Chemo

Chemotherapie: Oft schadet sie mehr als sie nützt © Stephen Dickter/Flickr/cc

Brustkrebs: Viel zu viele unnötige Chemotherapien

Natalie Perren /  Ein Test könnte vielen Frauen mit Brustkrebs die Tortur einer Chemotherapie ersparen. Doch Schweizer Spitäler zögern.

Brustkrebs – mit dieser Diagnose beginnt für die betroffenen Frauen ein qualvoller Weg. Nach der operativen Entfernung des Tumors wartet auf die meisten Patientinnen die nächste grosse Belastung: eine Chemotherapie. Doch oft schadet sie mehr als sie nützt.
Die aggressive Behandlung soll verhindern, dass sich der Krebs im Körper ausbreitet oder erneut entsteht. Die Zellgifte greifen aber auch gesunde Zellen an und verursachen starke Nebenwirkungen. Haarausfall, anhaltende Übelkeit und Gelenkschmerzen sind nur einige kurzfristige. Auch gefährliche Langzeitfolgen wie Herzschwäche, Nervenschäden und dauerhafte Erschöpfung sind möglich.

Jede vierte Chemotherapie ist unnötig

Was das für betroffene Frauen bedeutet, hat die Sendung «Monitor» im WDR gezeigt. Die meisten Patientinnen erleben die «Chemo» als körperliche und seelische Tortur. Dabei wäre die Behandlung in vielen Fällen nicht notwendig. Krebsmediziner schätzen, dass jede vierte Brustkrebs-Patientin, die heute eine Chemotherapie erhält, diese gar nicht braucht, um gesund zu werden. Oft würde auch eine relativ schonende «anti-hormonelle» Therapie ausreichen.
Allerdings liess sich die Frage, ob eine Chemotherapie sinnvoll und notwendig ist, bislang nicht bei allen Patientinnen eindeutig beantworten. In unsicheren Fällen empfehlen Ärzte deshalb in der Regel eine Chemotherapie, um keine Heilungschance zu verpassen und um Unterlassungsklagen zu vermeiden.

Neue Gentests als Entscheidungshilfe

Im Zweifelsfall eine Chemotherapie – das müsste nicht sein. Denn bei der Entscheidung, ob eine Chemotherapie überhaupt notwendig ist, können neue Diagnoseverfahren eine wertvolle Hilfe sein: sogenannte Genexpressionstests wie «Oncotype» oder «EndoPredict». Bei diesen Tests wird die Aktivität von Genen im Brustkrebsgewebe untersucht. Sie zeigen mit hoher Zuverlässigkeit an, ob das Risiko für einen Rückfall hoch oder tief ist. Ist die Prognose gut, kann die Patientin auf die belastende Chemo mit all ihren Nebenwirkungen verzichten.
Allerdings ist ein Genexpressionstest nur für bestimmte Patientinnen geeignet: Der Tumor muss hormonell bedingt sein und er darf noch nicht zu weit fortgeschritten sein, also noch keine Metastasen gebildet haben. Diese Kriterien treffen auf jede dritte Brustkrebspatientin zu.

Mancher Patientin bleibt die «Chemo» erspart

In Deutschland kommt der Test EndoPredict seit zwei Jahren in mehreren grossen Brustkrebszentren und Kliniken zum Einsatz. «Monitor» hat Ärztinnen und Ärzte zu ihren Erfahrungen mit dem Test befragt, und diese sind durchwegs positiv: «Diese Prognosetests sind ein Durchbruch», sagt Professorin Nadia Harbeck, Leiterin des Brustkrebszentrums der Universität München. «Wir können nun der einzelnen Patientin genau sagen, wie hoch ihr Rückfallrisiko ist. Mit herkömmlichen Diagnosemethoden konnten wir das nur schätzen.»
Der Test erspart fast jeder zweiten Frau in der Gruppe der «unsicheren Fälle» die Chemotherapie nach der Brustoperation, weil das Risiko einer Neuerkrankung denkbar gering ist. Würde man den Test bei Brustkrebs konsequent einsetzen, könnten jedes Jahr allein in Deutschland 10’000 bis 15’000 Frauen auf eine Chemotherapie verzichten. In der Schweiz wären es über 1000 Frauen.

Nur zwei Schweizer Spitäler führen den Test durch

Erste Erfahrungen mit dem neuen Brustkrebstest EndoPredict hat man auch in der Schweiz gemacht. Professor Stefan Aebi, Leitender Onkologe am Luzerner Kantonsspital (LUKS) und sein Chef-Pathologe Professor Joachim Diebold haben diesen Test vor gut anderthalb Jahren als erste in die Schweiz geholt. Mittlerweile setzt auch das Kantonsspital Baden EndoPredict ein. Fast 80 Mal hat man am LUKS den Gentest bisher durchgeführt – und jede zweite getestete Frau vor einer unnötigen und belastenden Chemotherapie bewahrt, schätzt Chef-Pathologe Joachim Diebold.
Gut die Hälfte der untersuchten Gewebeproben wurde aus anderen Landesteilen wie Zürich oder Bern ans LUKS geschickt. Denn bislang gibt es den Test nur in Luzern und in Baden. Andere Spitäler halten sich im Hintergrund – ebenso die Krankenversicherer. Wie in Deutschland müssen Patientinnen in der Schweiz den Brustkrebstest selber zahlen. Das Bundesamt für Gesundheit BAG hat den Test nicht kassenpflichtig gemacht. Im Kanton Luzern sind das 2500 Franken. Zum Vergleich: Eine Chemotherapie kostet zwischen 3000 und 6000 Franken.

Krankenversicherer fordern neue Studien

Das Problem: Krebsexperten weltweit schätzen den Test zwar als sehr zuverlässig ein. Laut Studien kann mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent vorausgesagt werden, ob eine Patientin langfristig wieder an Krebs erkranken wird. Neuste Tests der zweiten Generation sind sogar noch präziser. Doch das genügt den Krankenversicherern nicht. Denn die Studien wurden rückblickend, anhand von konservierten Gewebeproben durchgeführt. Laut «Monitor» verlangen Krankenkassen in Deutschland aber vorausschauende Studien, bei denen aktuelle Patienten getestet werden. Das bedeutet: Für neue Testverfahren würde das Ergebnis erst in zehn Jahren feststehen. Ein enormer Zeitverlust. In der Schweiz entscheidet das BAG nach Anhörung der Leistungskommission darüber, ob die Kassen den Test zahlen dürfen.
Und: So müssen viele Patientinnen, die sich den Test nicht leisten können, weiterhin qualvolle und teure Chemotherapien über sich ergehen lassen – obwohl sie diese möglicherweise gar nicht nötig hätten.

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Eine Meinung zu

  • am 11.11.2013 um 10:25 Uhr
    Permalink

    Eine unhaltbare Situation: die Betroffenen riskieren gesundheitliche Schäden, und wir alle sollen (wieder einmal!) die Profite der Pharma über ständige Prämienerhöhungen steigern. Und die Massenmedien halten es unter dem Deckel, denn es könnte ja eine Protestwelle geben.

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