Remdesivir Ampulle

Die Zulassung des Medikaments in den USA war ein Politikum, das zu heftiger Kritik führte. © digicomphoto / Depositphotos

Wie ein Zürcher Professor beim Hypen von Medikamenten mithalf

Martina Frei /  Huldrych Günthard ist in den Medien ein beliebter Experte. Seine Verflechtungen mit Sponsoren kommen kaum je zur Sprache.

«Die Pressemeldung von Merck & Co. schlug ein wie eine Bombe. Sein neues antivirales Medikament Molnupiravir habe bei Covid-Patientinnen und -Patienten die Zahl der Spitaleinweisungen halbieren können, berichtete der US-Pharmakonzern […] aufgrund einer Zwischenanalyse von Studiendaten.» So begann Anfang Oktober 2021 ein Artikel in den «Tamedia»-Zeitungen. «Das ist sehr spannend», verriet der Medizinprofessor Huldrych Günthard vom Universitätsspital Zürich den «Tamedia»-Zeitungen. Was im Artikel nicht zur Sprache kam: Merck zählte seit Jahren zu den Sponsoren von Günthard.

Im Februar 2022 erschien im «New England Journal of Medicine» die Studie, auf die sich die Pressemitteilung von Merck & Co. bezog. Nun betrug die relative Wirksamkeit nicht mehr 50, sondern nur noch 30 Prozent, die absolute Risikoreduktion schrumpfte von zuvor 6,8 Prozent auf 2,9 und war jetzt nicht mehr hochsignifikant, sondern nur noch knapp signifikant.

Welche Gründe das Absacken hatte, wurde nicht dargelegt. Das pharma-unabhängige Fachblatt «arznei-telegramm» riet daraufhin von Molnupiravir ab, «wegen der vergleichsweise geringeren Wirksamkeit und der mit dem Wirkmechanismus verbundenen Unsicherheiten».

Die Notfallzulassung von Molnupiravir in den USA und Grossbritannien sei vorschnell gewesen, kritisierte der Medizinprofessor James Brophy im «British Medical Journal», als die Endauswertung der Studie publik wurde. Die USA hatten sich da aber bereits 1,7 Millionen Dosen Molnupiravir zum Preis von über einer Milliarde US-Dollar gesichert, Grossbritannien hatte 480’000 Dosen geordert, Japan 1,6 Millionen, die Schweiz «bis zu 8’640 Packungen» (zu einem geheim gehaltenen Preis) und Deutschland brachte laut dem «arznei-telegramm» 80’640 Dosen Molnupiravir in Verkehr, obwohl das Mittel dort, genau wie in der Schweiz, noch nicht zugelassen war. So erfolgreich war die Verkaufsstrategie mit Hilfe einer Pressemitteilung. Medien und Fachleute trugen dann ihren Teil dazu bei.

Im Februar 2023 teilte das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte mit: Aufgrund der verfügbaren Daten konnte nicht festgestellt werden, dass Molnupiravir das Risiko einer Krankenhauseinweisung oder eines Todesfalls verringern oder die Krankheitsdauer oder die Zeit bis zur Genesung verkürzen könne. «Dabei konnten insbesondere die initial positiven Ergebnisse, welche auf vorläufigen Daten einer Zwischenauswertung der pivotalen Zulassungsstudie basierten, in der gesamten Studienpopulation und nach Auswertung weiterer Daten nicht bestätigt werden. Darüber hinaus war es nicht möglich, eine bestimmte Gruppe von Patientinnen und Patienten in der EU zu ermitteln, bei denen ein klinisch relevanter Nutzen […] zu erwarten wäre.» Die europäische Arzneimittelbehörde sprach sich gegen die Zulassung aus und der Hersteller zog 2023 seinen Zulassungsantrag in der EU und der Schweiz zurück.

