zu bewahren, die tributpflichtigen Staaten fügsam zu halten und zu schützen und dafür zu sorgen, dass die ‚Barbaren‘völker sich nicht zusammenschließen.“

    und

    „Tatsache ist schlicht und einfach, dass Westeuropa und zunehmend auch Mitteleuropa weitgehend ein amerikanisches Protektorat bleiben, dessen alliierte Staaten an Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern. Dies ist kein gesunder Zustand, weder für Amerika noch für die europäischen Nationen.“

    usw.

  • am 19.12.2017 um 18:27 Uhr
    Permalink

    Dieter Steinmann: Dieser Zustand mit den USA als selbst ernanntem Welt-Polizisten erscheint umso ‹ungesünder›, je bewusster wir uns machen, dass dieser Welt-Polizist pleite ist + von seinen Vasallen Geld verlangen muss, um sie zu drangsalieren.
    – Wie blöd müssen diese Vasallen sein, sich von den USA Russland als ‹gemeinsamen Feind› einreden zu lassen, wenn dieser ‹Feind› West-Europa in seiner Geschichte noch nie angegriffen hat (umgekehrt allerdings schon) + ein unabhängiges West-Europa braucht, um seine eigene technologische Entwicklung ingang zu bringen?
    – Wie klug täte dieses West-Europa umgekehrt daran, sich Russland auf der Grundlage ‹Handel zum politischen Wandel› anzunähern + sich von diesen USA zu lösen?

  • am 19.12.2017 um 18:46 Uhr
    Permalink

    Herr Staudacher, es gibt sogar einen großen Teil Politiker, die gegen die Sanktionen sind.
    Zum Beispiel Horst Seehofer ( CSU Ministerpräsidnet Bayern ), Reiner Haselow ( CDU Ministerpräsident Sachsen Anhalt ), Erwin Sellering ( SPD ex Minsterpräsident Mecklenburg Vorpommern ), Stanislaw Tilich ( CDU Ministerpräsident Sachsen ) unter anderen.

    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/syrien-ministerpraesidenten-lehnen-neue-russland-sanktionen-ab-a-1116070.html

    » «Ausdruck politischer Einfallslosigkeit"

    Ähnlich sieht es der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff. Der CDU-Politiker stellte die Wirksamkeit der kürzlich von der EU bis Ende Januar 2017 verlängerten EU-Strafmaßnahmen gegen Moskau in Frage. «Die ohnehin schon bestehenden Sanktionen haben bislang nichts bewirkt. Sie haben allerdings dem wirtschaftlichen Austausch geschadet, auch den Firmen in Sachsen-Anhalt, die traditionell Kontakte mit russischen Unternehmen haben», sagte Haseloff, der in Sachsen-Anhalt eine Koalition aus CDU, SPD und Grünen anführt. Zu Forderungen nach neuen Sanktionen wegen des Syrien-Kriegs sagte er: «Wirtschaftssanktionen sehe ich eher als Ausdruck politischer Einfallslosigkeit. Wir sollten auf Dialog und Sachlösungen setzen und nicht auf Eskalation.""

    Erstaunlich, wie sich die CSU, CDU und SPD Politiker und die Bevölkerung, von so einer Blase wie Angela Merkel, an der Nase herumführen lässt.
    Die Schweizer sind da viel cleverer, was sie hoffentlich auch bleiben.

  • am 19.12.2017 um 20:00 Uhr
    Permalink

    Dieter Gabriel: Mit Ihrem Kommentar einverstanden, bis zum Schlussabschnitt. Ich sehe bei der Schweizer EU Politik wirklich keine Cleverness, nur Versagen! (siehe jüngste Drohung aus Brüssel – Gleichwertigkeit der Schweizer Börsenregulierung und jener der EU, da verletzt ja die EU ihre vier hochgepriesenen Grundfreiheiten! Shame on the EU! – Wie lange will die Schweiz noch vorauseilenden Gehorsam leisten?

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