Kommentar

Corona: Die Zahlen sprechen für eine weitere Lockerung

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

Urs P. Gasche /  Die Intensivstationen sind halbleer. Das Virus verbreitet sich nur noch langsam. Das Risiko einer neuen grossen Welle ist gering.

Eines steht fest: Grossveranstaltungen und grosse Menschenansammlungen wurden viel zu spät verboten. Von solchen aus konnte sich das leicht ansteckbare Virus exponentiell verbreiten. Ein viel früheres Verbot von Grossveranstaltungen sowie eine frühere Informationskampagne zum Händewaschen und zur körperlichen Distanz («Physical Distancing») hätte wahrscheinlich verhindert, dass Intensivstationen je in Gefahr kamen, überlastet zu sein und nicht mehr alle Schwerkranken behandeln zu können.

Je mehr Tests gemacht wurden, desto schneller stieg die irreführende Kurve der «bestätigten Fallzahlen». Dazu kamen Meldungen von überlasteten Spitälern in Italien. Darauf mussten die Behörden reagieren mit drastischen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Ladenschliessungen und mit dem Verbot vieler wirtschaftlicher Tätigkeiten. Diese folgenschweren Einschränkungen begründeten die Behörden Mitte März mit zwei überzeugenden Argumenten:

  1. Es drohe eine Überlastung der Intensivstationen in Spitälern. Dort fehlten namentlich Betten und Beatmungsmaschinen.
  2. Das Verbreiten des Virus müsse so stark verhindert werden, bis eine einzige angesteckte Person höchstens noch eine weitere ansteckt («Die Reproduktionszahl muss unter 1 fallen»).

Das Ziel der Massnahmen ist erreicht

Unterdessen sind diese beiden Ziele erreicht:
Intensivstationen in Spitälern stehen zu zwei Dritteln leer. Ab nächster Woche dürfen sie deshalb aufgeschobene andere Operationen wieder durchführen, von denen ein Teil Intensivbehandlungen nötig machen.
Schon seit über vier Wochen hat sich die Verbreitung des Virus so stark verlangsamt, dass ein Angesteckter durchschnittlich weniger als eine andere Person ansteckt. Dies gilt für die Schweiz und für Deutschland. Der Tages-Anzeiger hat entsprechende Zahlen der ETH Zürich bereits am 11. April veröffentlicht. Mit einer anderen Methode als die ETH kam auch Epidemiologe Christian Althaus von der Universität Bern schon damals zum Schluss, dass die Reproduktionszahl unter 1 liegt.
Am 21. April hat das Schweizer Fernsehen über folgende aktualisierte Grafik der ETH Zürich informiert:

Am 17. April hat das deutsche Robert Koch-Institut folgende Grafik über die Entwicklung der Reproduktionszahl veröffentlicht:

Aus beiden Grafiken geht hervor, dass die Zahl der Ansteckungen bereits vor den Lockdown-Massnahmen rapide zurückging. Der Aufruf zu Hygienemassnahmen sowie das Verbot von Grossveranstaltungen und grossen Menschenansammlungen sind hauptverantwortlich dafür, dass sich die Epidemie stark eindämmte, und dass unsere Spitäler alle Patientinnen und Patienten, welche dies wünschten, auch künstlich beatmen konnten.

Keine Gefahr einer neuen grossen Welle

Die beiden oben genannten Gründe für den notrechtlich verfügten Stillstand der halben Wirtschaft und für die drastischen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit sind jetzt nicht mehr vorhanden. Trotzdem wollen die Behörden die verhängten Massnahmen nur sehr zögerlich und vorsichtig lockern. Das begründen sie mit einem neuen Argument: Es müsse unter allen Umständen verhindert werden, dass eine neue Corona-Welle ausbreche, die es dann erneut nötig mache, Teile der Wirtschaft lahmzulegen.
Doch ein solches Szenario ist praktisch ausgeschlossen, mindestens solange Grossveranstaltungen verboten bleiben und Hygiene- und Abstandsregeln einigermassen eingehalten werden. Das zeigen die klaren Trends in den obigen Grafiken deutlich.
Das Virus wird sich zwar – so oder so – weiter verbreiten, jedoch langsamer. Vieles spricht dafür, wirtschaftliche Tätigkeiten überall dort wieder generell zu erlauben, wo klare Vorschriften zum «Physical Distancing» eingehalten werden können. Beispiel Restaurants: Die Behörden können wie für andere Betriebe möglichst klar vorschreiben, welche Regeln im Publikumsbereich und im Produktionsbereich eingehalten werden müssen. Jeder Betrieb kann dann selber entscheiden, ob sich eine Wiedereröffnung unter diesen Umständen lohnt oder nicht. Für Zuwiderhandlungen muss die Verordnung hohe Bussen vorschreiben, damit sich die Behörden bei Kontrollen auf Stichproben beschränken können.

