Couple - active hikers hiking in Yosemite

Mehr Wandern erhält gesund und verlängert das Leben. © maridav/Depositphotos

Für die Gesundheit müssen Kosten und Prämien nicht steigen

Urs P. Gasche /  Die Krankenkassenprämien sollen 2026 schon wieder um vier Prozent steigen. Um gesünder und länger zu leben, ist das nicht nötig.

Die Kosten für Spitäler, Arztpraxen und Medikamente steigen unaufhörlich und damit auch die Prämien. Dabei geht es schon lange nicht mehr darum, den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu verbessern oder die Lebenserwartung zu verlängern.

Denn diese Ziele erreichen nordische Länder und auch Grossbritannien mit markant tieferen Gesundheitsausgaben. Die Schweiz und Deutschland geben pro Kopf der Bevölkerung rund happige 50 Prozent mehr Geld für die Gesundheit aus als Grossbritannien oder fast 30 Prozent mehr als Dänemark – sogar kaufkraftbereinigt. 

Ges.Ausg.Kopf
Stand Januar 2024. *Kaufkraftbereinigte Umrechnung in Dollar.
Grössere Auflösung der Grafik hier.

Die Lobby der Gesundheitsindustrie stellt das extreme Beispiel Grossbritanniens in ein schlechtes Licht. So berichtete die «NZZ» am 26. Juli über reale «Schauermärchen aus dem britischen Gesundheitswesen»: Für Operationen gebe es Wartezeiten von neun Monaten. Und ein Drittel aller Krebspatienten müssten nach der Diagnose mehr als zwei Monate warten, bis mit einer Behandlung begonnen werde.

Allerdings schränkt die «NZZ» ein, dass «man bei lebensbedrohlichen Erkrankungen oft innert vernünftiger Zeit Zugang zu medizinischen Leistungen» erhalte. Und im Untertitel räumt London-Korrespondent Niklaus Nuspliger der «NZZ» ein: «Nicht alles ist schlechter als in der Schweiz».

Es fällt auf, dass ein Vergleich mit der staatlichen Gesundheitsversorgung in Grossbritannien immer wieder mit dem Hinweis auf die dortigen langen Wartezeiten abgewürgt wird.

Doch entscheidend für ein Gesundheitswesen und eine Gesundheitspolitik sind die tatsächlichen Resultate für die Menschen. Und hier schneidet Grossbritannien nicht schlecht ab, obwohl Deutschland und die Schweiz fast 50 Prozent mehr Geld für die Gesundheit ausgeben. Beispiel der zwei häufigsten Todesursachen:

An Krebs sterben in Grossbritannien sogar weniger Menschen als in der Schweiz und in Deutschland. In einem EU-Vergleich liegt die jährliche Sterberate altersbereinigt nach aktuellen Schätzungen in Grossbritannien für Männer bei etwa 101 pro 100’000 Einwohner (in der Schweiz etwa 140; in Deutschland 121) und für Frauen bei etwa 82 (in der Schweiz 96; in Deutschland 79).

An Herzinfarkten sterben in Grossbritannien mit rund 90 von 100’000 Einwohnern ebenfalls weniger Leute als in Deutschland mit rund 115 jährlich. In der Schweiz sind es rund 86.

Dass die Schweiz bei einigen Kriterien zum Teil besser abschneidet als Grossbritannien hat kaum etwas mit den 50 Prozent höheren Gesundheitsausgaben zu tun. Es gibt keine Korrelation zwischen Kosten und öffentlicher Gesundheit. Der krasseste Beweis sind die USA: Dort sind die Kosten sogar nochmals über 50 Prozent höher als in Deutschland und der Schweiz. Doch die Lebenserwartung ist in den USA mit 77,2 Jahren für Männer und 82,1 Jahren für Frauen tiefer als in Deutschland, Grossbritannien und der Schweiz. 

Vergleich der Lebenserwartung ab Geburt in Jahren

LandGesamtMännerFrauen
USA79,477,282,1
Deutschland81,278,983,5
Grossbritannien8281,683,5
Schweiz84,582,386,1

Bei der Lebenserwartung im Alter von 60 Jahren liegt Grossbritannien mit fast 25 Jahren altersstandardisiert vor der Schweiz (24,6) und Deutschland (20).

Entscheidend für die Lebenserwartung sind nicht die Gesundheitsausgaben, sondern andere Faktoren: Beispielsweise gibt es in den USA am meisten stark Übergewichtige. Es folgt Grossbritannien, während die Schweiz die niedrigste Quote unter den Erwachsenen aufweist. Deutschland liegt dazwischen.

Anteil adipöser Erwachsener (BMI ≥30)

LandIn Prozent
(gerundet)
USA41
Grossbritannien27
Deutschland23,5
Schweiz12,5

Die vielen guten Ärzte, Spitäler und Medikamente spielen für die Lebenserwartung eine untergeordnete Rolle. Die Einwohner von Japan, Südkorea, Australien, Spanien oder Italien erreichen ein durchschnittlich ähnlich hohes Lebensalter, geben jedoch deutlich weniger Geld für Ärzte, Spitäler oder Medikamente aus.


Faktoren, die für die Lebenserwartung entscheidend sind

Die gute Gesundheit und die hohe Lebenserwartung verdanken die Schweizerinnen und Schweizer in erster Linie anderen Faktoren als den hohen Kosten und Prämien: 

  • Es sind in der Schweiz prozentual weniger Menschen sozial und wirtschaftlich schwach als in anderen Ländern. Die zehn Prozent sozial und wirtschaftlich Schwächsten haben in Industriestaaten eine um etwa zehn Jahre kürzere Lebenserwartung als die wirtschaftlich Stärksten;
  • In der Schweiz verrichten prozentual weniger Menschen als in anderen Ländern körperlich belastende Arbeiten;
  • Es gibt in der Schweiz prozentual weniger Bewegungsmuffel (körperlich Inaktive) als in den USA, Grossbritannien und Deutschland;
  • Es gibt in der Schweiz prozentual weniger Übergewichtige und Diabetes-Kranke als in den genannten Ländern.

