Pepe Mujica

Bodenständig, bescheiden und unkonventionell: Uruguays Ex-Präsident José «Pepe» Mujica verstarb am 13. Mai kurz vor seinem 90. Geburtstag. © cc-by-sa Protoplasma K

Späte Genugtuung für Bürgerkriegsopfer in Guatemala

Romeo Rey /  Im Fokus unserer Medienschau: Uruguay trauert um Ex-Präsident «Pepe» Mujica. Enttäuschte Hoffnungen in Kolumbien.

Romeo Rey
Romeo Rey, früher Lateinamerika-Korrespondent von «Tages-Anzeiger» und «Frankfurter Rundschau», fasst die jüngste Entwicklung zusammen.

In unserem Pressespiegel finden wir selten Nachrufe. Wenn einer oder eine es verdient hat, nach dem Hinschied für eine politische Karriere gewürdigt zu werden, dann José «Pepe» Mujica, Präsident von Uruguay 2010-2015. In diesem Text aus «El País» (Madrid) steht wohl alles, was gesagt werden sollte. Es ist ein tief empfundener Text über Land und Leute und einen, der sie in aller Bescheidenheit mit echter Würde repräsentierte. Einer, der einmalig, unverwechselbar und wahrscheinlich auch unnachahmbar war. Ein Beispiel von mentaler und moralischer Grösse.

Ernüchterung und Frust in Kolumbien

Gustavo Petro, der einstige Chef einer politisch schwer definierbaren, zum Populismus tendierenden Guerilla-Bewegung M-19 hatte viel versprochen, als er im Frühjahr 2022 die Präsidentenwahl in Kolumbien gewann. Sein Regierungsprogramm weckte in linken Kreisen grosse Hoffnungen, dass das seit Jahrzehnten anhaltende Übel der Gewalttätigkeit im Land endlich überwunden werden könnte. Doch die Suche nach umfassenden Lösungen für die politischen und sozialen Probleme – vor allem der extrem einseitigen Besitzverhältnisse von Grund und Boden – haben sich angesichts der Mehrheit von Konservativen und Rechtsliberalen im Parlament sehr bald als Sisyphusarbeit erwiesen.

Mit der Rückkehr von Donald Trump ins Weisse Haus hat die Suche nach einer dauerhaften Befriedung Kolumbiens einen weiteren Dämpfer erhalten. Dass Washington unter seiner Führung sämtliche Projekte der staatlichen Entwicklungshilfe USAID vom Tisch fegte, mochte die Regierung Petro noch hinnehmen – auch wenn dabei Lücken in die Sozialpolitik gerissen wurden, wie die deutschen «Lateinamerika Nachrichten» beklagen.

In einem Land, dessen Justiz seit Jahrhunderten fast lückenlos in den Händen oligarchischer Kreise liegt, kommt der Kampf gegen die zutiefst ungerechte Verteilung der Güter und gegen Rechtlosigkeit nicht vom Fleck. Insbesondere mit der Umverteilung des Agrarlandes harzt es. Zusätzlich verschärft wird der Konflikt um die Reichtümer des Landes durch Hunderte Konzessionen, verteilt über ganz Kolumbien, die sich in den Händen von privaten, mehrheitlich ausländischen Unternehmergruppen und Konzernen befinden. Diese wollen sich beim Schürfen und Fördern von begehrten Ressourcen, vor allem Kohle, Erdöl und Gas, weder von linksextremen Guerillas noch von landhungrigen Kleinbauern stören lassen.

Das beschwört eine Stimmung von Ernüchterung und Frust im Umkreis der Regierung Petro herauf und fördert im Vorfeld der nächsten allgemeinen Wahlen, die im Frühjahr 2026 stattfinden, den Zerfall in Fraktionen, die mit sehr unterschiedlichen Rezepten Remedur schaffen wollen.

Dominikanische Republik: Schatten im Ferienparadies

Der Zürcher «Tages-Anzeiger» ist vermutlich das einzige Blatt im deutschsprachigen Raum, das in angemessenem Umfang und Ton auf Vorfälle in der Dominikanischen Republik hingewiesen hat, welche die Schattenseiten des karibischen Kleinstaats zeigen. Hier wird von Razzien der Migrationsbehörden berichtet, die hochschwangere Frauen und junge Mütter mit ihren Kindern aus Spitälern holten und rücksichtslos in deren Heimatstaat Haiti abschoben. Dies, obwohl Haiti seit Jahren von kriminellen Banden und totaler Anarchie beherrscht wird.

Der Kontrast zwischen den beiden Ländern, die die Insel Hispaniola unter sich teilen, könnte kaum grösser sein und birgt viel Sprengstoff für die Zukunft. Die Dominikaner können alle vier Jahre einen neuen Präsidenten wählen und die Zusammensetzung ihrer Legislative bestimmen. Und sie tun das in der ruhigen Zuversicht, dass alles recht ordentlich abläuft. Dank Massentourismus, vorwiegend aus der nördlichen Hemisphäre, und dank gemässigt liberaler Wirtschaftspolitik geniesst diese Nation eine erstaunliche politische Stabilität.