Öffentlichkeit hat ein Recht auf Informationen

Der Staat hat Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger mit guten Gründen vorübergehend ausser Kraft gesetzt. Wenn er dies weiterhin tut, darf er dies in einer Demokratie nur, wenn er volle Transparenz schafft über seine Entscheidungsgrundlagen. Am 31. März ernannte der Bundesrat ein Beratungsgremium mit Experten aus der Wissenschaft, darunter Epidemiologen, Virologen, Infektiologen sowie eine Ökonomin. Doch die laufenden substanziellen Stellungnahmen dieser «Swiss National COVID-19 Science Task Force» hält der Bundesrat unter Verschluss. Für diese autoritär verordnete Geheimhaltungspolitik können die Behörden weder Geschäfts- oder Amtsgeheimnisse noch Persönlichkeitsrechte geltend machen. Die Öffentlichkeit muss wissen, was wichtige Entscheidungsgrundlagen des Bundesrats sind und welche allfälligen Empfehlungen er übernimmt und welche nicht.
Eine Transparenz wäre umso mehr geboten, als der Bundesrat es unterlässt, die gesundheitlichen Risiken von Covid-19 mit ebenfalls gesundheitlichen Risiken des Lockdowns und eines möglichen Wirtschafts- und Finanzcrashs zu vergleichen und einzuschätzen. Bei einer solchen Abschätzung der Risiken gäbe es wohl ebenfalls mehrere Szenarien, die öffentlich zu diskutieren wären.
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Infosperber-DOSSIER:
Coronavirus: Information statt Panik
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Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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Covid-19 fordert Behörden und Medien heraus. Infosperber filtert Wichtiges heraus.

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13 Meinungen

  • am 22.04.2020 um 12:12 Uhr
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    Offensichtlich scheint der Bundesrat selbst die sorgfältig aufgearbeiteten Resultate und Empfehlungen der Expertengruppe zu ignorieren – mindestens was die Wiederaufnahme des Schulbetriebes betrifft:
    https://infekt.ch/2020/04/schulen-schliessen-hilfreich-oder-nicht/ s. Update 12. April 2020 unten:

    „Wir bedauern, dass wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse nicht adäquat in den politischen Entscheidungsprozess einbezogen wurden. Wir setzen alles dran, diese Evidenz so zeitnah wie möglich aufzuarbeiten und schätzen es sehr, wenn sie auch zur Kenntnis genommen wird.“

  • am 22.04.2020 um 12:51 Uhr
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    Lieber Herr Gasche, dutzende Male in allen Talkshows und Medienmitteilungen gehört! Nein, wir haben das nicht übersehen und überhört!
    Es gibt nur zwei wirklich wichtige Einsichten für richtiges Handeln:
    1. Exponentialfunktion endlich begreifen, mit der Corona arbeitet.
    2. Sicherheit, an der Beatmungsmaschine im Intensivspital Platz zu finden, genügt nicht.
    Alles weitere folgt fast logisch daraus.

  • am 22.04.2020 um 13:00 Uhr
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    Ich bin mir sehr sicher, und dies gefällt mir gar nicht, das es eine zweite Welle geben wird. Der momentane Rückgang ist das Resultat der Sozialdistanz. Wenn wir draussen keine Maskenpflicht haben mit mindestens KN95 Standard Masken wird es neue Infektionsketten geben. Wenn wir nicht das tun was in anderen erfolgreicheren Ländern getan wird, nämlich das stoppen des Ueberreaktion der Lunge mit makroliden Antibiotika, dann werden die Intensivstationen weiter Sterbezentren sein. Die unzureichende Informationspolitik der Schweiz, der fehlende Webblog für Fragen und Antworten in Echtzeit, das Proffilierungsbedürfnis einiger Entscheidungsträger welches blind macht für die Realität und das fehlende HandyTracking werden die zweite Welle begünstigen. Die zunehmende Zahl von infiziertem Pflegepersonal ist ein weiteres Problem und deutet an, das in geschlossenen Räumen mit Infektoren die Ansteckungsgefahr trotz Schutzmassnahmen grösser ist als draussen. Gefährdete Personen sollten draußen Masken tragen und die freiwillige Quarantäne auch bei Lockerung so weit als möglich fortsetzen.