Falls die öffentliche Gesundheitspolitik das Ziel verfolgt, den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung zu verbessern und die durchschnittliche Lebenserwartung zu erhöhen, dann müssen zusätzliche Milliarden nicht in Spitäler und Medikamente investiert werden, sondern beispielsweise in Anreize zur körperlichen Bewegung, gegen Rauchen, übermässigen Alkoholkonsum, gegen Feinstaub und andere Schadstoffe in der Luft sowie um Armut zu vermeiden.

Ein paar Massnahmen wie ein absolutes Werbeverbot für Tabakwaren (einschliesslich E-Zigaretten), Tempo 30 in Städten (Feinststaub) oder etwa eine Zuckersteuer wären für den Staat sogar kostenlos zu haben.


Spital- und Medikamentenkosten senken

Anstatt die masslos steigenden Kosten und Prämien als unvermeidlich hinzunehmen, könnten sich Politiker aus den Fesseln der Anbieter-Lobbys lösen:

  • Es ist nicht zu rechtfertigen, dass die Schweizer Krankenkassen für Medikamente mehr Geld ausgeben müssen als die Krankenversicherer in allen anderen Ländern Europas. Einschliesslich der Spitalmedikamente verschlingen Medikamente in der Schweiz ein Viertel aller Prämien.
  • Es ist nicht zu rechtfertigen, dass die Schweiz einen Rekord an Spitalbetten ausweist und die Einwohnerinnen und Einwohner häufiger operiert werden und länger im Spital bleiben als praktisch überall sonst in Europa.


Kantonsvertreter bleibt Antworten schuldig

Als Besitzer, Betreiber und Regulierer von grossen Spitälern sind die Kantonsregierungen befangen. In einem «NZZ»-Gastbeitrag verteidigte Lukas Engelberger, Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren, am 30. Juni die Spitalpolitik der Kantone, wehrte sich gegen eine schweizweite Spitalplanung und schrieb von einem «angeblichen Überangebot».

Infosperber stellte Engelberger folgende Fragen:

«Sie schreiben von einem ‹angeblichen Überangebot› an Spitälern und Spitalbetten. 

Ich habe schon darüber publiziert, dass es in der Schweiz ein ganzes Drittel mehr Spitalbetten pro Einwohner gibt als in den Niederlanden und sogar über 60 Prozent mehr als in Dänemark und in Schweden – mit entsprechend mehr und längeren Behandlungen. 

Dass die Schweizerinnen und Schweizer daraus einen gesundheitlichen Vorteil ziehen, haben die Kantone als Spitalbesitzerinnen nie nachgewiesen.

Während der von Ihnen zitierten Corona-19-Pandemie blieb diese Differenz mit der kurzfristigen Aufstockung der Spitalbetten gleich gross. Trotzdem sind in den Niederlanden, in Schweden und in Dänemark altersstandardisiert pro Kopf der Bevölkerung nicht mehr Menschen an Covid gestorben als in der Schweiz.

Deshalb unsere Fragen:

1) Welche Massnahmen müssten Bund und Kantone ergreifen, damit die Spital- und Bettendichte in der Schweiz auf das Niveau von den Niederlanden, Schweden oder Dänemark gesenkt werden kann?

2) Inklusive Spitalmedikamente braucht die Grundversicherung einen Viertel aller Prämiengelder für Spitalbehandlungen. Wo sehen Sie das grösste Sparpotenzial bei den Spitälern?»

Antworten von Regierungsrat Lukas Engelberger:

«Wie sich der Bedarf der Bevölkerung in den erwähnten Ländern herleitet, ist uns nicht bekannt. Es gibt keine Grundlage, um diese Länder als Massstab für den Soll-Zustand in der Schweiz heranzuziehen.[…] Eine Zentralisierung wie in Dänemark ist mit unseren föderalistischen Strukturen und Traditionen nicht vereinbar. Nachvollziehbar ist die Forderung, dass die Kantone bei der Spitalplanung noch stärker und systematischer zusammenarbeiten sollen.»

«Es ist zu erwarten, dass sich die kostendämpfende Verlagerung von stationären hin zu ambulanten Leistungen, also Eingriffe ohne Übernachtung im Spital, mit der neuen ambulanten Tarifstruktur und mit der Einführung der einheitlichen Finanzierung beschleunigt. Potenzial besteht sodann bei der Digitalisierung (Stichwort EPD) oder bei der Datenerhebung.»

Der Rest seiner Antworten geht auf die konkreten Fragen nicht ein.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.

Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:



_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Sperber.NurKopf.vonLinks.IS-Hintergrund

Des Sperbers Überblick

Kompaktes Wissen: Hier finden Sie die wichtigsten Fakten und Hintergründe zu relevanten Themen.

Bildschirmfoto20120125um10_27_01

Gesundheitskosten

Jeden achten Franken geben wir für Gesundheit aus – mit Steuern und Prämien. Der Nutzen ist häufig zweifelhaft.

Laufen_ElizabethTable4Five

Öffentliche Gesundheit

Ob wir gesund bleiben, hängt auch von Bewegungsmöglichkeiten, Arbeitsplatz, Umwelt und Vorsorge ab.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...