Erinnerung an den Vietnamkrieg

Die Publikation der «Pentagon Papers» verschärfte die Kritik am Vietnamkrieg. © Jens Junge

Wie die «Pentagon Papers» enthüllt wurden

Rainer Stadler /  Die Vorgeschichte zur Enthüllung der «Pentagon Papers» über den Vietnamkrieg erinnert an einen Krimi. Nun wurden Details bekannt.

Am Donnerstag ist ein Veteran des Enthüllungsjournalismus gestorben: Neil Sheehan. Er spielte vor fast fünfzig Jahren eine wichtige Rolle im politischen Streit um den Vietnamkrieg, über den er als Korrespondent berichtet hatte. In der «New York Times» machte er am 13. Juni 1971 die geheimen «Pentagon Papers» publik. Mit der aufsehenerregenden Berichterstattung konnte er belegen, wie die US-Regierungen die Öffentlichkeit über die Geschehnisse in Südostasien belogen hatten. Entgegen den offiziellen Behauptungen war der Krieg gegen die kommunistische Regierung in Nordvietnam schon lange geplant gewesen. Zudem hatten die USA die Operationen im Geheimen auf Laos und Kambodscha ausgeweitet.

Über die Vorgeschichte zu seinen Enthüllungen hat Sheehan nicht gesprochen. Vor fünf Jahren – schwer krank – brach er jedoch sein Schweigen; ein Mitarbeiter der «New York Times» hatte ihn darum gebeten. Mit diesem redete er vier Stunden lang – unter der Bedingung, dass die Erinnerungen erst nach seinem Tod veröffentlicht würden. Den Artikel hat die Zeitung nun zur Lektüre freigegeben.  

Der Staat wehrt sich

Wer Staatsgeheimnisse ans Licht zerrt, muss mit heftigen Reaktionen rechnen. Diese Erfahrung machte nicht nur der Politik-Aktivist und Wikileaks-Gründer Julian Assange, der in Grossbritannien in einem Sicherheitsgefängnis eingesperrt ist und seit Jahren gegen eine Auslieferung an die USA kämpft. Dieser Tage war er vor Gericht erfolgreich – vorerst.

Auch damals ging die amerikanische Regierung unter Präsident Nixon juristisch gegen die Enthüllungen der «New York Times» vor. Ein Gericht verbot mit Blick auf die nationale Sicherheit eine weitere Berichterstattung. Ende Juni 1971 sagte jedoch das oberste Gericht, eine solche Zensur sei nicht verfassungsgemäss. Der Fall wurde zu einer Ikone des investigativen Journalismus.

Die heissen Dokumente – 7000 Seiten umfassend – erhielt Sheehan von Daniel Ellsberg. Dieser hatte als Mitarbeiter der Denkfabrik Rand Corporation Zugang zu den höchst geheimen Papieren, die er 1969 unerlaubt kopierte.

Eine heikle Beziehung

In den postumen Schilderungen des Enthüllers wird sichtbar, wie heikel die Beziehung zwischen dem Journalisten und dem offenbar schwer berechenbaren wie auch zweifelnden Whistleblower war. Sheehan befürchtete, dass andere Journalisten ihm zuvorkommen oder dass die Staatsvertreter Verdacht schöpfen könnten. Ellsberg redete nämlich nicht nur mit ihm über die Papiere. Zudem wollte der Whistleblower die Dokumente nicht herausrücken – aus Angst, er könnte die Kontrolle verlieren. Wie Ellsberg in seinen Memoiren darlegte, wollte er, dass die gesamten Dokumente publiziert würden. Er zweifelte, ob das die «New York Times» tun würde. Gleichzeitig hatte er Angst davor, verraten zu werden und im Gefängnis zu landen. Nach Darstellung von Sheehan handelte Ellsberg zuweilen unvorsichtig. Er habe überall Spuren hinterlassen.

Jedenfalls durfte Sheehan die brisanten Papiere, welche die Entscheidungen der Regierung offenlegten, bloss lesen. Von den Schriften hatte zudem seit längerem ein anderer Mitarbeiter der «New York Times» Kenntnis. Dieser wollte den Skandal in einem Buch enthüllen. Als er von der bevorstehenden Publikation in der Zeitung seines eigenen Arbeitgebers erfuhr, geriet er in Panik und rief Ellsberg an, der darauf Sheehan zu kontaktieren versuchte. Dieser verleugnete sich, bis er sicher war, dass die Veröffentlichung nicht mehr zu verhindern war – ab dem Zeitpunkt, als bereits 10 000 Exemplare gedruckt waren.

