Kommentar

Der IWF, die Medien und die Lüge vom «Grexit»

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsErnst Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches «Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs», erschienen ©

Ernst Wolff /  Medien schüren die Angst vor einem möglichen Grexit. Das ist ganz im Interesse der mächtigen Finanzorganisationen.

Am 30. Mai veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) einen Artikel unter der Überschrift «IWF schliesst einen Grexit nicht aus». Der Text enthielt unter anderem Auszüge aus einem Gespräch mit IWF-Chefin Christine Lagarde. Wie aus einer Fussnote des Artikels hervorgeht, hat sich der IWF vor der Veröffentlichung an die Redaktion der FAZ gewandt und um die Änderung einer Formulierung gebeten.

Hintergrund ist die Tatsache, dass der IWF die Äusserungen seiner führenden Mitglieder bei Interviews grundsätzlich «autorisiert». In diesem Fall hatte er Christine Lagardes Satz «Der Austritt Griechenlands ist eine Möglichkeit» freigegeben.

In der Fussnote der FAZ heisst es: «Als die Finanzmärkte auf dieses Zitat nervös reagierten, bat der IWF darum, die autorisierte deutsche Version anders zu formulieren. Deshalb wurde aus dem autorisierten Zitat, es handle sich bei dem Grexit um eine Möglichkeit, die Version, dass ‹niemand den Europäern einen Grexit wünscht›.» 
Medien als Sprachrohr des Finanzkapitals
Obwohl nur vier Zeilen lang, verrät diese Fussnote mehr über die mächtigste Finanzorganisation der Welt und die Rolle, die die FAZ und die Mainstream-Medien im Konflikt um Griechenland spielen, als so manch langes politisches Traktat.

  1. Aus der Reaktion des IWF geht hervor, dass Formulierungen seiner führenden Vertreter die Finanzmärkte keinesfalls «nervös machen» dürfen. Gibt es einen deutlicheren Beweis dafür, wessen Interessen das Handeln des IWF bestimmen?
  2. Schafft es der IWF trotzdem, die Finanzmärkte mittels einer Äusserung «nervös zu machen», so zögert seine PR-Abteilung anschliessend ganz offensichtlich nicht, die Medien hinter dem Rücken der Öffentlichkeit zu manipulieren. Braucht man einen klareren Beweis dafür, dass eine Organisation ihren wahren Charakter vor den Augen der Welt zu verschleiern versucht?
  3. Der IWF bittet darum, die Formulierung «Der Austritt Griechenlands ist eine Möglichkeit» durch die Formulierung «Niemand wünscht den Europäern einen Grexit» zu ersetzen. Kann man Griechenland zynischer diskreditieren und die europäische Bevölkerung auf perfidere Weise unter Druck setzen, als ihr gegenüber Mitleid mit einem «Grexit» zu heucheln…?

Die Veröffentlichung wirft aber nicht nur ein bezeichnendes Licht auf die Methoden des IWF. Sie zeigt auch auf eindrucksvolle Weise das wahre Gesicht der FAZ. Deren Redaktion versucht zwar, den Anschein der Seriosität zu wahren, indem sie den groben Verstoss des IWF gegen die grundlegenden Prinzipien eines objektiven Journalismus nicht verschweigt und an der selbstgewählten Überschrift des Artikels festhält.
Drohender Grexit als Druckmittel
Die FAZ bemüht sich damit aber keinesfalls um die objektive Wahrheit, sondern verfolgt ganz einfach die Interessen des deutschen Finanzkapitals, als deren Sprachrohr sie sich seit langem betätigt. Wie? Indem sie in ihrem Artikel – wie alle übrigen deutschen Mainstream-Medien – die Lüge vom angeblich möglichen «Grexit» verbreitet, mit der das deutsche bzw. das europäische Finanzkapital einerseits und das amerikanische Finanzkapital andererseits sich derzeit gegenseitig unter Druck setzen.
Um es klar und deutlich zu sagen: Ein solcher Grexit ist absolut ausgeschlossen. Die EU kann Griechenland nicht aus der Eurozone werfen, ohne dabei finanzielle, ökonomische und soziale Folgen zu riskieren, die die Eurozone zerstören würden. Griechenland wiederum kann den Staatsbankrott nicht erklären, ohne das Weltfinanzsystem mit in den Abgrund zu reissen. Grund dafür sind Kreditausfallversicherungen, die bei den grössten US-Banken und bei der Deutschen Bank in Frankfurt lagern, deren Höhe aber – ganz legal – vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen wird.
Warum engagiert sich der IWF in Griechenland?
Warum aber wird dieser Grexit trotz dieses Tatbestands immer wieder in die Diskussion gebracht? Um diese Frage zu beantworten, sollte man sich zunächst einmal der Frage zuwenden: Wieso engagiert sich der IWF überhaupt in Griechenland? Interessiert ihn das Schicksal arbeitsloser Jugendlicher, hungernder Rentner oder verzweifelter Kranker, die ihre Medikamente nicht mehr bezahlen können? Ist der IWF daran interessiert, seinen europäischen Verbündeten in schwierigen Zeiten unter die Arme zu greifen, um ihnen aus einer Notlage zu helfen?
Ganz gewiss nicht. Der IWF ist nur aus einem einzigen Grund als Teil der Troika in Griechenland unterwegs: Weil er dort die Interessen amerikanischer Finanzinstitutionen wie JP Morgan, der Bank of America, Goldman Sachs oder der City Group vertritt. Er muss mit allen Mitteln dafür sorgen, dass deren ausstehende Kredite zurückgezahlt werden und diese Institutionen sich auch weiter am Niedergang des Landes bereichern können. Zu diesem Zweck muss er um jeden Preis verhindern, dass es zu einem griechischen Staatsbankrott kommt.

