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Joe Ackermann kannte die komplizierten Bankprodukte der Deutschen Bank nicht: «Mein Team weiss Bescheid» © cm

Die Schweiz und der Euro – im «mentalen Korridor»

Christian Müller /  Noch gibt es, Krise hin oder her, den Euro. Wie soll die Schweiz damit umgehen? Das Europa Forum Luzern bemühte sich um Antworten.

Zweimal im Jahr öffnet das KKL Luzern seine Tore für das Europa Forum, am Nachmittag für ein Symposium für Eintritt-zahlende Fachleute und, wenn sie denn kämen, Studenten, am Abend gratis für die Luzerner Öffentlichkeit. Anfang Mai 2016 war es wieder soweit, zum 30. Mal. Das aktuelle Thema diesmal: «Herausforderung Euro».

Eigentlich ein gutes Thema, konnte man denken. Und da standen denn auch tatsächlich bekannte Grössen auf der Rednerbühne, insbesondere der EU- und Euro-Skeptiker Jürgen Stark, ehemaliger deutscher Bundesbanker, einerseits, der EU- und Euro-Optimist Luc Frieden, ehemaliger luxemburgischer Finanzminister, andererseits, und der für sein EU-Bashing sattsam bekannte FAZ-Wirtschaftsjournalist Philip Plickert, als Dritter. Der in der Schweiz nicht minder prominente ehemalige NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann agierte als gewiefter Moderator.

Die entgegengesetzten Meinungen hier in wenigen Sätzen:

Der ehemalige deutsche Bundesbanker Jürgen Stark

Jürgen Stark referierte anhand zahlreicher Power-Point-Charts und zeigte faktenreich und argumentativ deutsch-gründlich auf, dass die entscheidenden Verträge der EU-Staaten eigentlich nie eingehalten worden sind, insbesondere nicht der Vertrag von Maastricht vom Jahr 1992, in dem die damals noch zukünftige und seit 1999 real existierende Gemeinschaftswährung EURO definiert worden war. Jürgen Stark kritisierte insbesondere die Machtverlagerung hin zur EZB, die sich durch Selbstermächtigung in immer mehr Bereiche einmische und nun auch politische Funktionen wahrnehme, die ihr als Zentralbank nie zugedacht waren.

Der ehemalige luxemburgische Finanzminister Luc Frieden

Luc Frieden reagierte – als Zweitredner – mit Charme und glaubhaftem Optimismus und vertrat die Meinung, dass das Friedensprojekt Europa eben ein sehr komplexes Projekt sei, bei dem natürlich nicht alles punktgenau zum voraus geplant werden konnte und bei dem laufende Anpassungen an neue Situationen eben unausweichlich seien. Die gegenwärtige Krise sei bei weitem nicht die erste Krise in der EU, aber immer seien die Krisen Anlass gewesen für Verbesserungen und für die Fortentwicklung zum Vorteil der EU. Es lohne sich, für dieses Europa einzustehen und zu kämpfen.

FAZ-Wirtschaftsjournalist Philip Plickert entpuppte sich – erwarteterweise – ganz schnell als Fehlbesetzung nicht nur, weil mit ihm ein zweiter Deutscher auf der Redner-Bühne stand – warum als Dritter aus der EU kein Franzose oder Italiener? – sondern weil er nach Jürgen Stark kaum neue Aspekte in die Diskussion brachte. (Der erklärte Anhänger des Neoliberalismus, der gelegentlich auch auf der libertären Plattform eigentümlich frei publiziert, dürfte der Europa-Forums-Leitung von den neuen Vordenkern der NZZ empfohlen worden sein, ist die NZZ doch der wichtigste «Partner» des Europa Forums Luzern.)

Und wie soll die Schweiz mit dem Euro umgehen?

In einem zweiten Teil, dem die Frage zugrunde lag, wie sich die Schweizer Industrie im Hinblick auf die schwelende Euro-Krise zu verhalten und zu behaupten habe, kam zuerst Jacques de Wattenville , Chefunterhändler der Schweiz in den Verhandlungen mit der EU, zu Wort. Er blieb diplomatisch und sagte nichts. Auch Markus Spillmanns Fragen konnten ihm keine Neuigkeiten entlocken.

Jan Mischke, ein McKinsey-Mann, zeigte mit ein paar Charts zum Wert des Schweizer Frankens, des Euros und des Dollars, dass die gegenwärtigen Währungssprünge eben nur Sprünge sind, im Long-Term-Vergleich aber im normalen Rahmen liegen.