Gilead ist einer der wichtigen Sponsoren

Molnupiravir ist nicht das einzige Beispiel. Ein weiteres ist Remdesivir von «Gilead Sciences». «Remdesivir ist kein Supermedikament, aber immerhin haben wir nun eines, das Wirkung zeigt», liess sich Huldrych Günthard beispielsweise von den «Tamedia»-Zeitungen am 26. Mai 2020 zitieren. Anlass für den Artikel mit dem Titel «Die Hoffnung liegt jetzt noch auf einem Mittel» war eine Studie im «New England Journal of Medicine».

«Die Behandlung führte dazu, dass die Patienten das Spital im Durchschnitt nach 11 statt nach 15 Tagen verlassen konnten», berichteten die «Tamedia»-Zeitungen. Günthard sei an einer grossen internationalen Studie des Remdesivir-Herstellers Gilead beteiligt. Er erwarte, sagte Günthard weiter, «dass dann auch bei weniger schweren Covid-19-Verläufen ein Nutzen [von Remdesivir – Anm. d. Red.] sichtbar wird» und er hoffe, «dass sich künftig mit einer frühzeitigen Behandlung moderater Fälle schwere Verläufe verhindern liessen.» Diese Aussagen dürften auch den Hersteller von Remdesivir, Gilead Sciences, gefreut haben.

Was im Artikel dieser Zeitungen nicht stand: Gilead Sciences gehört seit Jahren zu den wichtigen Forschungssponsoren von Günthard. In einer seiner jüngsten wissenschaftlichen Veröffentlichungen gab Huldrych Günthard an, Honorare oder finanzielle Zuwendungen von folgenden Firmen und Institutionen erhalten zu haben: 

  • Gilead Sciences
  • Merck
  • ViiV
  • GlaxoSmithKline
  • Janssen
  • Johnson & Johnson
  • Novartis
  • der Schweizerische Nationalfonds
  • die Yvonne Jacob Stiftung
  • die US-National Institutes of Health.

Die Gelder wurden seinem Arbeitgeber überwiesen.

«Giftiges Potenzial»

Ein grosser Zuschuss – über 500’000 Franken – stammte von «Gilead Sciences» für HIV-Forschung, ausserdem sponserte Gilead uneingeschränkt für Covid-19-Forschung. Das ist der Erklärung der Interessenkonflikte zu entnehmen, die Günthard für Swissmedic ausfüllte. Dort amtet er als Medizinsachverständiger. In einer Publikation von 2021 gab Günthard unter anderem an, von Roche einen uneingeschränkten Forschungszuschuss (unrestricted grant) erhalten zu haben sowie Beraterhonorar von Sandoz. 

«Meines Erachtens werden diese «ungebundenen» Drittmittel in ihrem giftigen Interessenkonflikt-Potenzial von Fachgesellschaften, Kliniken und der Fachpresse dramatisch unterschätzt», sagt Niklas Schurig, Vorstandsmitglied bei der ärztlichen Anti-Korruptions-Initiative «Mezis – Mein Essen zahl ich selbst».

Die Remdesivir-Studie, zu der sich Günthard in den «Tamedia»-Zeitungen äusserte, wurde andernorts stark kritisiert: Anstatt wie ursprünglich geplant zu beweisen, dass es den Patienten mit Remdesivir am 15. Tag besser ging als denen mit Placebo, schwenkten die Verantwortlichen während der laufenden Studie um. Sie entschieden, dass das Hauptziel der Studie neu sein sollte, wie lange es bis zur Genesung dauerte. Das ist etwa so, als würde während eines Wettlaufs das Ziel verschoben. Es gilt als wissenschaftlich unseriös. 

Ausserdem redeten Angestellte des Remdesivir-Herstellers Gilead beim Studienprotokoll und bei den wöchentlichen Besprechungen mit – «ein Mass an Engagement, das nahe legte, dass diese Studie nicht als unabhängig vom Hersteller gelten könne, wie ein Editorial im «British Medical Journal» bemerkte.

Dutzende Male im Zusammenhang mit Remdesivir erwähnt

Im Juli 2020 bezeichnete der «Tages-Anzeiger» Remdesivir als «Wundermittel».