Ausgetrickst

Die Vorbereitungen für die Publikation waren aufwendig. Sheehan überging Ellsberg. Dessen Ferienabwesenheit nutzte er als Gelegenheit, um die Papiere zu kopieren. Er sagte zu sich: «Dieser Mensch ist unmöglich. Ich kann das nicht in seinen Händen lassen. Das alles ist zu wichtig und zu gefährlich.» Das Ziel war indessen etwas komplizierter zu realisieren zu Zeiten, als es noch nicht möglich war, riesige Informationsmengen im Nu auf digitale Datenträger herunterzuladen. «Xerox it», sagte Sheehans Frau Susan, die beim «New Yorker» arbeitete. Er brauchte nicht zuletzt die Zusage seines Arbeitgebers, kurzfristig Hunderte Dollar für Kopiermaschinen auszugeben.

Als Ellsberg verreist war, flog Susan zu ihrem Mann nach Boston, brachte Koffern, Umschläge und Geld mit, und sie checkten unter falschem Namen in einem Hotel ein. Die grosse Papiermenge überforderte die Maschinen eines Kopierladens in Boston, so dass die beiden Journalisten die Lokalität wechseln mussten. Der Besitzer des nächsten Ladens, ein Navy-Veteran, schöpfte Verdacht, konnte aber beruhigt werden. Für den Flug nach Washington buchten sie einen eigenen Sitz für den Koffer mit der heissen Ware, welchen sie nicht aus den Augen liessen.

Das brisante Material versteckten sie unter anderem im Gefrierfach eines Kollegen; heikle Papiere mit Spuren von Ellsberg verbrannten sie mit der Grill-Apparatur eines Diplomaten aus Brasilien, der mit Sheehans Schwiegervater befreundet war.

Mit dem Blut der Söhne

Zurück in der Hauptstadt, checkte Sheehan im Jefferson Hotel ein, wo er während mehreren Wochen die Papiere analysierte. Nach dem Placet der Chefetage seiner Zeitung – der er den Namen seiner Quelle nie verraten hatte – ging die Arbeit in einem Hilton-Hotel in New York weiter, wo sich zusehends eine verschworene Truppe samt Sicherheitspersonal versammelte.

Nach der Publikation sagte Ellsberg zu Sheehan: «Du hast die Papiere gestohlen, wie ich es tat.» Nein, erwiderte Sheehan, das hätten sie beide nicht getan: «Diese Papiere gehören dem amerikanischen Volk. Es zahlte dafür mit dem Nationalschatz und mit dem Blut seiner Söhne. Es hat ein Recht darauf.»


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4 Meinungen

  • am 9.01.2021 um 12:29 Uhr
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    Das ist ein einerseits interessantes, anderseits ein sehr spezielles Detail. Diese «Pentagon Papers» sind für uns inzwischen ein peripheres Detail der Geschichte und insofern etwas zweit-rangig, als sie letztlich nicht dazu geführt haben, dass dieser widerwärtige Krieg beendet wurde.

    • am 11.01.2021 um 08:08 Uhr
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      Herr Furrer,
      wie kommen Sie zum Schluss, dass die «Pentagon Papers» nicht zur Beendigung des Kriegs geführt haben? Wikipedia behauptet das Gegenteil:
      https://de.wikipedia.org/wiki/Pentagon-Papiere
      Nun ist Wikipedia auch nicht die alleinige Inhaberin der letzten Wahrheit, doch wer ihr widerspricht, muss schon eine Erklärung mitliefern.

  • am 9.01.2021 um 21:49 Uhr
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    Wenn Bürger*innen eines «demokratischen» Staates von ihrer Regierung in Kriege geschickt werden, deren Ursachen und Gründe sie nicht verstehen können und dürfen, weil die Gründe vor ihnen geheim gehalten werden bis zu ihrem «ehrenhaften» Tod auf dem Schlachtfeld – und darüber hinaus – dann läuft hier etwas schief.
    Noch schräger wird es, wenn dieselbe Regierung das Geld dafür nicht hat und auch ihre Bürger*innen nicht für die Finanzierung der Kriege fragt, sondern dieses Geld einfach bei den Bankern leiht, welche es aus dem Nichts herbeizaubern – und damit das Geld der ahnungslosen Bürger*innen Jahrzehnte später entwertet wird und diese in ihrer Existenz gefährdet.
    Hauptsache sie «bürgen» dafür mit ihrem Leben und ihrem Erspartem.

    Kriege sind der Hauptgrund, dass die Inflation in 2021 und in den folgenden Jahren massiv anziehen wird.

    Ich bin sicher, dass so etwas seit der Aufklärung auf der Erde noch niemals vorgekommen ist … und möchte alle Bürger*innen aller Länder dazu auffordern, ihren Regierungen weiterhin blind zu vertrauen.

    Es gibt keine Alternative zur Gewaltlosigkeit – und der Kontrolle der Mächtigen.
    https://www.friedenskraft.ch/home

  • am 9.01.2021 um 23:24 Uhr
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    Herr Furrer, das heisst noch lange nicht, dass das ganze zweitrangig ist. Das Volk darf wissen, wie sowas abläuft. Leute wie Assange werden sich bedanken, wenn wir «Normalbürger» nur den Kopf in den Sand strecken. Traurig. Leider.

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