  • am 22.04.2020 um 13:30 Uhr
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    Unverständlich ist Isolation der Alten (auch Grosseltern). Im Ausland, z.B. USA, Slowenien, Norwegen sind die Lebensmittelgeschäfte und Apotheken extra für diese Risikogruppe 1 bis 2 Std. früher bzw. später geöffnet.

    Bezüglich Notwendigkeit und Wirkung wurden wir vom BAG bzw. deren Spezialisten angelogen, weil zuwenig Schutzmasken vorhanden sind.

    Im Gegensatz zu Austria und Slowenien werden unverständlicherweise zuerst Coiffeur-Geschäfte geöffnet und Gartencenter, Baumärkte erst später.

  • am 22.04.2020 um 13:44 Uhr
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    Vielen Dank für diesen informativen Beitrag.

    Was mich persönlich aber verwundert ist Folgendes:
    seit dem Osterwochenende veröffentlicht die Johns Hopkins University täglich die
    Zahlen der in den USA getesteten Personen.
    Anders als offenbar beispielsweise in Deutschland, wird in den USA offensiv getestet,
    während hier nur die Zahlen der aus Spitälern etc. gemeldeten positiv Fälle
    erfasst werden.
    Und warum geht Niemand auf die veröffentlichten US-Werte ein?

    Sieht man sich die Zahlen aus den USA an, wo schon deutlich über 1 Prozent der Bevölkerung getestet
    wurden, so liegt die Zahl der Positivfunde ziemlich gleich bleibend bei knapp 20%.

    Umgerechnet auf die Schweiz oder Deutschland, müsste es derzeit also 1,6 Millionen bzw.
    über 16 Millionen ‹Infizierte› Mitbürger geben.

    Das RKI spricht immer von gewaltigen Testkapazitäten, die demnächst sogar auf
    4 Millionen Tests pro Tag ausgeweitet werden sollen. Warum gibt es dann keine Zahlen?

    Soll irgendetwas verschwiegen werden?

    Uns fehlt in Europa ein ‹Freedom of Information Act›. Der die Regierungen zur Veröffentlichung aller Informationen zwingt.

  • am 22.04.2020 um 15:51 Uhr
    Permalink

    SF1, 21.4. Tagesschau Hauptausgabe (04:30) : Kurve und Zahlen zeigen es deutlich: Der Lockdown selbst hat nichts gebracht. Die Kurve war schon vor Lockdown beim Schwellwert 1. So sieht das auch Prof. Dr. Pietro Vernazza, Mitglied der Expertenkommission des Bundesrates, zugeschaltet per Skype. Das gleiche Bild auch in Deutschland wo Prof. Dr. Stefan Homberger den Verlauf kommentiert [1].
    Peinlich, wie Prof. Tanja Stadler ETH mit windigen Erklärungen um eine Bundesrat konforme Interpretation ringt, die uns weismachen will, anstatt einer flachen Linie um den Wert 1, die schon vor dem Lockdown beginnt, eine Exponentialkurve zu sehen. Die Erde ist keine Kugel, es ist eine flache Platte, ihr seht das nur falsch.

    [1] Punkt.PRERADOVIC, 17. April: https://youtu.be/Vy-VuSRoNPQ

  • am 22.04.2020 um 15:52 Uhr
    Permalink

    Sehe ich nicht so, da laut staatlichen Vorgaben, bei einer Lockerung eine zweite Grippewelle entstehen würde. Die Begründung des Lockdowns war die Mysterie um die Coronagrippe, welche mit der Spanischen Grippe gleichgesetzt wurde.
    Wegen der Fehleinschätzung der Behörden wurden unnötigerweise Spitalbetten für imaginäre Coronapatienten reserviert, was dazu führte, dass die Betten leer blieben und Kurzarbeit eingeführten werden musste.

    Grund zur Aufhebung der Massnahmen wäre die Einsicht, dass es sich bei der Coronagrippe nicht um die Spanische Grippe handelt, siehe auch Schweden, Weissrussland & Co.