Anders der Nachbarstaat Haiti, der seit Jahrzehnten im Chaos von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wirren versinkt. Diese überwiegend aus Nachfahren afrikanischer Sklaven bestehende Nation hatte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts als erste in ganz Lateinamerika erfolgreich gegen die Kolonialmacht (in diesem Fall Frankreich) erhoben. Haiti wurde 1804 zur ersten unabhängigen schwarzen Republik, doch sie schaffte es nicht, erste Schritte aus der Abhängigkeit in die Souveränität zu vollziehen. Für diese fatale Blockade ist zum grossen Teil Frankreich verantwortlich. Als Preis für die Freiheit zwangen die ehemaligen Herrscher im fernen Paris dem jungen Karibik-Staat horrende «Reparationen» auf, um die alten Kolonialherren für ihre Verluste zu entschädigen. Das Elend Haitis ist auch auf diese Erpressung zurückzuführen, die das bettelarme Land zwang, sich jahrzehntelang zu verschulden.

Guatemala: Alte Gräueltaten kommen ans Licht

Mit wie viel Grausamkeit frühere Herrscher Schwächere in ihren eigenen Staaten – hier vor allem Frauen – peinigten, geht aus bürgerkriegsartigen Ereignissen in Guatemala hervor, die in den 1980er Jahren stattfanden. Damals versuchten linksradikale Guerilleros mit Waffengewalt ihre Nation aus der Herrschaft mächtiger lokaler, von den USA unterstützter Minderheiten zu befreien. Ihr Unterfangen scheiterte, und dafür mussten nicht nur die Aufständischen selber, sondern auch Teile der weiblichen Bevölkerung schwer leiden. Bis heute wurden die Verbrechen unter einem Mantel des Schweigens gehalten, jetzt aber von der Zeitschrift «Nacla» publik gemacht.

Frauen der indigenen Maya Achi wurden damals ohne gerichtliche Untersuchung terroristischer Umtriebe beschuldigt und in sogenannte «Rape Camps» überführt. Dort wurden sie von Soldaten und Paramilitärs systematisch vergewaltigt. 40 Jahre lang haben die betroffenen Frauen aus Scham und Angst vor Repressalien geschwiegen. Auch hatten sie keine Hoffnung, dass die als korrupt verrufene Justiz die Täter jemals zur Rechenschaft ziehen würde. Versuche, die systemischen Übel der guatemaltekischen Justiz mit Hilfe von Sonderbevollmächtigten der UNO auszumerzen, sind in jüngerer Vergangenheit nach einigen konkreten Erfolgen stets am Widerstand konservativer und rechtsextremer Kreise gescheitert. Doch nun widerfuhr den Opfern Jahrzehnte nach der Tat doch noch Gerechtigkeit, wie die «Deutsche Welle» berichtet. Kürzlich sind drei frühere Paramilitärs wegen sexueller Gewalt zu jeweils 40 Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht sprach sie der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig.

Venezuela: Die autoritäre Wende

In Venezuela liefen alle bisherigen Versuche ins Leere, Licht auf die letzten Wahlen zu werfen. Der argentinische Journalist José Natanson, Leiter der regionalen Ausgabe von «Le Monde Diplomatique», hat im Auftrag der «Blätter für deutsche und internationale Politik» den Versuch unternommen, den Urnengang vom August 2024 auszuleuchten. Er kommt zum Schluss, dass hier ein Fall von «chaotischem Autoritarismus» vorliege, was für die venezolanische Bevölkerung eine echte Tragödie sei. Dass der Plan von Präsident Hugo Chávez, einen «Sozialismus des 21. Jahrhunderts» zu begründen, derart entgleisen konnte, ist einerseits sicher die Folge einer erratischen Wirtschaftspolitik, die den einst wohlhabenden Erdölstaat in die Hölle der Hyperinflation führte. Andererseits hat Washington alles unternommen, um in Venezuela mittels Sanktionen und Boykott chaotische Zustände heraufzubeschwören. Dieses bewährte Heilmittel, um «unbelehrbare» linke Regierungen im Hinterhof der USA zu entmachten, hat sich allzu oft bewährt.

Ausgehend von Trumps umstrittener, hochgradig riskanter Zollpolitik befassen sich diverse Sachverständige mit den gegenwärtigen komplexen Beziehungen zwischen Lateinamerika und den USA. Ihre Analyse bedauert – weshalb eigentlich, möchte man sich fragen – die drohende Demontage von multilateralen und regionalen Instanzen wie die OAS (Organisation Amerikanischer Staaten), die BID (Interamerikanischen Entwicklungsbank) und die schon erwähnte USAID. Liesse sich, so wird geargwöhnt, der (angebliche) Sicherheitsverlust in amerikanischen Gefilden durch eine stärkere Militarisierung aufhalten? Immerhin, manche sehen in der gegenwärtigen Konjunktur eine «Gelegenheit, sich von der Umklammerung einer alternden Grossmacht zu lösen und neue Partnerschaften einzugehen», wie das «IPG-Journal» feststellt. Ein Beitrag der «Deutschen Welle» sieht mögliche Alternativen in der Annäherung an die BRICS-Plus-Gruppe, die altbekannte Süd-Süd-Kooperation und eine zusehends engere Beziehung zu China.

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Cover_Rey_Lateinamerika
Romeo Rey, Die Geschichte Lateinamerikas vom 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 284 Seiten, 3. Auflage, C.H.Beck 2015, CHF 22.30

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Keine
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Politik in Süd- und Mittelamerika: Was in vielen Medien untergeht

Der frühere Lateinamerika-Korrespondent Romeo Rey fasst die Entwicklung regelmässig zusammen. Auch Beiträge von anderen Autorinnen und Autoren.

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