Sperberauge

Ein einig Volk von Chefredaktoren gegen das Rahmenabkommen

Markus Mugglin* ©

Markus Mugglin /  Erst noch war die NZZ Wortführerin für ein Rahmenabkommen mit der EU. In kurzer Zeit hat die Stimmung gedreht.

«Ein Übungsabbruch ist überfällig», meinte der Chefredaktor der NZZ höchstpersönlich zum Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU. Flugs fand er Sukkurs beim Tamedia-Chefkollegen Arthur Rutishauser mit «Das war’s dann wohl mit dem Rahmenabkommen». Darauf folgte in der NZZ mit Gerhard Schwarz ein früherer Wirtschaftschef des Blattes, der dem Abkommen die «Totgeburt» bescheinigte. Und bereits einen Monat früher prognostizierte der Chef der NZZ am Sonntag, Luzi Bernet, dem Abkommen den «ziemlich sicheren Tod».

Kein Wunder freute sich am Montagabend der Kommunikationsberater Thomas Aerni von der Agentur Basel West in der Sendung «10 vor 10» über das neue «Grundrauschen» in den Medien. Der Mann ist der Berater hinter der Kampagne «AutonomieSuisse», mit der Wirtschaftskreise seit vergangenem November gegen das Rahmenabkommen mobilisieren.  Sie richte sich vor allem an Journalistinnen und Journalisten, betonte der Kommunikationsberater. Offensichtlich mit Erfolg. Seit Anfang Jahr hat er in den Medien über 300 Nennungen von «AutonomieSuisse» gezählt.  

Der Gesinnungswandel der NZZ

Das «Grundrauschen» gegen das Rahmenabkommen war vorerst in populäreren Medien wie etwa der «Sonntagszeitung» zu vernehmen. Ab Februar dann auch im NZZ-Verbund. In der NZZ erschien ein ausführliches Interview mit dem Initianten des zweiten neu entstandenen Anti-Rahmenabkommen-Komitees «Kompass/Europa». Ein paar Tage später freute sich der NZZa.S.-Chef über «Endlich Frischluft für die Europadebatte». Die Inlandchefin der Tageszeitung, Christina Neuhaus, sinnierte wenige Tage danach über einen «hard reset» und die «Zurücksetzung auf Werkseinstellung».

Der Weg vom «Grundrauschen» zum chefredaktionellen Fallbeil beim Leibblatt der Wirtschaft war geebnet. Vorbei die Phase, als der ehemalige Wirtschaftschef Peter A. Fischer kurz nach der Kanterniederlage der SVP-Begrenzungsinitiative Anfang Oktober noch forsch titelte «Das Rahmenabkommen ist nicht klinisch tot».  Es wäre nach dem klaren Abstimmungsresultat «absurd» nun das Rahmenabkommen zu begraben, versuchte er Stimmung für den Vertrag zu machen. Der für das Dossier EU zuständige Inlandredaktor Tobias Gafafer hinterfragte noch im Januar in mehreren Artikeln nüchtern gängige Einwände gegen das Rahmenabkommen. «Hat Boris Johnson besser verhandelt?», «Auch Briten haben eine EU-Guillotine-Klausel», die Folgen der Unionsbürgerrichtlinie seien zu relativieren. Oder Gafafer führte Ende Oktober letzten Jahres in einem Grundsatzartikel mit dem Titel «Bern braucht in der Europapolitik einen Plan» aus, warum das Rahmenabkommen im Interesse der Schweiz liege. 

In der Chefetage haben die Berichte für ein Rahmenabkommen offensichtlich nicht verfangen. Übungsabbruch ist jetzt die Parole – und ausgerechnet in der heissen Phase von Nachverhandlungen mit der EU, zu denen die neue Staatssekretärin Livia Leu aufgebrochen ist. Welchem Ziel der Übungsabbruch dienen soll, bleibt allerdings nicht klar. Man müsse sich so rasch wie möglich wieder an den Verhandlungstisch setzen – lautet der Ratschlag des Chefs. Es gäbe «genügend Bereiche, die beide Seiten zu ihrem jeweiligen Vorteil entwickeln sollten». Nach einem Plan sieht das nicht aus. Wie dieser Wunsch, den der für das Dossier zuständige Redaktor im letzten Herbst geäussert hatte, erfüllt werden könnte, dazu vermag der Chef keine sachdienlichen Hinweise zu geben.  


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

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Die EU und die Schweiz

Europa ist für die Schweiz lebenswichtig. Welchen Grad an Unabhängigkeit kann die Schweiz bewahren?

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6 Meinungen

  • am 11.03.2021 um 11:28 Uhr
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    «Niemand hält uns davon ab, über die Zeit klüger zu werden» sagte einst Konrad Adenauer, gut, dass nun auch die NZZ diese Maxime beherzigt hat. Das Rahmenabkommen ist längst mausetot, Wiederbelebung zwecklos!
    Alternativen gibt es genügend, wobei das Wort Alternativen völlig verfehlt ist! Die EU will doch nicht auf den wichtigen Handelspartner Schweiz verzichten, der ihr überdies einen Handelsbilanzüberschuss von mehr als 20 Mrd. Franken beschert und gut ausgebildeten Arbeitskräften gute Verdienste in der Schweiz ermöglicht.
    Die Schweiz steht nicht unter Zugzwang. Die EU muss endlich von ihrem hohen Ross mit überbordender Staatsverschuldung heruntersteigen.
    Deshalb nun definitiv: Rahmenabkommen – return to sender!