Drei Schweizer KMU-Vertreter (Adrian Pfenniger von TRISA, Katharina Lehmann von Blumer-Lehmann und Franziska A. Tschudi Sauber von Wicor) erklärten anschaulich, wie schwierig die jetzige Währungssituation für Schweizer Firmen ist und dass die Schweizerische Nationalbank SNB den Franken-Kurs unbedingt wieder stabilisieren müsse. Es herrschte Konsens: Die Schweiz ist im Stadium der De-Industrialisierung. Der CS-Kundenbetreuer Andreas Gerber seinerrseits konnte allerdings keine schwerwiegenden Probleme in der Schweizer Wirtschaft erkennen. Die von ihm betreuten KMU-Kunden rentieren, wie er sagte, noch immer bestens.

Der ex-Deutsche-Bank-Boss Joe Ackermann im Interview

Dann allerdings kam ein wirklicher Finanz-Promi auf die Bühne – schon diesen einmal nicht nur auf der Flimmerkiste, sondern direkt vor Augen zu haben, lohnte den Besuch des Forums: Joe Ackermann, von 1977 bis 1996 steil aufsteigender Mann bei der Crédit Suisse, dann Wechsel zur Deutschen Bank, deren alleiniger Vorstandsvorsitzender von 2006 bis 2012 er schliesslich war. Seit November 2014 ist Joe Ackermann Verwaltungsratspräsident der Bank of Cyprus, einer jener zypriotischen Banken, bei deren Pleite 2012 nicht nur die Aktionäre, sondern auch viele Spar-Einleger Geld verloren haben, und die nur dank der Hilfe der EZB überhaupt überlebt haben. Grosse Banken dürfen bekanntlich darauf vertrauen, dass sie vom Staat – sprich: von den Steuerzahlern – gerettet werden, wenn sie vor dem Bankrott stehen.

Was hatte der smarte Banker denn zur Zukunft des Euros zu sagen? Fast nur Gutes! Brexit hin oder her, Griechenland ist, seiner Kleinheit wegen, eh ein überschätztes Problem, die EU muss einfach auf der Durchsetzung der Reformen beharren, auch in Italien, Spanien und Portugal. Man sollte einfach nicht überreagieren und den Banken nicht irgendwelche Fesseln anlegen wollen. Dann kommt schon alles gut! (Siehe dazu auch den Infosperber-Beitrag zum Thema «Griechenlandhilfe».)

Die Hälfte der Probleme sei eine Folge schlechter Kommunikation, wird oft gesagt. Nach Joe Ackermanns Auftritt im Luzerner KKL darf man vermuten: Die Hälfte seiner steilen Karriere ist Folge brillianter Kommunikation: Soviel Selbstsicherheit und Selbstzufriedenheit in einem einzigen roten Sessel hat man selten schon gesehen…

Grossaufmarsch am Abend

Bundespräsident Johann N. Schneider-Ammann

Mehr als voll war dann der Saal im KKL am Abend, denn immerhin trat hier auch der gegenwärtige Bundespräsident Johann N. Schneider-Ammann auf. Auch hier versicherte er seine Haltung: dass der Frankenkurs für die Schweizer Wirtschaft schwierig sei, wisse er, aber, wie mehr und mehr gefordert, deshalb eine aktive Industrie-Politik zu betreiben, komme für ihn nicht in Frage.

Die EZB-Bankerin Sabine Lautenschläger

Sabine Lautenschläger, ein Mitglied des EZB-Direktoriums, versuchte, den anwesenden Innerschweizern mit einem historischen Rückgriff auf den Gotthard die EU etwas sympathischer zu machen – mit guten Argumenten. Allerdings wusste auch sie keine andere Lösung für die gegenwärtige Euro-Krise, als mit immer noch mehr Geld das Wirtschaftswachstum zu reaktivieren.

Der SNB-Direktionspräsident Thomas J. Jordan

Thomas J. Jordan schliesslich, der Direktionspräsident der SNB, verteidigte den Entscheid der SNB vom Januar 2015, den Wechselkurs des Schweizer Frankens freizugeben, und er vertrat einmal mehr die These, der Schweizer Franken sei einfach überbewertet.

Auch hier versuchte Moderator Markus Spillmann im Anschluss, den drei prominenten Finanz- und Wirtschaftsexperten einige zusätzliche News zu entlocken. Was am Tag der Greenpeace-Enthüllungen amerikanischer TTIP-Dokumente als Frage auf der Hand lag: Herr Bundesrat, was sagen Sie zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU heute? Und siehe da, Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann sagte tatsächlich etwas Überraschendes. War bisher immer nur die Rede davon, die Schweiz müsse sich, so TTIP denn Realität werde, daran «andocken», so wechselte der hohe Magistrat jetzt die Terminologie: Man sei in Bern «auf der Lauer», sagte er, wörtlich und mehrfach, denn klar, da müsse die Schweiz dabei sein. Also vielleicht doch nichts Neues, nur eine neue Kombination: Man ist jetzt «auf der Lauer», um bei TTIP «anzudocken»…

War damit zum Thema Euro alles gesagt?

