Kommentar

Vom US-Kriegsminister zum Philosophen

Jürg Müller-Muralt © zvg

Jürg Müller-Muralt /  Zum Hinschied von Donald Rumsfeld: Wie der frühere Pentagon-Chef im Philosophenhimmel landete.

Vielleicht hat man Donald Rumsfeld bisher zu einseitig wahrgenommen. Der kürzlich verstorbene frühere US-Verteidigungsminister und Mitverursacher des Irakkriegs von 2003 war möglicherweise mehr als ein neokonservativer Machtzyniker mit einem Hang zu kriegerischen Gewaltexzessen. Vielleicht war er einer der subtilsten Philosophen seit Sokrates. Letzterer schaffte es zwar mit seinem ihm zugeschriebenem Diktum «Ich weiss, dass ich nicht weiss» in die Galerie der geflügelten Worte. Der ehemalige Herr des Pentagons dagegen hatte eine bedeutend umfassendere Sicht: Er ordnete die Welt der Dinge nämlich in drei Kategorien.

Denkerische Schärfe oder Gefasel?

Kategorie 1: «Es gibt Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen.» Die Aussage ist streng logisch und zeugt von der systematisch einwandfreien Grundlage der nachfolgenden Gedankengänge.

Kategorie 2: «Es gibt Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie nicht wissen.» Das ist der erkenntnistheoretische Schlüsselsatz. Denn nur, wenn wir wissen, was wir nicht wissen, können wir zielgerichtet Wissenslücken schliessen. Mit dieser Aussage macht Rumsfeld klar, dass er auf der Höhe wissenschaftlichen Denkens ist.

Kategorie 3: «Es gibt Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen.» Mit diesem schlichten Satz hat sich Rumsfeld in den philosophischen Olymp katapultiert. Dabei tut es nichts zur Sache, dass er das an einer Medienkonferenz im Zusammenhang mit der Suche nach den – nicht existenten – irakischen Massenvernichtungswaffen sagte. Hauptsache, es regt zum Grübeln an. Die strenge Logikerin wird fragen, woher Rumsfeld wissen könne, dass es Dinge gibt, von denen er nicht wisse, dass er sie nicht wisse. Der Ontologe wird fragen, welchen Seinszustand denn diese Dinge haben. Die Kantianerin wird interessieren, ob Rumsfeld das schwer verständliche «Ding an sich» geknackt habe. Und der Platoniker wird sich bestätigt sehen, dass die materiellen Dinge nicht wahrhaft seiend sind.

John Lister, Sprecher eines britischen Sprachpflegevereins, war von den erkenntnistheoretischen Höhenflügen des Donald Rumsfeld nicht restlos überzeugt: «Wir glauben, wir wissen, was er meint. Aber wir wissen nicht, ob er es wirklich weiss», sagte Lister – und zeichnete Rumsfeld für das «schlimmste Gefasel 2003» aus.

Rumsfeld hilft, Pandemie zu verstehen

Doch damit ist das letzte Wort über den Stellenwert des einstigen Kriegsministers in der abendländischen Philosophie noch nicht gesprochen. Der Prozess der Heiligsprechung Rumsfelds im Philosophenhimmel hat möglicherweise bereits begonnen. Slavoj Zizek, einer der aktuell umtriebigsten Philosophen und einer, der sämtliche Phänomene der Gegenwart praktisch zeitgleich mit ihrem Auftauchen interpretieren und einordnen kann, gibt sich jedenfalls überzeugt: «Ohne die Hilfe von Rumsfelds Epistemologie (Erkenntnistheorie, J.M.) können wir auch die verbreitete Reaktion auf die anhaltende Pandemie nicht verstehen.»

Für die Seligsprechung sollte es reichen

Zizek verweist auf den Philosophenkollegen Jürgen Habermas, der 2020 sagte, «dass wir noch nie so viel Wissen über unser Nichtwissen hatten». Das sollten wir nun, findet Zizek, «durch Rumsfelds Kategorien betrachten. Die Pandemie erschütterte das, was wir (dachten, dass wir) wissen, das wir wissen. Sie offenbart uns, was wir nicht wissen, was wir nicht wissen. Und bei der Art, wie wir auf die Pandemie reagiert haben, setzten wir auf das, von dem wir nicht wissen, dass wir es wissen (all die Annahmen und Vorurteile, die unser Handeln bestimmen, obwohl wir uns ihrer gar nicht bewusst sind). Wir haben es hier nicht einfach mit dem Übergang vom Nichtwissen zum Wissen zu tun, sondern mit dem komplizierteren Übergang vom Nichtwissen zum Wissen darüber, was wir nicht wissen – unser positives Wissen bleibt bei diesem Prozess dasselbe, aber es entsteht dabei ein Freiraum fürs Handeln.»