    Die Politiker können nicht zu ihren Fehlern stehen und deswegen wird mit billigen Ausreden an den widersinnigen Massnahmen festgehalten.

  • am 22.04.2020 um 17:16 Uhr
    Permalink

    Weshalb Maskentragen überall, wo Abstand nicht eingehalten werden kann (z.B. öV) dringend zu empfehlen ist:
    Das renommierte medizinische Journal veröffentlichte einen Artikel mit einem eindrücklichen Video, in welchem mit Laser-Streulicht die beim Sprechen ausgestossenen Tröpfchen sichtbar gemacht werden. Je lauter man spricht desto grösser der Tröpfchen-Ausstoss. Beim Tragen einer Maske gelangen selbst bei lautem Sprechen keine Tröpfchen in die Umwelt.

    https://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMc2007800

  • am 22.04.2020 um 21:42 Uhr
    Permalink

    Interessant, der Fall ist wirklich klar. Müsste man aufgrund der Verzögerung der Syptome nach der Ansteckung nicht sogar sagen, dass die Reduktion schon vor dem Abstand halten Anweisung gesunken ist?

  • am 23.04.2020 um 09:43 Uhr
    Permalink

    Ich kann Herrn Gasche’s Analyse nur widersprechen. Der Bundesrat hat nicht aus guten Gründen die Grundrechte der Schweizer ausser Kraft gesetzt, sondern mithilfe von manipulativen Statistiken. Im BAG werden genug Experten arbeiten, welche die mathematischen Grundregeln bezüglich Statistik kennen. Wenn nun von da Statistiken verbreitet werden, die dem Narrativ «besonders gefährlicher Erreger» dienlich sind, jedoch grundsätzliche, mathematische Regeln verletzen, kann von guten Gründen nicht die Rede sein. Ebenso konnte das BAG die Anfrage bezüglich wissenschaftlichen Grundlagen für die Schulschliessungen, welche namhafte Experten als kontraproduktiv kritisierten, nie schlüssig beantworten. Die Massnahmen wurden aus willkürlichen, oder zumindest dem Volk unbekannten, Gründen getroffen. Von Demokratie kann keine Rede mehr sein. Und, wie Herr Gasche im zweiten Teil selber feststellen muss, geht es mit dieser Willkür weiter.

    Wer die Gegenwart verstehen will, sollte die Geschichte studieren. Im Buch «die Schockstrategie» zeigte Naomie Klein auf, wie Kriesen von Regierungen, Geheimdiensten, Konzernen und anderen Machtapparate dazu genutzt wurden unpopuläre Massnahmen durchzuzieren. z.B. Privatisiereungen, Überwachungen, antidekokratische Gesetze, …

    Was wird aktuell wegen dem Corona alles diskutieret?
    – Der Wirtschafts- Finanzcrash ist wegen Corona
    – Handyüberwachung per automatischen up-Dates
    – 7 Mia Menschen impfen
    – Bargeld ist eine Virenschleuder
    – Demonstrationsverbot

  • am 23.04.2020 um 10:44 Uhr
    Permalink

    :"Der Aufruf zu Hygienemassnahmen sowie das Verbot von Grossveranstaltungen und grossen Menschenansammlungen sind hauptverantwortlich dafür, dass sich die Epidemie stark eindämmte».
    Kann sein. Aber wenn sich das Virus wie andere Corona- oder Rhinoviren verhält, dann vermindert sich seine Aktivität auch wegen der erhöhten UV Strahlung bei steigendem Sonnenstand im Frühjahr im allgemeinen und in diesem Jahr im speziellen, wegen der hohen Anzahl Sonnenstunden.
    Der Aktionismus aus Politik und Medien ist nicht mehr als ein Hype, um ein mässig gefährliches Virus, welches milde bis schwere Infektionen der Atemwege auslösen kann. Das taten und tun Viren dieser Art aber immer schon und gehört zum Leben dazu. Wir müssen entscheiden, wie wir mit dieser Tatsache umgehen wollen.

  • am 23.04.2020 um 18:08 Uhr
    Permalink

    Ich erwarte eine zweite Welle und wenn ich diese Kommentare lese, denke ich, sie könnte eher gross, lang werden.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 24.04.2020 um 18:22 Uhr
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    @Schenk. Woher weiss das Covid-Virus, dass es der Exponentialfunktion folgen muss ?

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