211027 NZZ Moldau

NZZ vom 27. Oktober 2021 © nzz

NZZ verrenkt sich, um Moskau anzuschwärzen

Urs P. Gasche /  Russland setze Erdgas als Druckmittel ein, titelt die NZZ. Im Text des Korrespondenten liest man etwas Anderes.

Gross titelt die NZZ am 27. Oktober auf Seite 2: «Moskaus Machtspiel mit der Moldau». Untertitel: «Russland setzt sein Erdgas auch hier als Druckmittel ein». Viele Lesende werden mit einem «Déjà-vu» reagieren, sich bestätigt fühlen und die Seite umblättern. Doch in seinem ausführlichen Artikel berichtet NZZ-Moskaukorrespondent Markus Ackeret eine andere Geschichte. Für die Titelsetzung musste die NZZ-Redaktion eine ziemliche Verrenkung vornehmen.

Gazprom erfüllt alle seine Verpflichtungen – Moldawien zahlt seit drei Jahren nicht mehr alle Rechnungen

Keine Frage, die Republik Moldau ist fast vollständig vom russischen Erdgas abhängig. Bis 2020 bezog das Land alles Erdgas vom russischen Gazprom-Konzern. Dieser gehört mehrheitlich dem russischen Staat. Am lokalen Erdgas-Verteiler «Moldovagaz» ist Gazprom zur Hälfte beteiligt.

Keine Frage, das Erdgas, das in Moldawien aus Kostengründen auch für Autos verwendet wird, ist knapp geworden. Die neue, westlich orientierte Regierung rief für einen Monat sogar den Notstand aus und befürchtet einschneidende Engpässe im Winter.

Keine Frage auch: Gazprom stellte der moldauischen Regierung am letzten Wochenende ein Ultimatum. Gazprom sei bereit, auslaufende Lieferverträge zu verlängern, falls vorerst die seit drei Jahren aufgelaufenen Zahlungsrückstände der Regierung in Höhe von 433 Millionen Dollar plus Zinsen beglichen würden.

Auch westliche Konzerne würden auslaufende Verträge nicht erneuern, wenn die Abnehmer die Rechnungen nicht zahlen. Einige Verträge laufen aus, weil die moldauische Regierung keine längerfristigen Verträge mit garantierten Mengen und Preisen wollte, sondern spekulierte, sich auf dem freien Spotmarkt günstiger eindecken zu können. Gegenwärtig beteiligt sich Gazprom nicht mehr an den Spot-Märkten.

«Erdgaskrise ist vom Versagen der moldauischen Regierung verursacht»

Der NZZ-Moskaukorrespondent beleuchtet die Hintergründe der Energiekrise in Moldawien wie folgt:

«Katja Yafimava vom Oxford Institute for Energy Studies verneint … eine politische Konnotation des russischen Verhaltens. Die Erdgaskrise sei das Versagen der moldauischen Regierung. Diese versucht seit längerem, eine Verlängerung des Liefervertrags zu erreichen. Den von Gazprom angebotenen Preisabschlag empfindet die Regierung aber als zu gering. Aus Yafimavas Sicht hat sie zu lange gewartet und sich verspekuliert. Jetzt fallen die stark gestiegenen Preise am Erdgasmarkt erst recht ins Gewicht.»

«Für diese Sichtweise gibt es gute Gründe. Gelieferte Ware nicht zu bezahlen, ist unabhängig vom politischen Kontext in einer Handelsbeziehung wenig hilfreich … Milde kann die Moldau vom Kreml nicht erwarten. Präsidentin Maia Sandu steht für die Westorientierung der Moldau.»

«Zwar erfüllt Gazprom gegenüber den europäischen Abnehmern derzeit die vertraglichen Verpflichtungen. Aber das ist für den vorhandenen Bedarf zu wenig. Nach einem kalten Winter waren die Erdgasspeicher sowohl in Europa wie auch in Russland leer.»