Im September 2020 nahm Günthard, wiederum in den «Tamedia»-Zeitungen, zur Wirkung des Roten Sonnenhuts (Echinacea) gegen Covid-19 Stellung – obwohl er laut der Datenbank Pubmed noch nie etwas zu Echinacea veröffentlicht hat. Wieder brachte er Remdesivir von Gilead ins Spiel: «Sinnvoll wäre auch, Echinaforce beispielsweise mit dem klinisch bei kranken Corona-Patienten eingesetzten Remdesivir zu vergleichen.»

Professor Huldrych Günthard vom Universitätsspital Zürich war während der Corona-Pandemie bei den Medien ein beliebter Experte. Über 2000 Artikel listet die Schweizer Mediendatenbank, in denen sein Name auftaucht. Immer wieder war dort auch die Rede vom Medikament «Remdesivir», hergestellt von einem von Günthards wichtigen Forschungssponsoren. Dutzende von Beiträgen verzeichnet die Mediendatenbank zu den Stichworten Günthard und Remdesivir – aber fast nirgendwo etwas zu seinen Sponsoren.

«Als Leibarzt würde ich ihm Remdesivir geben und allenfalls noch Plasma»

Anfang Oktober 2020 befragten die «Tamedia»-Zeitungen Professor Günthard zur Covid-Erkrankung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump: «Als Leibarzt würde ich ihm Remdesivir geben und allenfalls noch Plasma von ehemaligen Covid-19-Patienten, welche die Krankheit gut überstanden haben. […] Insbesondere Remdesivir hilft wahrscheinlich am besten, wenn man es möglichst früh gibt.» Er räumte allerdings ein: «Es fehlen zwar entsprechende Studien, die das beweisen würden, und das Medikament ist dafür nicht zugelassen.» Ein weiteres Problem einer möglichst frühen Abgabe: Remdesivir muss während drei Tagen jeweils rund eine Stunde lang als Infusion verabreicht werden, wegen des Risikos von schweren allergischen Reaktionen müssen die Patienten danach noch überwacht werden. Das ist für Praxen oft zu aufwändig.

Anders als Günthard, sah das pharma-unabhängige «arznei-telegramm» zu jener Zeit «beim derzeitigen Kenntnisstand ausserhalb klinischer Studien unverändert keine Indikation» für Remdesivir.

Es gebe einfach nicht genug Beweise, dass Remdesivir gegen Covid-19 wirke, pflichtete Jason Pogue, damaliger Präsident der Gesellschaft der Pharmazeuten für Infektionskrankheiten, im Wissenschaftsmagazin «Science» bei: «Es gibt mehr Fragen als Antworten zur Wirksamkeit von Remdesivir bei hospitalisierten Patienten.»

Und Martin Landray, Ko-Leiter der damals grössten Studie zu Covid-Behandlungen sagte Ende Oktober 2020 zu «Science»: «Remdesivir wirkt definitiv nicht bei den kränksten Patienten, bei denen die grössten Vorteile zu erwarten wären», aber es könnte möglicherweise Menschen in früheren Stadien der Erkrankung helfen. Landray wies auf ein Problem hin: «Das Argument, dass es umso besser ist, je früher man es einsetzt, ist grossartig, bis man erkennt, welche Folgen das hat: Man wird nicht viele Leben retten und man wird viele Patienten behandeln müssen. Das ist sehr ungünstig und wird Sie ein Vermögen kosten.»

Blutplasma von genesenen Covid-Patienten – je nach Quelle Sterberate um rund 50 oder 5 Prozent reduziert

Mitte August 2020 äusserte sich Günthard zum Nutzen des Blutplasmas von Covid-Genesenen in der «SonntagsZeitung» und weiteren «Tamedia»-Zeitungen. Laut einer Studie könne Blutplasma das Sterberisiko etwa halbieren, berichtete die Zeitung. «Das deckt sich mit meinen Erfahrungen. […] Ich glaube, das bringt wirklich etwas», sagte Günthard. Aber natürlich brauche es noch weitere Laboruntersuchungen und grosse Studien, um das zu beweisen, räumte er ein. Bis zu diesem Zeitpunkt waren am Zürcher Unispital im Rahmen einer Studie 25 Patienten mit Blutplasma behandelt worden.