Nicht wirklich. Denn eine Chance hat das Europa Forum Luzern, seinem Namen zum Trotz, einmal mehr verpasst: die Frage, wie die Situation aussähe, wenn die Schweiz Mitglied der EU würde. Wie leicht wäre es gewesen, einem Wirtschaftswissenschafter oder einem unabhängigen Think Tank – zum Beispiel foraus – den Auftrag zu geben, ein Szenario vorzulegen, was sich in der Schweiz verändern würde – positiv und negativ –, würde sie der EU beitreten und den Euro als Währung übernehmen. Was wären die Chancen? Was die Gefahren? Was die Unwägbarkeiten? Einfach einmal als denkbares Szenario auf den Tisch gelegt.

Nein. Dass der Schweizer Franken im Wechselkurs nicht als Folge realwirtschaftlicher Verhältnisse, sondern wegen dem internationalen Finanz-Casino so hoch ist, weil unvernünftig viel Giralgeld in den Franken fliesst, das darf in der finanzmarktgläubigen Schweiz nicht gesagt werden. Und wie es aussähe, wenn die Schweiz als Herz Europas der Europäischen Union beitreten würde, dieses Szenario darf nicht einmal angedacht, geschweige denn diskutiert werden. Gäbe es ein internationales Ranking für Denk-Verbote, die Schweiz hätte alle Chancen, ganz weit oben platziert zu werden!

In einigen Sprachen nennt man dieses Phänomen Mental Corridor – mentaler Korridor. Der Künstler Sven Fennema hat diesen Begriff auch bildhaft festgehalten …

Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Auch das Europa Forum Luzern ist lernfähig. War am Nachmittag in einem Werbespot auf der Grossleinwand das Wort «Foerderkreis 92» noch mit oe geschrieben, so stand am Abend des gleichen Tages das Wort bereits mit ö. Und so könnte es eines Tages auch mit der Politik unseres Landes gehen. Bekanntlich kann die Schweiz ihre Gesinnung ziemlich schnell auswechseln, wenn es um ihre eigenen Vorteile geht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

EU_Schweiz

Die EU und die Schweiz

Europa ist für die Schweiz lebenswichtig. Welchen Grad an Unabhängigkeit kann die Schweiz bewahren?

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4 Meinungen

  • am 9.05.2016 um 12:41 Uhr
    Permalink

    Danke für die interessante Zusammenfassung. Dank diesem Service kann man gut auf den Besuch des Europa-Forums verzichten.

  • am 9.05.2016 um 20:37 Uhr
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    Punkto Joe Ackermann und dem Wert des Europa-Forums absolut einverstanden, lieber Christian Müller! Nun droht bereits wieder eine solche Veranstaltung in Bern: Swiss International Forum – Back to Growth, am 28. Juni.
    Und da sollen die Speaker einen Mehrwert bringen? Da fehlt eigentlich nur noch Didi Hallervorden: «Nonstop nonsens»…….

  • am 9.05.2016 um 20:38 Uhr
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    wichtig ist doch, dass unser Bundespräsident permanent auf der Lauer liegt…
    Weshalb war er eigentlich dort? und die andern Promis, die alle nichts gesagt haben…? Waren sie dort, um vielleicht etwas aufzuschnappen, falls ein Promi-KollgeIn doch etwas sagen würde?
    Ich will einmal nachschauen, was eigentlich der Zweck dieses Europa-Podiums ist oder war.
    Jedenfalls alles Neo- oder Pseudoliberale Exponenten. Risiko-Kredite mit Steuergeld für die Banken in die Scheune retten, das ist für diese Leute echt liberal. 🙁

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 11.05.2016 um 11:28 Uhr
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    Und der Herr Jordan hat uns immer noch nicht mitgeteilt, warum er am 15.1.15 den CHF aufgewertet hat. Jedenfalls wissen wir jetzt aus erster Hand, dass dies ein Schritt in die falsche Richtung war da der CHF doch eh schon überbewertet war.

    Bei solchen Köchen nützt wohl auch alles ‹auf der Lauer liegen› nicht viel, ausser man hofft durch die ‹Desindustrialisierung› das Ausländerproblem, das Zweitwohnungsproblem, das Dichtestressproblem… alles auf einmal lösen zu wollen.

    Man sollte dabei aber bedenken, dass in den Indianerreservaten jede Menge anderer unschöner Probleme aufgetaucht sind : Arbeitslosigkeit, Entmotivierung, exzessiver Alkoholkonsum … kurz komplete Dekadenz. Ist das die neue Zielgrösse unserer Wirtschaftspolitik ?

    Immerhin geht es den subventionierten Banken noch relativ gut. Die konstante Gelddruckerei hat wenigstens den Vorteil die nomialen Börsenwerte hochzuschrauben, auch wenn dahinter im Reservat kaum mehr viel an Substanz übrig bleibt.

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