Die denkerischen Kapazitäten Donald Rumsfelds, von dem sich Zizek so schön befruchten liess, sind die beste Empfehlung zumindest für die Seligsprechung des Pentagon-Philosophen.


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Keine
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13 Meinungen

  • am 9.07.2021 um 17:15 Uhr
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    Titel des Beitrages sollte so lauten: Vom Mega-Massenmörder zum Pseudo-Philosophen.

  • am 9.07.2021 um 17:33 Uhr
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    Wirzig! Aber Rumsfeld war eine Kriegsgurgel mit einem unbändigen Drang zur Macht.

  • am 9.07.2021 um 17:36 Uhr
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    Corrigendum! Witzig hätte es sollen heissen.
    Nach einem (sehr guten) Absinth und ohne Sehhilfe ein Versehen. Ich entschuldige mich!

  • am 9.07.2021 um 17:40 Uhr
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    Vielleicht hätte der unselige Mr. Rumsfeld seine «Philosophie» vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag zusammen mit einem Kronzeugen der Verteidigung, z.B. dem allgegenwärtigen Philohansdampf Zizek, vortragen sollen.

  • am 9.07.2021 um 18:40 Uhr
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    Da konnte ich so richtig lachen, Danke. Wenn es einen Himmel und eine Hölle geben würde, so würde ich sagen, das es ihm im Himmel nicht gefallen würde. Nach meiner Erfahrung schreiben diese Menschen (Wenn es denn solche sind) keine Bücher, nicht mal einen Brief. Sie «Lassen Schreiben» Diese Machthaber haben Ghostwriter, oft können sie nach Jahren selber nicht mehr schreiben bis auf ihre Unterschrift, welche aussieht wie ein Gaunerzinken. Denn sie haben das Schreiben verlernt. Das geht ganz schnell, ich habe Menschen begleitet welche aus der Einzelhaft kamen. Nach 2 Monaten konnten sie kaum mehr schreiben, sie lernten es zwar wieder sehr schnell, doch am Anfang kam nur Gekritzel raus. Da kommt gleich meine Inspiration und spricht zu mir: Nun, der Heiligenschein von ihm, welcher wohl dem Papst im Traum erschienen sein soll, war womöglich einer der kommenden Atompilze die aufgeleuchtet hatten im päpstlichen Träumen. Hinter dem Kopf der besagten Person. Die obersten Diener der Eliten, wie bei den Wölfen die Nummer 1 des Leitwolfes, leben zuweilen am längsten, den töte nicht den Boten, gilt heute noch in einigen Kreisen. Das war er, ein Botengänger des Todes, mehr nicht. Es werden jetzt andere Kräfte walten beim Verblichenen, denn ich glaube nicht an den Tod, ob er die Wahrheit über sich selber ertragen kann? Denn dieser kann er jetzt nicht entgehen. Möge er erleuchtet werden, denn dies wird ganz schön weh tun.

  • am 9.07.2021 um 19:11 Uhr
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    „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, heisst es in der Bibel. Robert Jungk soll gesagt haben: „Sie tun nicht, was sie wissen.“ Neuro- und psychologisch geht es dabei um die Vermeidung einer sogenannten kognitiven Dissonanz, die mehr oder oder weniger unabdingbar eigentlich eine Verhaltensänderung implizieren würde: „Sie wollen nicht wissen, was sie wissen können, damit sie nicht tun müssen, was sie tun sollten.“ Der Mehrheit geht es damit gut. Reichen und Mächtigen sogar immer noch besser. Solange das so bleibt, wird sich weder am Wissen noch am Umgang damit grundsätzlich etwas ändern.

  • am 9.07.2021 um 19:13 Uhr
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    Ich bin da deutlich bei John Lister und denke Donald Rumsfeld gehört nicht in den Philosophen-Himmel. Er hat eher gar nicht wissen wollen was er eventuell wissen oder eben nicht wissen sollte.
    Seine Taten sprechen eine Sprache, die eine Seligsprechung geradezu ausschliessen.

  • am 9.07.2021 um 20:32 Uhr
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    Aber, Herr Müller-Muralt, soll das Ganze ein Witz sein oder ist das Ihr Ernst?. Wegen dieser drei Sätze, die in keiner Weise originell sind, wollen Sie diesen Lügner Rumsfeld in den Philosophenhimmel befördern? Ist das eine verschleierte Aufforderung, er solle sich so schnell wie möglich Exit bestellen? Dann machen Sie das bitte nicht so geheimnisvoll verschlüsselt, sondern deutsch und deutlich. Oder lassen Sie ihn weiter in der Vergessenheit versinken (ihn zusammen mit Bush als Kriegsverbrecher zu verurteilen und hinter Gitter zu bringen, wie er es mit den Invasionen in Afghanistan und den Irak verdiente, ist bei den aktuellen Gegebenheiten leider unmöglich).

