Aufgebauschter «Geheimdienst-Krimi» in der Rundschau
«Ein wirklicher Krimi mitten im Schweizer Geheimdienst», kündete die Rundschau an. Das Recherche-Team des Schweizer Fernsehens «SRF Impact Investigativ» berichtete am 4. Juni, dass «hochsensible Daten» aus der Schweiz an den russischen Geheimdienst geflossen sein könnten. «Möglicherweise», heisst es. Sogar wahrscheinlich, vermutet man. Beweise sind schwierig bis unmöglich, denn bei Geheimdiensten ist, wie der Name sagt, das Meiste stets geheim. Im Bericht der Rundschau kommen denn auch auffällig häufig Begriffe vor wie «sollen», «soll», «offenbar», «seien», «dürften», «im Verdacht», «wenn».
Cyberspezialisten des Schweizer Nachrichtendienstes NDB haben seit langem mit der russischen Firma Kaspersky zusammengearbeitet, welche Software für den Schutz vor Computerviren und Hackerangriffen entwickelt. Die vom Russen Jewgeni Kaspersky und seiner Frau Natalja 1997 gegründete Holding Kaspersky Lab Limited (KLL) hat ihren Sitz in London. Das international tätige Unternehmen gehört zu den vier grössten Anbietern für Cybersicherheit und hat Niederlassungen in den meisten europäischen Ländern sowie in USA, China und Japan. Kaspersky arbeitet seit langem weltweit mit staatlichen Stellen zusammen, unter anderem mit Interpol. Das Virenschutzprogramm von Kaspersky ist eines der am meisten verbreiteten, auch in der Schweiz.
Das «SRF Impact Investigativ»-Team gibt nun an, es habe mit seinen Recherchen einen «Geheimdienstskandal» aufgedeckt, denn hinter Kaspersky würden russische Geheimdienste vermutet. Die Vorgänge liegen allerdings einige Jahre zurück, werden aber nun mit höchstem Sirenenalarm wieder aufgewärmt. In den Jahren 2015 bis 2020 hatte der Schweizer Geheimdienst NDB nach eigenen Angaben einen Austausch mit der Firma Kaspersky gepflegt.
Laut Rundschau sollen «befreundete Geheimdienste» die Schweiz seit 2018 mehrmals gewarnt haben, ein Cyberspezialist des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) habe gefährlich enge Kontakte mit russischen Organisationen. Er habe sogar klassifizierte Unterlagen weitergegeben. Die Medien berichteten mit grossen Schlagzeilen. Der Mann wurde daraufhin suspendiert. Ob er eine Straftat begangen hat, ist unbekannt. Hingegen gab es interne Untersuchungen beim Schweizer NDB, aus denen das Recherche-Team nun ausführlich zitiert.
«Befreundete Geheimdienste» hätten Druck gemacht: Die Schweiz solle jegliche Zusammenarbeit mit Kaspersky beenden. Sie würden drohen, wie die Rundschau im Katastrophen-Tonfall warnt, die Zusammenarbeit mit der Schweiz einzustellen, falls Bern nicht pariert.
Es bedarf keiner investigativen Anstrengungen, um zu sehen, wer die «befreundeten Geheimdienst-Partner» sind, die der Schweiz mit dem Ende der Freundschaft drohen. In den USA wurde Regierungsstellen unter der ersten Amtszeit von Donald Trump die Zusammenarbeit mit Kaspersky untersagt. Konzerne wie Google halten sich nur bedingt an das Verbot, denn Kaspersky zählt weltweit zu den Besten in der Branche. Die Firma hat bahnbrechende Software für die Abwehr von Cyberangriffen entwickelt und wurde von westlichen Behörden und Privatunternehmen dafür immer wieder gelobt. 2018 verlegte Kaspersky zwei Rechenzentren nach Zürich, wo das operative Geschäft stattfindet, das die Schweiz betrifft.
Der Nachrichtendienst des Bundes tut mit Kaspersky nichts anderes als das, was er mit zahlreichen anderen ähnlichen Firmen weltweit auch macht, um mehr über die technischen Möglichkeiten von Hackern zu lernen und die Cybersicherheit in der Schweiz zu verbessern.
Der Schweizer NDB selbst gibt laut Rundschau an, dass er «erlangte Informationen an private Unternehmen (z.B. Cybersicherheitsfirmen) weiterleitet, um bei anderer Gelegenheit von diesen ebenfalls nachrichtendienstlich wertvolle Informationen zu erhalten». Business as usual also.