Dieses Ziel zu erreichen, wird allerdings immer schwieriger und vor allem immer kostspieliger. Deshalb versuchen sowohl der IWF, als auch die über den ESM für viele Milliarden bürgende EU (und innerhalb der EU vor allem das für die höchste Summe bürgende Deutschland), sich gegenseitig den Löwenanteil der notwendigen Zahlungen zur Vermeidung eines griechischen Staatsbankrotts zuzuschieben. Genau hierzu dienen die Äusserungen der USA, es könne zu einem ungeordneten Staatsbankrott kommen, während die EU damit pokert, ein solcher Grexit sei verkraftbar.
Rücksichtsloser Machtkampf
Es ist einzig und allein dieser Konflikt zwischen den USA (vertreten durch den IWF) und der EU (vertreten durch EU-Kommission und Europäische Zentralbank), der derzeit das Verhalten beider Seiten bestimmt. Es ist ein rücksichtsloser Machtkampf, der sich vor allem durch zwei Merkmale auszeichnet: Dass er die Öffentlichkeit durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen hinters Licht führt und dass er zudem auf dem Rücken der Betroffenen, nämlich der griechischen Bevölkerung, ausgetragen wird.

Das Schicksal von Menschen, deren Lebensstandard durch sechs Sparprogramme drastisch gesenkt wurde, von denen viele ohne Arbeit und unversichert in eine unsichere Zukunft blicken, deren Lebensabend durch Rentenkürzungen zerstört wurde, von denen die Schwächsten und Hilfsbedürftigsten ohne medizinische Versorgung auskommen müssen, ist den Beteiligten aus Hochfinanz und Politik dabei vollkommen gleichgültig. In den Augen des IWF, der EU und auch der Medien sind diese Opfer der Krise nichts anderes als eine anonyme Manövriermasse, deren Zukunft der Gier von Bankern und der Geltungssucht von Politikern unterzuordnen ist.

Wie der FAZ-Artikel belegt, sehen die Mainstream-Medien ihre Rolle darin, diese Kräfte zu unterstützen, indem sie die wahren Hintergründe des Konfliktes verschleiern und die Öffentlichkeit gezielt durch das Aufbauschen eines in Wirklichkeit ausgeschlossenen «Grexit» in die Irre führen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Ernst Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches «Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs», erschienen im Tectum-Verlag, Marburg.

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3 Meinungen

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 9.06.2015 um 09:13 Uhr
    Permalink

    Besten Dank für diese klare Zusammenfassung des aktuellen Finanzzynismus, sorry der aktuellen internationalen Geldpolitik.

    Aus meiner Sicht kann ich diese Aussagen nur unterscheriben.

  • am 9.06.2015 um 14:10 Uhr
    Permalink

    weshalb sollte denn beim spielen mit gezinkten Karten jemand die Wahrheit sagen?
    Und weshalb sollten die Blätter der Hochfinanz die Wahrheit verkünden?

  • am 11.06.2015 um 10:14 Uhr
    Permalink

    Ja, lange ist es her (1815 – 1914) seit die «Hochfinanz» den Ruf hatte, international ausgleichend und zumindest unter den Europäischen Nationen friedensfördernd zu wirken. Da konnte der Bürger deren Blätter noch beim Frühstück geniessen, sagt man..

    Werner T. Meyer
    Quelle: Karl Polanyi: The Great Transformation.

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