Bachelorette_3plus

«Flotte Frisuren, debile Mienen, irritierende Muskelberge» © TV-Sender «3+»

Bacholerette: Mensch Mann, Frau – schön blöd

Jürgmeier /  «Allzu viel Eitelkeit ist feminin und unmännlich.» Schreibt Michèle Binswanger im «Tagi». Und titelt: «Fit ist das neue Blöd».

Liebe Michèle Binswanger

Vielleicht hätten Sie sich die Sendung Bachelorette am letzten Montag besser nicht angetan. Die sechzehn – vom Sender 3+ für attraktiv erklärten – Mannsbilder haben Sie mit ihren «flotten Frisuren, debilen Mienen und irritierenden Muskelbergen», so Ihre eigene Rede, offensichtlich verwirrt. Oder warum sonst hätten Sie als ehemalige Mamabloggerin die Formel «Schön, aber hirnlos» aus der Klischeekiste geholt und einfach dem anderen Geschlecht übergestülpt?

Muskeln oder Hirn

Die Männer – die sich bei «intensiven Gesprächen, prickelnden Dates und abenteuerlichen Ausflügen» um «eine Traumfrau auf der Suche nach der Liebe ihres Lebens» (Website 3+) bemühen – gäben zwar «ihr Bestes, einen geraden Satz zu artikulieren», spotten Sie im Tages-Anzeiger vom 29. April 2015. Aber schon nach der ersten Folge ist es für Sie «offensichtlich, dass sich ihr Talent in gezielten Muskelkontraktionen erschöpft und die restlichen Gehirnzellen von der richtigen Menüplanung in Beschlag genommen sind».

Ich weiss ja nicht, was für Sie ein «gerader Satz» ist, aber, sex wie’s well: Wer sich in aller 3+-Öffentlichkeit (Wer kennt eigentlich diesen Sender?) freiwillig von der «begehrtesten Junggesellin der Schweiz» (3+-Norm) – die 99% der SchweizerInnen auf der Strasse nicht einmal bemerken würden – mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90% abservieren lässt, kann auch nicht auf mein Mitgefühl zählen. Was mich irritiert – dass Sie mit Ihrer Wortwahl locker das Niveau eines Joachim H. Bürger erreichen. Einfach etwas andersrum. Der schrieb 1990 in seinem gut verkauften Buch «Mann, bist du gut!»: «Ich mag Frauenbewegungen – solange sie schön rhythmisch und gleichmässig sind.» Zugegeben, das ist schon eine Weile her. Aber Ihr «Ein bisschen Eitelkeit ist in Ordnung. Aber allzuviel Eitelkeit ist feminin und unmännlich» erinnert auch eher an verstaubte Geschlechtervorurteile als an aktuelle Genderdiskurse beziehungsweise neuste Gewinnzahlen für Kosmetika, Bodyshaver und Gesichtskorrekturen bei Männern.

Zwei, drei, viele schöne Geschlechter
Das Problem ist doch nicht, dass Männer dem traditionell schönen «und damit eitlen und damit leicht verblödeten» weiblichen Geschlecht Konkurrenz zu machen beginnen. Wenn Männer und Frauen künftig gleichermassen Beschaute&Schauende, erotisches Subjekt&Objekt wären, und wenn es am Ende nicht nur ein, sondern zwei, drei, viele schöne Geschlechter gäbe – das wäre doch echte Emanzipation.

Es sind vielmehr die auch von Ihnen geschürten Geschlechter-Stereotypien, die viele Männer beim zaghaften Versuch, etwas für ihren Body zu tun, an die von Ihnen kritisierten Fitnessgeräte&Kraftmaschinen treiben, wo sie sich vor dem drohenden Absturz ins Weibliche oder Schwule geschützt glauben. Da wird männliche Schönheit auf Muskelkraft reduziert statt in allen Facetten entfaltet. (Sie monieren ja beispielsweise selbst die «schlecht sitzenden Anzüge» der Bachelorette-Herren.)

Die Geschlechterdualität zwängt alle, nicht nur in Bezug auf Schönheit, sondern ganz generell in das soziale Korsett «Mann» beziehungsweise «Frau». Jene, die nicht in diese vorgegebenen Kategorien passen und sich zwischen oder jenseits der Geschlechtergrenzen bewegen, haben häufig das Gefühl, im «falschen Körper» zu leben. Das müsste nicht sein. Psychologen, so das deutsche Magazin Der Spiegel, gäben an, so genannte Transkinder würden sich anfänglich durchaus «als normal empfinden». Erst wenn der Druck von aussen komme, «beginnen sie an der Lücke zwischen ihrem Inneren und dem Äusseren zu leiden». Dann erscheinen ihnen aufwendige und gefährliche Operationen als letzte Chance, doch noch eine eindeutige Identität entwickeln zu können.

«Ich bin, was ich bin. Ein Mensch.»

Zum Beispiel das international bekannte Model Lea Cerezo, das sein Leben als Leandro begann und heute, nach vollständiger operativer Umwandlung des Körpers, auf die Frage des Spiegels vom 24. April 2015 «Bist du eine Frau, Lea» antwortet: «Ich bin ich. Ich bin, was ich bin. Ein Mensch.» Da fallen Geschlechtergrenzen. «Wenn es nach Lea und ihren Freunden geht», schreibt Der Spiegel, «haben sich die Kategorien des Geschlechts aufgelöst… Es gibt Männer, die wie perfekte Frauen aussehen, Frauen, die männlicher als Männer sind. Nicht jeder Mann, der eine Frau ist, will eine Operation. Nicht jede Frau, die innerlich ein Mann ist, will einen Penis.» Da haben die alten Polaritäten – «Mann» oder «Frau», «männlich» oder «weiblich» – ausgedient.

Die Befreiung von Geschlechterkonzepten ist (erst) erreicht, wenn kein Bub mehr «männlich», kein Mädchen mehr «weiblich» werden muss. Wenn es zur Beschreibung menschlicher Individuen mindestens so viele Begriffe gibt, wie die Inuit für Schnee kennen. Wenn die Geschlechtergrenzen, nach denen das Denken in Dualitäten verlangt, durch offenes Land ersetzt sind, auf dem sich die Unterschiedlichsten frei bewegen können. Wenn die (bisher) dauernd rekonstruierte Geschlechterpolarität durch das Spannungsfeld zwischen Individuen abgelöst wird, die sich alle gleich und fremd zugleich sind, denen keines der bekannten Stereotype – Schweizer, Kurdin, Homosexuelle/r, Heterosexuelle/r, Mann, Frau – mehr übergestülpt werden kann.

So gesehen, verstärken Sie –«Allzu viel Eitelkeit ist feminin und unmännlich» –, was Sie hinterher verspotten: Dass Männer, wenn sie endlich doch noch schön (=feminin) werden und ihre Chancen bei Frauen steigern wollen, tapfer Muskeln pumpen. «Fit ist das neue Blöd.» Aber vielleicht gilt das ja nur für die 16-schwänzige «Horde Männer» und die auf 3+ von ihr gejagte Bachelorette. Oder womöglich ist ganz einfach diese Sendung blöd. Also – machen Sie’s wie ich, gönnen Sie sich am nächsten Montag etwas Besseres.

Versprochen?

Ihr Jürgmeier


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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Eine Meinung zu

  • am 1.05.2015 um 11:50 Uhr
    Permalink

    Binswanger hat – im Gegensatz zu Meier – begriffen, dass Geschlecht kein Konstrukt, sondern Realität ist und bleibt.

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