Dass die Schweiz – Neutralität hin oder her – militärisch eng mit Israel zusammenarbeitet, zum Beispiel bei der Entwicklung von Raketen-Lenksystemen und Drohnen, scheint niemanden zu stören. Denn Mossad und Schin Bet zählen wohl ebenfalls zu den Freunden.
«SRF Impact Investigativ» befragt einen Geheimdienst-Experten in London, welcher der Oppositionsgruppe des verstorbenen Alexej Nawalny angehört. Dieser sagt, die Schweiz müsse endlich begreifen, dass sie «von Russland nicht als neutral angesehen wird». Das ist nun wiederum nichts Neues. Die Schweiz wird in Moskau offiziell dem feindlichen Lager zugerechnet, seit sie dem Druck aus Washington und Brüssel nachgegeben und die schärfsten Sanktionen beschlossen hat, um «Russland zu ruinieren» (wie es die ehemalige deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock verordnete). Die Umarmungen des Schweizer Aussenministers mit Selenskiy waren ein starkes Symbol.
Ausführlich zu Wort kommt im Bericht ausserdem der Diplomat Arndt Freytag von Loringhoven. Er war Vizepräsident des deutschen Bundesnachrichtendienstes und Geheimdienst-Koordinator der Nato. Der Mann redet lang und breit, hat aber nichts Konkreteres zu sagen als der andere Experte in London: Dass nämlich Russland «eine ernsthafte Bedrohung» darstelle und dass die ganze Sache, so sein Fazit, «besorgniserregend» sei.
Laut Rundschau ist die Sicherheitslücke so dramatisch, dass «Leben gefährdet werden könnte». Wessen Leben dies sein könnte, wird nicht ausgeführt. Verteidigungsminister Martin Pfister hat jedenfalls eine externe Administrativ-Untersuchung angeordnet.
Gegenüber dem Investigativ-Team erklärte der NDB: «Der NDB kommentiert keine geheimen Berichte gegenüber den Medien. Er bedauert, dass SRF durch eine Publikation zu Inhalten des Berichts potenziell weitreichende Auswirkungen auf die Arbeit des NDB zur Wahrung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz bewusst in Kauf nimmt. Das SRF wurde auf diese Risiken – unter anderem auch die allfällige Gefahr der konkreten Bedrohung für Leib und Leben von Personen – mehrfach hingewiesen.»
Die Schweizer Bundesanwaltschaft könnte ein Verfahren gegen «Unbekannt» eröffnen, aber im Justizdepartement herrscht Schweigen.
Was als «Russland-Affäre im Schweizer Geheimdienst» verkauft wird, war seit langem erwartbar. Seit der lange schwelende Ukraine-Konflikt mit dem Sturz der Regierung in Kiew, dem Aufstand im Donbas und der russischen Militärintervention in einen offenen Krieg überging, steht die «russische Bedrohung» an der Spitze im Sorgenbarometer der Nato-Staaten.
Die Firma Kaspersky bestreitet jede Abhängigkeit von den russischen Nachrichtendiensten GRU oder FSB. Ob das stimmt oder nicht, weiss man nicht. Es ist wenig zielführend, ein «Investigativ-Teams» auf das Thema anzusetzen. Denn man darf davon ausgehen, dass es wohl kein IT-Unternehmen dieser Grösse gibt, das nicht mit staatlichen Akteuren derselben Branche verkehrt.
Microsoft und Amazon zählen die US-Geheimdienste und das Pentagon zu ihren grössten Auftraggebern. Es war der US-Nachrichtendienst NSA, der weltweit Politiker überwachte und sogar das Telefon von Angela Merkel abhören liess. Die Frage danach, ob da vielleicht nach «sensible Daten abflossen», war war damals keine Investigativ-Anstrengung wert.
Wenn der Kreml das Schweizer Stromnetz lahmlegen oder die Computer von Bundesräten hacken wollte, würde er dies wahrscheinlich auch ohne Kaspersky tun können. Es geht in der «Russland-Affäre» nicht um konkrete Bedrohungen, sondern um Politik. Um Symbolpolitik.
