Sperberauge

Fliegt ein Herz nach Paris …

Sperber © Bénédicte Sambo

Martina Frei /  Premiere: Spenderherz aus der Karibik in Paris transplantiert. Damit werde «unbegrenzte geografische Beschaffung» denkbar.

Wenn auf den französischen Antillen ein 48-jähriger Mann stirbt und im 6750 Kilometer entfernten Paris ein schwerkranker Patient auf ein neues Herz wartet, erfährt die Öffentlichkeit normalerweise nichts davon. In diesem Fall aber führt es zu Schlagzeilen. Denn es soll den Beginn eines «nachhaltigen Herzspender-Programms» markieren.  

Der 48-Jährige auf den Antillen erlitt eine schwere Hirnblutung und wurde nach drei Tagen für hirntot erklärt. Mediziner entnahmen sein Herz. Wenige Minuten später wurde das Organ in eine spezielle Box gelegt, wo es gekühlt und mit einer sauerstoffhaltigen Lösung ständig gespült wurde. 

«Economy»-Flug mit der Air France

In dieser Box trat das Herz seine Reise an. «Um die Kosten erträglich zu halten», flog es anstatt in einem Privatjet in der «Holzklasse» eines Flugzeugs der Air France. Die spezielle Box nahm zwei Sitzplätze ein und wurde angeschnallt. Trotz schwerer Turbulenzen überstand das Spenderorgan den Flug gut. 

XVIVO Herztransplantation
Wo sonst zwei Passagiere sitzen, flog hier ein Herz.

Es sei das erste Mal, dass ein Herz aus der Karibik zur Transplantation den Atlantik überflog, berichten zwei Pariser Ärzte geradezu euphorisch in «The Lancet» über das Experiment mit der neuartigen Transportbox namens «XVIVO». Etwas Derartiges sei zuvor unvorstellbar gewesen.

Zwölf Stunden verbrachte das Herz in der Box. Dann pflanzten Chirurgen im Pitié-Salpêtrière-Spital in Paris das Organ einem 70-jährigen Patienten ein. Er litt an Herzversagen und stark reduzierter Nierenfunktion. 

Das Herz habe unmittelbar nach der Transplantation seine Arbeit aufgenommen, ohne jegliche Zwischenfälle. Der Patient konnte 30 Tage nach dem Eingriff aus dem Spital entlassen werden. Seine Nierenfunktion verbesserte sich bis zur Entlassung, war aber immer noch deutlich eingeschränkt. 

Spenderherzen, die Raum und Zeit überwinden

Das Ziel dieses Projekts sei nicht, ein Kunststück zu vollbringen, sondern ein nachhaltiges Herzspender-Programm auf den französischen Antillen zu etablieren, schreiben die beteiligten Mediziner: «Der erfolgreiche Ausgang könnte ein monumentaler Durchbruch in der Herztransplantation sein, der einen besseren Zugang zu ungenützten Spenderherzen ermöglicht.» 

Diese könnten nun sicher über weite Distanzen transportiert werden. Ein weiterer möglicher Vorteil der Transportkiste: Herztransplantationen würden für die Chirurgen und das Spital besser planbar. 

«Der in diesem Fall erzielte Erfolg, bei dem Entfernung und Transportzeit keine einschränkenden Faktoren mehr sind, hat das Potenzial, die Herztransplantation neu zu definieren – mit unbegrenzter geografischer Beschaffung und geringeren zeitlichen Beschränkungen.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto 2022-10-28 um 12.25.44

Wissenschaft

Transparent, reproduzierbar und unabhängig von wirtschaftlichen Interessen sollte sie sein.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

7 Meinungen

  • am 12.04.2024 um 11:53 Uhr
    Permalink

    Das ermöglicht so etwas wie einen Tansplantations-Kolonialismus: Der Kreis der möglichen Spender wird erheblich ausgeweitet. Empfänger kann wohl nur jemand werden, der in einem Land mit sehr gut ausgebautem Gesundheitswesen lebt, also in einem reichen Land. Und in armen Ländern könnte sicher mit finanziellen Anreizen die Spenderbereitschaft deutlich erhöht werden.

  • am 12.04.2024 um 18:38 Uhr
    Permalink

    Hoffentlich war es nicht Mord zum Zweck der Organentnahme. Organkauf in armen Ländern schaudert mich.

  • am 13.04.2024 um 09:53 Uhr
    Permalink

    “Beschaffung“ – hier sprachlich- für mich- eine grobe Verfehlung, wenn es um Allocation menschlicher Körperorgane geht, der umfangreiche klinische Diagnostik vorausgegangen sein muss und nach Dringlichkeit entschieden wird.
    Ich bestehe im Hinweis auf ethisch und sprach-ästhetischen Unterschied zum ökonomisiert-kommerziellen Begriff der “Beschaffung“ {Materialbeschaffung}.
    Eine TX ist eine komplexe chirurgische Operation unter Dringlichkeit, wenn optimale Kompatibilität und positive crossmatches in Blut-Gewebe-Tests
    von OrganSpende und Organempfang nachgewiesen sind.

    • Portrait Martina Frei 2023
      am 13.04.2024 um 10:17 Uhr
      Permalink

      @ Hrn. Duess: Im Originaltext heisst es: «… unlimited geographical procurement…» und nicht «allocation»

      • am 13.04.2024 um 10:45 Uhr
        Permalink

        das ist genau die Aufgabe des interrogativen Journalismus zu prüfen, was zu übernehmen ist.sorry diese Unachtsamkeiten sind 20.Jhdt.

      • am 14.04.2024 um 18:02 Uhr
        Permalink

        Im Rahmen einer korrekt praktizierten Transplantationsmedizin mag «Beschaffung» der falsche Ausdruck sein. Aber ist das, was im Artikel beschrieben wird, immer noch korrekt praktizierte Transplantationsmedizin?

      • am 15.04.2024 um 07:46 Uhr
        Permalink

        was hier im Schein einer Errungenschaft öffentlich wird ist ein Mandat für die Französische Ethikkommission.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...