«Moskau ist nicht gewillt, den Erdgasexport über das ukrainische Transportsystem auszuweiten … Putin machte deutlich, dass die schnelle Zertifizierung und Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zur Entspannung der Märkte in Europa beitragen werde.» Damit bestätige Putin, folgert der Korrespondent, «dass Russland das Erdgas als Druckmittel nutzt».

Keine Frage, dass Moskau an der Inbetriebnahme der Nord Stream 2 interessiert ist. Und keine Frage, dass Russland nicht mehr Erdgas durch die Ukraine liefern möchte als vertraglich vereinbart.

Doch Russland darf laut NZZ-Korrespondent nicht einmal den Eindruck erwecken, das Erdgas als Druckmittel zu nutzen. Er meint am Schluss: «Verfestigte sich der Eindruck, Russland benutze Energielieferungen als Waffe, käme in den USA und in Deutschland erneut die Frage nach Sanktionen auf, die in den Vereinbarungen über die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 festgeschrieben wurden.»


Einige Medien beschuldigen Putin gerne vorschnell

Autoritären Regierungen, die im Innern des Landes Oppositionelle und Minderheiten unterdrücken und keine unabhängige Justiz kennen, wird vieles angehängt, ohne auf Fakten Rücksicht zu nehmen. Dies trifft insbesondere für Russland und China zu, denn die USA und die Nato nehmen diese als ihre geopolitischen Rivalen wahr und behandeln sie als Feinde.

211016 FOCUS PUTIN

Das Polit-Magazin «Focus» prangerte Putin als Kälte-Krieger an und warf ihm «das Abdrehen des Gashahns» vor, obwohl auch Kanzlerin Angela Merkel bestätigte, dass Russland alle Lieferverträge einhalte: «Russland kann ja nur Gas liefern auf der Grundlage von vertraglichen Bindungen und nicht einfach so.» Es stelle sich die Frage, «ob genug Gas bestellt oder ob wegen des hohen Preises derzeit nicht so viel Gas geordert werde.»

EU-Kommissar Kadri Simson bestätigte dies im EU Parlament: «Unsere erste Einschätzung deutet darauf hin, dass Russland seine langfristigen Verträge erfüllt, aber keine zusätzlichen Lieferungen vornimmt.»

Siehe Infosperber vom 19. Oktober: «Erdgaspreise: Einige Medien beschuldigen Putin gerne vorschnell».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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4 Meinungen

  • am 28.10.2021 um 11:37 Uhr
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    Während die EU, Ukraine oder Moldau nicht müde werden, trotz besseren Wissens ihre verfehlte Energiepolitik Russland anzulasten, sorgt Präsident Putin nun schon ein zweites Mal für Preisentspannung: „Um der Energiekrise in Europa zu begegnen, hat Russlands Präsident Wladimir Putin den Konzern Gazprom angewiesen, im November mehr Gas nach Europa zu liefern. Der Markt reagiert prompt auf die Ankündigung: Die Brennstoffpreise für November gehen leicht nach unten.“ https://de.rt.com/europa/126327-wladimir-putin-ordnet-erhoehte-gaslieferungen-nach-europa-an/ Das erste Mal war der Gaspreis aufgrund von Spekulationen auf dem freien Markt auf astronomische 2000 Euro pro 1000 Kubikmeter gestiegen, den wenigsten Politikern und ihren Medien scheint bekannt zu sein, dass der größte Gasanteil der EU aus Russland zu einem Festpreis zwischen 200 und 300 Euro kommt. Russen reagieren auf die Idiotie der EU und ihrer Politiker mit Humor: Der regelmäßig den Baerbock abschießenden Annalena raten sie, doch einfach alles abzuschalten und mit europäischen Gesetzen zu heizen, Russland empfehlen sie, der EU einmal mit Sanktionen zuvorzukommen und Nordstream II nicht vor Sommer in Betrieb zu nehmen, die EU kann nebenbei ja auf Gas-Suche gehen. Ungarn und Serbien haben rechtzeitig Verträge mit Russland geschlossen und Energie im Winter sichergestellt, im Unterschied zur EU interessieren sie sich für das Wohl ihrer Bevölkerung.