Es geht um das Prinzip der «Kontaktschuld». Kontakt ist in dieser Sichtweise eine Straftat. Wer mit dem Feind redet, ist eine Bedrohung. Wer zuhört, was der Feind sagt, macht sich strafbar. Die EU hat den russischen Fernsehsender Russia Today verboten. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen nicht hören und sehen, was die Agenten aus dem Reich des Bösen sagen.
Geheimdienstliche Tätigkeit entzieht sich per Definition einer demokratischen Transparenz. Was Leute im Geheimen treiben, ist nicht res publica. Es sind Machenschaften, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen, und Öffentlichkeit ist das Wesen der Demokratie.
Da können noch so viele Aufsichtsgremien der Exekutive und parlamentarische Kommissionen gebildet werden, die die Arbeit der Geheimdienste «kontrollieren» sollen. Wenn der Brei zu heiss ist, gibt es Möglichkeiten, um ihn herumzureden. Die parlamentarischen Kontroll-Organe erfahren erst Jahre später, was verbrochen wurde. Oder auch nicht, wenn zum Beispiel die Schweiz auf Anweisung des befreundeten CIA beizeiten ein paar Tonnen Material schreddert.
Weil viel spekuliert werden kann, ist das Thema «Spionage» für die Medien immer wieder attraktiv. Offensichtlich auch für das «SRF Impact Investigativ»-Team und die Rundschau. Kaum ein Thema ruft mehr Aufmerksamkeit beim Publikum ab. Nichts regt die Abenteuer-Phantasien der Leute mehr an als die dunklen Welten eines MI5 oder MI6, wo die tollkühnen 007 sich in Explosionen von hochauflösendem Bildrealismus ihrer Feinde entledigen. Da man aber auf dem weiten Feld der Spionage nichts Genaues wissen kann, fliessen fiktionale Kreation und belastbare Aussagen über die Wirklichkeit oft auf erstaunliche Weise ineinander. Es wird gemutmasst, erahnt, zusammengereimt, präsumiert, gewarnt und befürchtet. Der Spekulation sind keine Grenzen gesetzt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Das verhält sich so wie mit dem von vielen Politikern gewünschten Huawei-Verbot, genau als die Vermutungen laut wuden, China könnte mittels Backdoors westliche Länder ausspionieren, legte Edward Snowden publik, dass die USA genau dies mit allen Ländern Welt so handhabt, dank der Mithilfe von US-Firmen. Trotzdem werden noch heute sowohl Hardware als Software von US-Firmen in sensiblen Bereichen eingesetzt, obschon jeder weiss das diese von Gesetzeswegen mit den Geheimdiensten und Behörden zusammenarbeiten müssen. Wie Herr Scheben schreibt, es geht weder um Tatsachen, noch um begründeten Verdacht, sondern ganz einfach um Politik und Propaganda, alles was Russland schlecht dastellt wird behauptet. Sollte sich herausstellen, dass alles nur erfunden war, bleibt dan sowohl der Imageschaden als auch der wirtschaftliche Schaden bei Kaspersky.
Ich halte es für falsch, die Firma Kaspersky zu verteidigen. Das gilt ebenso für andere Unternehmen wie Google oder Microsoft, die Daten an interessierte Mächte weitergeben. Besonders besorgt mich, dass viele Regierungen und Firmen ihre Daten in der Microsoft Cloud speichern.
Wie der Heise Verlag (https://www.heise.de/news/Klatsche-fuer-Microsoft-US-Behoerde-wirft-MS-Sicherheitsversagen-vor-9674431.html) und andere berichtet haben, sind die Daten in der Cloud äusserst unsicher.
Ein weiteres Wort zu RussiaToday: Dieses Medium verbreitet hauptsächlich Fake News und Unwahrheiten, die nichts mit Meinungsfreiheit zu tun haben. Der Schutz der Bevölkerung vor solchen Inhalten ist keine Zensur. Wer RussiaToday verteidigt, hat Putins Manipulation nicht verstanden. In Russland würde ein Journalist für einen ähnlichen Beitrag mindestens 15 Jahre Haft absitzen oder einen «Fenstersturz» riskieren.
SRF und der Schweiz ist wie ARD und ZDF in Deutschland. Alle drei berichten schon lange nicht mehr objektiv. Da kann noch oft investigativ im Namen stehen. Auch bei SRF bedeutet investigativ bestimmt faktenfrei. Hätte, wäre, könnte sind die besten Beispiele dafür. Und wenn dann auch noch keine gesicherten Quellen angegeben werden, lohnt es sich aufzupassen.