Kommentar

Der Spieler: Ärger über verräterisches Adjektiv

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Den «altehrwürdigen» Spieltisch gibt es nicht mehr. In den Medien wird das Klischee vom unmodernen Brettspiel weiter gehätschelt.

Unter dem Titel «Deutschland ist die Republik der Brettspieler» hat die renommierte deutsche Tageszeitung «Die Welt» über die weltweit grösste Messe für Brett- und Gesellschaftsspiele, die «Spiel 13» in Essen, berichtet. Eine ganze Seite – solche Aufmerksamkeit hat Seltenheitswert. Als leidenschaftlicher Spieler und langjähriger Beobachter der Spielebranche müsste ich mich eigentlich darüber freuen. Ich tue das zwar, aber nicht uneingeschränkt. Denn der Artikel ist für mich ein weiteres Beispiel dafür, dass die Welt der Spiele in den grossen deutschen Medien ein Schattendasein fristet und längst nicht so beachtet wird, wie es ihrer Bedeutung entspräche.

Drei Punkte aus dem «Welt»-Artikel bleiben mir in Erinnerung: Erstens hat der türkisch-deutsche Ethno-Komiker Kaya Yanar ein Spiel «Typisch Deutsch» veröffentlicht, und zwar, weil Yanar in Deutschland ein Publikumsliebling ist, gleich in einer Startauflage von 30 000 Exemplaren. Zweitens können sich die Brett- und Gesellschaftsspiele neben den Computerspielen sehr gut behaupten. Es gebe jetzt sogar ein Spiel, das den umgekehrten Weg gehe – «vom Bildschirm auf den altehrwürdigen Spieltisch». Das auf Pacman basierende Spiel heisst «Whacky Wit», wiegt acht Kilogramm und kostet 400 Euro. Und drittens schliesslich hebt der Autor die Einbindung von Smartphones und Tablet-PCs in das Spielgeschehen als besonderen Trend hervor.

Nur ein Zugpferd

Die Fakten stimmen. Was nicht heisst, dass das Bild von der Spielszene, das bei der Lektüre des Artikels entsteht, auch gleich richtig ist. Kaya Yanar ist im Fernsehen gross geworden, er ist ein TV-Star. In der Welt der Spiele ist er bloss ein Marketing-Instrument. Weil er auf dem Cover von «Typisch Deutsch» abgebildet ist, wird sich dieses Partyspiel statt 10000- nun 30000mal verkaufen. Ist das der Fall, hat Kaya Yanar seine Aufabe als Zugpferd erfüllt und wird für die Brett- und Gesellschaftsspiele so bedeutungslos, wie er es vor seinem Auftritt anlässlich der Eröffnung der Internationalen Spieltage in Essen gewesen ist. «Die Welt» aber hängt ihren Bericht «Deutschland ist die Republik der Brettspieler» an Kaya Yanar auf – für mich schön schräg. Und ebenso schräg ist es, ein exotisches Spiel wie «Whacky Wit», das wohl kaum je einen Käufer finden wird, ernsthaft als Vorreiter für einen Trend weg vom Spielen am Bildschirm zu betrachten.

Nun zur Einbindung von Smartphones und Tablet-PCs in das Spielgeschehen. Das war an der Spielmesse in Essen tatsächlich zu beobachten. Mit Ravensburger und Kosmos sind sogar grosse deutsche Verlage bei der Entwicklung ganz vorne dabei. Wie stehen die Chancen für die Zukunft? Das kann heute noch niemand sagen, vor allem auch deshalb, weil man nicht weiss, wie die Spielenden auf das Nebeneinander von zwei Spielplattformen reagieren werden. Solche Entwicklungen sollen wir Medienschaffende neugierig und kritisch zugleich verfolgen. Dazu gehört für mich aber auch, dass man sie in Relation zu dem stellt, was sonst noch in der Spieleszene läuft. In Essen nämlich, also der weltweit grössten und wohl wichtigsten Messe für Gesellschaftsspiele, waren die digitalen Erweiterungen von Brettspielen eine Randerscheinung, eine wichtige zwar, aber eben in Bezug auf die Menge noch unbedeutend. Dass über 150 000 Menschen während drei Tagen mit Begeisterung vor allem ganz gewöhnliche Brett-, Karten- und Gesellschaftsspiele spielten, wird in der grossen Berichterstattung nicht oder höchstens am Rande erwähnt. Dabei macht gerade dieses Massenphänomen «die Republik der Brettspieler» aus, die der «Welt»-Artikel zu beschreiben vorgibt.

Zeichen der Moderne

Jetzt verrate ich noch, worüber ich mich bei der Lektüre am meisten geärgert habe. Irgendwo ist die Rede vom «altehrwürdigen» Spieltisch. Das Adjektiv verrät sehr viel über die Haltung, in der der Artikel geschrieben worden ist: Brett- und Gesellschaftsspiele haben etwas Ältliches an sich. Spielen am Computer oder auf dem Tablet hingegen ist modern. Also sucht der Berichterstatter bei seinem Messebesuch nach Zeichen der Moderne. Sobald er sie gefunden hat, stürzt er sich auf sie. Nicht zuletzt im Wissen darum, dass er von seinen Chefs, die ja nicht als Hinterwäldler gelten wollen, bei der Blattkritik an der Redaktionskonferenz gelobt werden wird. Fazit: Das Klischee, Brett- und Gesellschaftsspiele hätten etwas Verstaubtes an sich, überlebt für ein weiteres Jahr. Boom hin oder her.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».

Zum Infosperber-Dossier:

Synes_Ernst 2

Der Spieler: Alle Beiträge

Spielen macht Spass. Und man lernt so vieles. Ohne Zwang. Einfach so.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

Eine Meinung zu

  • am 10.11.2013 um 16:39 Uhr
    Permalink

    Mein vulgo aus Studentenzeit ist «schö» – abgeleitet von «jeux":
    Zum Spielen wären wohl noch viele Aspekte zu berücksichtigen:
    Solitair-Spiele werden sicher immer mehr auf die technische Ebene verlagert, z.B: NZZ Mahjong mit weit über 100’000 eingegebenen Resultaten – wieviel mehr wurden nicht erfasst? Oder all die Kinder (und Erwachsenen) im Tram, Zug, beim Warten überall am Handy…… Viele dieser Solitair-Spiele sind viel einfacher vorbereitet auf dem Bildschirm.
    Mehrpersonenspiele wie Bridge, werden sehr häufig am Bildschirm geübt, seit es on-line und App-Bridge gibt, ansonsten man ja immer zu viert sein muss!
    Oder auch Schach: zum ersten Mal habe ich 1975 gegen einen Computer gespielt – und die Lust am Schach ziemlich verloren, aber zum Lernen wollte auch mein Enkelkind einen Schachcomputer.
    Ich habe keine Zahlen, aber die Spielminuten an Brettern dürften schon heute ein Bruchteil der Spielminuten am echten Brett betragen, der Trend ist klar. (Sehr unsicher bin ich mir bzgl. (Noch) schlecht IT-erschlossener Gebiete wie Backgammon in der Türkei; Mahjong im chinesischen Hinterland, etc.)
    Fazit: Mir scheint die Bezeichnung «altehrwürdig» für Brettspiele am Brett ziemlich gut – besonders am Beispiel des altehrwürdigen Mahjongs, das die NZZ elektronisch so erfolgreich anbietet.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...