Wenige Tage später kritisierten sowohl der US-Infektiologe Paul Sax in einem Blog des «New England Journal of Medicine» als auch der Chefredaktor von «Medscape», einem bekannten Medizin-Newsportal, vehement den Hype um das Genesenen-Plasma. Es fehlten nicht nur Belege, dass es die Sterblichkeit reduziere, auch Fragen zur Sicherheit seien noch ungelöst. «Sagen Sie die Wahrheit oder treten Sie zurück», forderte der Chefredaktor von «Medscape» den Leiter der US-Arzneimittelbehörde FDA auf, die dem Genesenen-Plasma eine Notfallzulassung erteilt hatte. Die FDA beugte sich dabei mutmasslich dem Druck durch die damalige US-Regierung unter Präsident Trump, der das Blutplasma höchstpersönlich anpries. 

Andere Medien wiesen auf eine Sterblichkeitsreduktion von nur fünf Prozent hin und «nau.ch» berichtete Ende August 2020: «In der SRF-«Tagesschau» sagte Manuel Battegay, Chefarzt Infektiologie des Unispitals Basel: ‹Wenn sich diese Sterblichkeitsreduktion wirklich bestätigt, können wir sagen, es ist ein Schritt.› Es sei kein grosser oder historischer Schritt, denn: ‹Dafür ist die Reduktion der Sterblichkeit zu klein.›»

Schweiz lässt das Medikament zu, WHO rät davon ab

Im November 2020 wurde Remdesivir in der Schweiz befristet zugelassen, aber nicht für die Behandlung im Frühstadium. Die Arzneimittelbehörde Swissmedic erklärte, es «kommt nur bei Patientinnen und Patienten in Spitalpflege zum Einsatz, welche eine Lungenentzündung haben und zusätzlich Sauerstoff benötigen».

Doch am 20. November 2020 riet die WHO von der Behandlung hospitalisierter Covid-19-Patienten mit Remdesivir ab. Sie schätzte die Datenlage als unsicher ein.

Im Januar 2021 informierte die «SonntagsZeitung»: Remdesivir «hat sich zwar in einer grossen, von der Weltgesundheitsorganisation koordinierten Studie ebenfalls als unwirksam erwiesen. Doch es gibt laut Günthard Hinweise aus anderen guten Studien, dass es, falls früh genug verabreicht, den Verlauf bei schwerer Erkrankten eben doch mildern respektive die Sterblichkeit tendenziell senken kann.»

Im Juli 2021 erfuhr die Leserschaft der «Tamedia»-Zeitungen von Günthard, dass «fast alle Covid-Patienten» am Universitätsspital Zürich Remdesivir erhielten. «Es wirkt sehr gut, wenn man es früh genug verabreicht», sagte er den «Tamedia»-Zeitungen im Februar 2022.

Das «arznei-telegramm» sah das anders: Beim derzeitigen Kenntnisstand könne Remdesivir bei Patienten mit sehr hohem Risiko eines schweren COVID-19-Verlaufs «im Einzelfall nach sorgfältiger Aufklärung in Betracht gezogen werden».

Die Cochrane-Wissenschaftsvereinigung kam im August 2021 auf der Basis von fünf Studien zum Schluss: Es sei unklar, ob Remdesivir den Zustand der hospitalisierten Patienten verbessere oder verschlechtere, gemessen am Ausmass der erforderlichen Unterstützung bei der Atmung. «Remdesivir hat wahrscheinlich nur einen geringen oder gar keinen Einfluss auf die Sterblichkeit. Auch auf die Länge einer notwendigen Beatmung scheint Remdesivir nur einen kleinen oder gar keinen Effekt zu haben. Weitgehend unklar bleibt die Wirkung von Remdesivir auch auf […] mögliche Nebenwirkungen.»

