Sperberauge

Credit Suisse: Enthüllungsjournalismus à la SRF-Tagesschau

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

Urs P. Gasche /  «Die Angestellten laufen davon…Hinter vorgehaltener Hand liebäugeln weitere mit einem Abgang.» So informierte die SRF-Tagesschau.

Besonders private TV-Stationen und Boulevard-Medien neigen dazu, auf Personen oder Unternehmen herumzuhacken, sobald diese einmal in Ungnade gefallen sind – unter Verletzung journalistischer Sorgfalt und journalistischer Pflichten.

Ein solches Opfer ist gegenwärtig die Credit Suisse, die weltweit fast 50’000 Mitarbeitende beschäftigt. Deren Aktienkurs ist auf unter fünf Prozent des Wertes von 2007 gefallen. Trotzdem kassierten CEOs und Verwaltungsräte exorbitante Löhne und Boni. Die halbstaatliche Saudi National Bank wurde als Grossaktionärin willkommen geheissen, um nötiges Kapital zu erhalten.

Jetzt wird die Grossbank Credit Suisse zum Freiwild – sogar für die Tagesschau des öffentlich-rechtlichen Fensehens SRF.

In der Hauptausgabe vom 5. Dezember leitete Moderatorin Cornelia Boesch einen Bericht über die CS ein mit der Schlagzeile: 

«Die Spekulationen über die Zukunft der Credit Suisse reissen nicht ab…Jetzt laufen der Bank auch noch die Angestellten davon.»

Wohlgemerkt: «Die» Angestellten. Das heisst alle Angestellten laufen angeblich davon. Eine Schludrigkeit, die immer häufiger vorkommt.

Im Bericht war dann lediglich von einer nicht genannten Zahl «Angestellter» die Rede:

«Angestellte der Credit Suisse, die den Arbeitgeber wechseln. Das sieht der Personalvermittler zur Zeit häufiger.»

Als Kronzeuge kam Personalvermittler Stephan Surber zu Wort. Die Tagesschau stellte ihn vor mit dem Einblender «Geschäftsführer Page Executive». Die Zuschauenden scheinen zu wissen, was «Page Executive» ist.

Doch Personalvermittler Surber bestätigte nicht, dass «die Angestellten davonlaufen». Er sagte lediglich:

«Man sieht vermehrt Banker der Credit Suisse seit dem Sommer im Markt. Das sind Funktionen im Investmentbanking-Risikogeschäft. Das hat die Bank auch kommuniziert, dass sie in diesem Bereich abbauen wird.»

Tatsächlich: Schon im August 2022 hatte die CS den Abbau von weltweit Tausenden von Stellen bekanntgegeben, namentlich im Risikogeschäft.

«Gut qualifizierte Mitarbeitende also», fuhr die Tagesschau fort. Sie fragte den Personalvermittler nicht, wieviele vom Abbau betroffen waren und wieviele «davongelaufen» sind, und machte auch keine Angaben darüber. 

«Die Stimmung sei durchzogen», fuhr die Tagesschau fort. Quelle: «die Branche». Zitiert wird niemand. Schliesslich erwähnt die Tagessschau «das lange Schweigen der Konzernleitung» – offenbar als einen Grund, weshalb angeblich «die Leute davonlaufen». 

Doch dann formuliert es die Tageschau nur noch in der Frageform: 

«Droht der Bank nun, dass die besten Leute davonlaufen?» 

Wenn tatsächlich alle oder auch nur die meisten davonlaufen würden, wie die Tagesschau eingangs suggerierte, wären natürlich auch die besten darunter. Die Frage würde keinen Sinn machen. 

Wie es sich gehört, konnte CS-Verwaltungsrat-Präsident Axel Lehmann dazu Stellung nehmen. Lehmann gebe sich zuversichtlich, leitete die Tagesschau dessen Statement ein. Axel Lehmann erklärte dann, dass die CS «letztes Jahr eine hohe Fluktuation» gehabt habe. Auch gute Mitarbeitende hätten die CS verlassen. Aber die Verbleibenden seien «mit Herzensblut bei der Sache» und «die CS kann auch neue Mitarbeitende gewinnen».

Überraschend für die Zuschauenden machte die Tagesschau darauf einen Rückzieher. Anscheinend hatte sie schon vorher selbst recherchiert und erklärte:

«Die neue Strategie wird – laut SRF-Quellen – von den meisten Mitarbeitenden begrüsst.»

Um die Schlagzeile des davonlaufenden Personals doch noch einigermassen zu rechtfertigen, schob die Tagesschau die Bemerkung nach:

«Hinter vorgehaltener Hand heisst es auch, dass einige mit einem Stellenwechsel liebäugeln.»

Fazit: Die Enthüllung der Tagesschau, dass «die Angestellten davonlaufen», beruht offensichtlich auf Gerüchten, die sich angeblich «hinter vorgehaltener Hand» verbreiten.

Eine solche Information gehört nicht in die Tagesschau-Hauptausgabe des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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SRF Tagesschau in der Kritik

Die Informationssendung mit den meisten Zuschauenden muss sich von kommerziellen Sendern klar abheben.

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4 Meinungen

  • am 7.12.2022 um 12:50 Uhr
    Permalink

    Ein solcher Artikel ist wirklich nützlich. Es ist richtig, wenn solche Machenschaften von SRF aufgedeckt werden. Unprofessioneller geht es kaum noch.

  • am 7.12.2022 um 20:15 Uhr
    Permalink

    Dass der Wert der CS jetzt 5% beträgt zeigt nicht ausschliesslich wie schlecht die Firma ist sondern wie dumm die Investoren. Reiner Herdentrieb. Entweder war der Höchstpreis zu hoch oder jetzt zu tief oder von beidem etwas. Natürlich hat das Management Mist gebaut. Schauen wir nur auf all die Bussen. Deshalb muss zwingend das Management ab einer gewissen Entschädigung auch privat für Bussen mit Haftbar gemacht werden.

  • am 8.12.2022 um 11:22 Uhr
    Permalink

    SRF muss sparen. So sinkt die Qualität. Früher war die Tagesschau mal «Welttheater für Eidgenossen» (Verlag Politische Texte, 1973), heute ist sie die halbe Plauderstunde mit überlangen Beiträgen. Zum Sparen eben. Als Beilage zur Werbung. Was die Wertung von Journalismus in der Postmoderne zeigt.

  • billo
    am 8.12.2022 um 13:47 Uhr
    Permalink

    Ich habe mich über diesen lausigen Beitrag ebenfalls gewundert.

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