  • am 9.07.2021 um 21:00 Uhr
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    Die drei Kategorien von Donald Rumsfeld sind trivial aber einprägsam, sie werden immer wieder durch Antworten auf Infosperber-Beiträge zu 95 Prozent bestätigt. (vgl. der Beitrag von Niklaus Ramseyer zum Entscheid über den F-35, der ebenso missraten ist).
    «Wie soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage.» Zuerst überlegen und dann schwatzen, andernfalls wird kein Mehrwert geschaffen! Demokratieverachter sollten auf Infosperber keine Plattform erhalten!

  • am 9.07.2021 um 22:01 Uhr
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    Es gibt bestimmt vieles, das wir über Rumsfeld nicht wissen. Würden wir unsere rosarote Brille gegenüber den mächtigen Psychopathen einmal kurz ausziehen, könnten wir auf jeden Fall wissen, dass er mit zu den übelsten Massenmördern der letzten hundert Jahre gehört. Wie die meisten Seinesgleichen ist er leider ohne weltliche Strafe für seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Hölle gefahren.
    Ich denke, dieser Herr hat primär zwei denkerische Kategorien gekannt: „Kann man das töten“ und „lässt sich damit Geld verdienen“.
    Statt einer Seligsprechung würde ich deshalb eher einen Ehrenplatz direkt neben dem Höllenfürsten vorschlagen, wobei diesem dringend zu raten wäre, sich vor Rumsfeld äusserst in Acht zu nehmen.

  • am 10.07.2021 um 06:11 Uhr
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    Am goldenen Löffel aufgewachsen, eine Elite Uni, Kumpels welche gegen Bares die Prüfungen schreiben und ihm im Suff den Rücken decken. Zuhause eine Waffensammlung und das Denken eines Jon Wayne Charakters, zuerst schießen, und dann fragen. Durch Erbschaft, Begünstigungen, Korruption, Schmiergelder und Beziehungen, ohne wirklich kompetent zu sein, steigt man in den Usa schnell auf in die hohen Posten der Politik. Dazu stelle man Untergebene an, welche einem das Denken abnehmen, die kann man dann beschuldigen wenn die gewünschten Resultate nicht eintreffen. Mach dir nie die Hände selber schmutzig. Wenn dann das Gewissen oder das Gehirn anfängt zu rebellieren, ersäuft man es in Alkohol, die heilige Droge der erhabenen, welche eine Pseudodemenz hervorruft Damit das Geld fliesst muss man gelegentlich der Waffenindustrie, der Pharmaindustrie und der Oelindustrie einen Knochen hinwerfen in Form eines Krieges gegen eine Nation welcher man zuvor die eigenen veralteten Waffen verhökert hat. Den Sprengstoff liefert dann eine Schweizer Firma, welche zwei harmlose Chemikalien exportiert, welche zusammen geschüttet aber die Basis für neue Tretminenkampfmittel ergeben. Aerzte ohne Grenzen geht dann danach hin, um den Kindern Prothesen, Beine, Arme und künstliche Darmausgänge zu spenden, um die Schweizer Wohlfahrt zu repräsentieren. Würde Gott auf die Welt runter kommen, er würde sich hinsetzen und bitterlich weinen. Wenn die Dummen fleissig werden, wirds gefährlich auf Erden.

  • am 10.07.2021 um 15:36 Uhr
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    Nicht zu wissen ist schwer zu ertragen. Dagegen gibt es ein Rezept: Massiv eingreifen, um damit «erlösendes Wissen» zu erzeugen. Sei es mit Kriegen, Massnahmen, Sanktionen usw. So gesehen zeichnete sich der Herr lediglich darin aus, dass er, koste es was wolle, der Welt u.a. Kriege gebracht hat. Ob wir danach mehr wussten und es besser wurde .. ich weiss es nicht. Ich bezweifle aber invasive Strategien zur Überwindung von «Nicht-Wissen». Die Erkenntinis von heute, ist der Irrtum von morgen.

  • am 10.07.2021 um 17:52 Uhr
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    Echt jetzt ! … Rumsie, «der Andere Donald», ein Philosoph !

    Originalton Donald Rumsfeld über Osama bin Laden : «He is either alive and well or alive and not too well or not alive» …

    Hat zusammen mit George «Double-u» einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Irak angezettelt, hat Hunderttausende Tote auf dem Gewissen (so er jemals ein solches hatte !), war Geburtshelfer des «Islamischen Staats», hat den gesamten Nahen Osten in Brand gesteckt und damit eine beispiellose Massenflucht nach Europa ausgelöst !

    Rumsfeld im Philosophenhimmel ? … Rumsfeld in der Kriegsverbrecherhölle wäre angezeigt !

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