  • am 28.10.2021 um 12:47 Uhr
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    Das «auch» im Untertitel der NZZ versucht, eine Lüge zu bestätigen, die bereits seit längerem widerlegt ist. So sehr, dass sogar das US-Außenministerium jetzt der EU rät, auf Russlands Angebote (!), den Gasexport zu erhöhen, einzugehen. https://www.newsweek.com/us-urges-russia-supply-gas-europe-quickly-rather-wait-pipeline-approval-1642443
    Gazprom liefert aufgrund langfristiger Verträge (wie sie im Gashandel üblich sind) aktuell größere Mengen als 2018, dem Jahr mit den bisher höchsten Gasexporten. Es hat (u.a. durch Präsident Putin) angeboten, seine Lieferungen zu erhöhen … WENN die EU entsprechende Mengen BESTELLEN würde! Da Ungarn seinen Gasbedarf jetzt über Turkstream deckt (sehr zum Unwillen der Ukraine, der die Durchleitungsgebühren entgehen), sind sogar in den alten Überlandleitungen wieder Kapazitäten frei. Von Nordstream 2 ganz zu schweigen… D.h., RU wäre bereit und in der Lage, jederzeit mehr Gas zu liefern – und zwar zu Preisen zwischen 230 und 300$ / 100.000 Kubikmeter. Die absurden Preise von um die 1000 $ (kurzzeitig sogar fast 2000) kommen NUR durch die «Liberalisierung» des Gasmarktes zustande, die die EU vor Jahren beschlossen und eingeführt hat. Natürlich bereichern sich die überflüssige «Zwischenhändler» an den «Gasbörsen» so schamlos wie es nur geht. Das Problem liegt EINZIG UND ALLEIN auf EU-Seite, wo die Entscheider in ihren warmen Büros keinen Pfifferling auf die Bevölkerung geben, wenn es gilt, «gegen Russland» zu marschieren – vorerst noch nur verbal

  • am 28.10.2021 um 16:53 Uhr
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    an anderer Stelle war zu lesen, dass Russland sogar noch mehrere Monate Gas nach Moldawien geliefert hat, ohne dass die Moldauer Regierung die ausstehenden Rechnungen beglichen hat. Wenn man bedenkt, dass gleichzeitig Subventionen aus der EU nach Moldawien fließen, muss ich mich doch fragen, was machen die mit dem Geld?
    Der Versuch der westlichen Mainstream Medien, Russland über die Turbulenzen, die die hochspekulierten Gaspreise in Westeuropa auslösten, zu diskreditieren, nimmt mittlerweile absurde Züge an.

  • am 28.10.2021 um 20:32 Uhr
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    Wer den NZZ-Artikel nicht gelesen hat: Es ist also nicht so, dass man bei der Lektüre wegen Diskrepanz Titel-Inhalt vor Überraschung fast vom Stuhl fällt, weil sich der Russische Machtapparat entgegen der im Titel geschürten Annahme als «normaler Handelspartner» entpuppt. Der Autor stellt den Konflikt mit der Moldau in einen grösseren Kontext: Die Gaslieferungen aus Russland in diverse Bezugsländer sind momentan kleiner als die Nachfrage, in Russland bemüht man sich darum, die Ukraine als Transitland bei den Lieferungen möglichst zu umgehen. Die Gründe für dieses Verhalten liegen im Nebel, es gibt allerdings zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass es sich um einen Machtpoker handelt, bei dem die «Besitzer» der natürlichen Ressource verdeutlichen, wer am längeren Hebel sitzt – ungeachtet des Risikos, Profite und Handelspartner zu verlieren. (Dies ist eine kurze Zusammenfassung des NZZ-Beitrags)

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