Nutzen einer frühzeitigeren Behandlung unklar – trotzdem zugelassen

Im Januar 2022 informierte das das «arznei-telegramm»: Der Nutzen einer frühzeitigeren Behandlung mit Remdesivir und dessen Stellenwert bei Covid-19 bleiben nach Ansicht der [Europäischen Arzneimittel-]Behörde unklar – zugelassen wird es dafür aber dennoch.»

Im Juli 2022 lernte die Leserschaft der «Tamedia»-Zeitungen von Günthard, dass Remdesivir «leicht verträglich» sei. Auch andere Medien zitierten Günthard. «Wir haben im Spital glücklicherweise Paxlovid und Remdesivir», sagte er beispielsweise der «Aargauer Zeitung» und «watson» im Januar 2023 – nirgendwo ein Hinweis auf die grosszügige Forschungsförderung durch Gilead. 

Im April 2022 kam das «Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen» IQWiG zum Schluss, dass Remdesivir den Geimpften keinen belegten Nutzen bringe. Remdesivir war vor allem an Ungeimpften getestet worden.

Im Januar 2023 aktualisierte die Cochrane-Wissenschaftsvereinigung ihre Beurteilung. Nun konnte sie sich auf acht Studien stützen. Fazit: Bei Hospitalisierten hat Remdesivir «wahrscheinlich nur einen geringen oder keinen Effekt auf die Sterblichkeit». Es erhöhe «wahrscheinlich geringfügig die Chance, dass sich die COVID-19-Erkrankung verbessert und sie entlassen werden.» Remdesivir verringere möglicherweise das Risiko, dass sich die Situation verschlimmere. Bei ambulanten Patient*innen mit leichten Symptomen senke Remdesivir wahrscheinlich das Risiko einer Verschlimmerung oder eines Krankenhausaufenthalts, es sei aber offen, ob es sich auf die Genesung auswirke.  

Positiver Effekt nur bei manchen Patientengruppen

Im Februar 2023 erschien eine Meta-Analyse von Basler Forscherinnen und Forschern. Sie kamen aufgrund von acht Studien zum Schluss: Es sei angesichts nur weniger Daten unklar, ob Patienten, die mit Remdesivir behandelt wurden, die Sars-CoV-2-Viren schneller loswurden (was von einem Anti-Virenmittel zu erwarten wäre). Die Behandlung mit Remdesivir führte im Durchschnitt nicht – wie im Mai 2020 aufgrund der US-Studie postuliert – zum früheren Spitalaustritt. Bei Patienten, die keine oder nur eine leichte Sauerstoffbehandlung erhielten, verringerte Remdesivir pro 50 behandelte Patienten einen Todesfall. Dieser positive Effekt habe sich jedoch nicht bei allen Patientengruppen beobachten lassen. Von denjenigen, die bereits beatmet wurden, starben tendenziell eher mehr Patienten, wenn sie Remdesivir erhielten. Diese Berechnung war jedoch mit Unsicherheit behaftet. Den Effekt von Remdesivir bei Geimpften oder Genesenen sowie die Frage nach der Kosteneffektivität müssten weitere Untersuchungen klären, hiess es 1.

«Remdesivir hatte kaum einen sichtbaren Effekt. Viele meiner Kollegen waren wie ich noch nie überzeugt, dass Remdesivir bei Covid eine Rolle spielt. Ich glaube nicht, dass heute noch jemand Remdesivir mit gutem Gewissen einsetzt», sagt der frühere St. Galler Infektiologe Pietro Vernazza.