  • am 11.03.2021 um 11:41 Uhr
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    Richtig beobachtet. Aber was ist der Hintergrund? Schreiben diese Typen einfach von einander ab oder wird da irgendwie anonym aus dem Hintergrund «koordiniert» – befohlen?!! Ja manchmal ist es schwierig, nicht an eine Verschwörung zu glauben!
    Die Selbstgewissheit des NZZ-Chefs Gujer in dieser Angelegenheit ist typisch. Ein solches Abkommen sei natürlich notwendig, aber ein besseres – mit schärferem Diktat? Pragmatischer, eher demokratisch legitimierter Bilateralismus ist solchen Leuten ein Gräuel.

  • am 11.03.2021 um 13:46 Uhr
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    Die Meisten haben im Übrigen wahrscheinlich auch noch nie je von einem Brüsseler «EU-Afrika-Programm» gehört. Dies deshalb, weil auch diese EU-Vereinbarung von der Politik und den Medien «skrupellos» unterschlagen und bis heute verheimlicht wird: 15. In der Erwägung, dass Menschen afrikanischer Abstammung im Laufe der Geschichte erheblich zum Aufbau der europäischen Gesellschaft beigetragen haben, viele auf dem Arbeitsmarkt jedoch diskriminiert werden; 23. fordert(!) die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, unter Berücksichtigung der bestehenden Rechtsvorschriften und Verfahren dafür zu sorgen, dass Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber auf sicherem und legalem Wege in die EU einreisen können; Sie lesen hier keinen Witz!!! https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-8-2019-0239_DE.pdf?redirect Wir tragen im nächsten Jahrzehnt mutwillig und vorsätzlich ganz Lagos (EU-Afrika-Pakt), bzw. Kalkutta (D-UNO-Migrations-Pakt) in unsere Schweiz und LÖSEN DABEI KEIN EINZIGES Bevölkerungs- oder Armuts-PROBLEM auf dieser Welt! Einwohnerzahl Schweiz nach dem 2. Weltkrieg 1945 3,5 Mio. Einwohnerzahl 2020 knapp 9Mio. In nur einer Generation Verdreifachung (x3!!). Weiter so? Für das Business und den BR usw. offenbar kein Problem! Diese sind dann in 10 J nicht mehr da. Uns verbleiben die nachfolgenden hohen unbezahlbaren SOZIALKOSTEN!

  • am 11.03.2021 um 13:57 Uhr
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    Leute aus der bürgerlichen Mitte gegen den EU-Rahmenvertrag

    Jetzt kommen die Ersten aus ihren Schützengräben, nachdem die Briten den Weg freigeschossen haben und die SVP in der Schweiz die Aufklärungsarbeit geleistet hat. Dann werden jene nachkommen, welche es schon immer gewusst, aber nie das Maul aufgetan haben.

  • am 11.03.2021 um 16:30 Uhr
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    Dass nach dem Verhandlungsergebnis von Boris Johnson gegenüber der EU, das Rahmenabkommen in seiner jetzigen Fassung nicht mehr akzeptierbar ist, hat zu einer späten «Erleuchtung» der Chefredaktoren von NZZ und TA geführt. Johnson hatte von Anfang an klargestellt, dass die britische Souveränität nicht zur Disposition steht, d.h. keine «dynamische» Übernahme von EU-Recht und keine Unterwerfung unter den EugH.

    Deshalb ist die Souveränitätsfrage, die nur noch von SVP und teilweise den Gewerkschaften thematisiert wurde, wieder im Vordergrund. Rutishauser (TA) fing schon vor Gujer (NZZ) an, Zweifel am Rahmenabkommen zu melden. Nun hat auch Gujer um 180° gedreht.

    Hauptgrund dieser «Bekehrung»: «Im Frühling 2023, ein halbes Jahr vor den Wahlen 2023, kommt das Rahmenabkommen in Form eines obligatorischen Referendums vor das Volk. Es ist genau dieses Szenario, das die Parteipräsidenten von SP, Mitte und auch FDP fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Die drei Parteien bilden die alte europapolitische Allianz. Diese Koalition zerbricht nun aber am Rahmenabkommen. Wie ein Schatten hängt es über den Wahlen 2023 und verdunkelt die Aussichten der drei Parteien…Eigentlich glaubt niemand mehr, dass der Rahmenvertrag eine Volksabstimmung erfolgreich überstehen könnte. Auch die Spitzen von SP und Mitte nicht. Sie versuchen deshalb, den Bundesräten in Gesprächen klar zu machen, dass sie die Verantwortung nicht an das Parlament delegieren dürfen.» (Aargauerzeitung, 20.02.2021)

  • am 13.03.2021 um 05:47 Uhr
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    Chefredaktoren sind nur Chefredaktoren. Im Normalfall – und dieser liegt hier vor – folgen sie den Ereignissen, sie bestimmen sie nicht.

    Der wesentliche Punkt ist, dass die EU Nachverhandlungen zu Cassis verbocktem Deal abgelehnt hat. Es erscheint damit unvermeidbar, dass wir bald mit den Engländern am Katzentisch Europas sitzen. Ob es uns dort gefallen wird, wissen wir noch nicht. Da passt es auch in den Redaktionsräumen am besten den Eindruck zu erwecken, als hätten wir dies alles so gewollt.

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