Infosperber wollte von Professor Günthard wissen, ob er mögliche Interessenkonflikte gegenüber den Journalisten und Journalistinnen offenlegte und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben. An seiner Stelle antwortete die Medienstelle des Universitätsspitals Zürich (USZ): «Dass die Einschätzungen neuer Therapieansätze divergieren, ist in Forschung und Wissenschaft normal. Dies wurde gerade während der Pandemie mit der extrem dynamischen Studienlage und entsprechenden Erkenntnisfortschritten deutlich.» Die Fachleute am USZ würden ausschliesslich sachbezogen Auskunft geben, «auf dem aktuellen Stand ihres Wissens und ihrer Erfahrung». Bei Einschätzungen zu Medikamenten würden sie sich an Compliance-Vorgaben halten. Zur Offenlegung möglicher Interessenkonflikte äusserte sich die Medienstelle nicht.

Drei Millionen Dollar von der Gates-Stiftung

Das Universitätsspital Zürich ist auf Sponsorengelder angewiesen. 2022 fuhr das USZ einen Verlust von 22,1 Millionen Franken ein. Bei den Einnahmen verbuchte das USZ «gesponserte klinische Auftragsstudien» im Wert von rund 8,6 Millionen Franken. Dazu trug auch Professor Huldrych Günthard bei. Infosperber wollte erfahren, wie das Universitätsspital Zürich mit Interessenkonflikten seiner Mitarbeitenden umgeht, und welche Sponsoren welche Studien und Forschungsprojekte am USZ fördern. Trotz mehrmaliger Anfrage im Sommer und Herbst 2023 blieb eine Antwort aus. Die Medienstelle stellte ein Gespräch mit einer Fachperson in Aussicht, die jedoch nie antwortete.

Unterdessen hat die Bill & Melinda Gates-Stiftung das Potenzial von Professor Günthard und seinen Kolleginnen erkannt: Sie fördert das Team mit drei Millionen US-Dollar. Das Ziel ist eine Impfung gegen HIV. Dem Team gehören unter anderem die Virologin Alexandra Trkola und ihr Partner Huldrych Günthard an. Wenn sich diese also demnächst in den Medien zur HIV-Impfung äussern, sollte die Öffentlichkeit von diesem Gates-Sponsoring erfahren. Um die Glaubwürdigkeit von Günthard, Trkola und des USZ nicht weiter zu gefährden, müssten die Sponsorverträge offengelegt werden. 

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1Eine aktuelle ärztliche Leitlinie hält den Nutzen für grösser, stellt aber auch fest, dass die zugrunde liegenden Studien niedrig bis moderat vertrauenswürdig seien. Die Anti-Korruptions-Initiative «MEZIS» kritisierte die Interessenkonflikte des federführenden Autors dieser Leitlinie, Professor Stefan Kluge, scharf. Die WHO stuft Remdesivir seit letzten November bei Patienten mit hohem Risiko für eine Hospitalisation als zweite Wahl ein. In den Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie wird Remdesivir genannt.

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Lesen Sie demnächst auf Infosperber: Wie Gilead Sciences die EU über den Tisch zog


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

Pillen

Die Politik der Pharmakonzerne

Sie gehören zu den mächtigsten Konzernen der Welt und haben einen grossen Einfluss auf die Gesundheitspolitik.

Bildschirmfoto 2022-10-28 um 12.25.44

Wissenschaft

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2 Meinungen

  • am 22.03.2024 um 19:52 Uhr
    Permalink

    Sehr guter Beitrag. Remdesivir und Molnupiravir waren teure Flops. Das erste wurde in Schweizer Spitälern noch verabreicht, als EU und WHO längst davon abrieten. Zu Günthard muss man noch wissen, dass er im Beirat des Pfizer-Preises sitzt und diesen schon selbst erhalten hat.

  • am 23.03.2024 um 17:44 Uhr
    Permalink

    Ich war ein Fan von Radio1, bis zu einem Zeitpunkt als dieser Experte Günthard im Talkradio das erste mal seine Meinung kundtun konnte. Dann war Schluss mit Schawi und seinem Radio für mich. Lest mal auf transition-news mit Punkt.org am Schluss, was da unter Stichwort Biontech geschrieben wird. Ebenfalls wie Infosperber eine gute news Seite.

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