Agrar-Treibstoff.UFOP

Aus Raps statt Speiseöl Agrar-Benzin produzieren © UFOP

Ein gescheitertes Experiment: Treibstoffe aus Pflanzen

Pascal Derungs /  Die Agrarfläche, welche für europäische Kraftstoffe genutzt wird, könnte 120 Millionen Menschen ernähren.

5,3 Millionen Hektaren Land dienen derzeit EU-weit dem ausschliesslichen Anbau von Raps, Mais oder Zuckerpflanzen, aus denen Agrar-Kraftstoffe für den motorisierten Verkehr und stationäre Anwendungen gewonnen werden. Die Branche spricht beschönigend von «Bio»-Treibstoffen, obwohl diese mit biologischem Anbau nichts zu tun haben. 

Auf den 5,4 Millionen Hektaren Fläche könnten Pflanzen angebaut werden, die den Kalorienbedarf von 120 Millionen Menschen decken. Es wäre mehr als genug, um den Bedarf der 50 Millionen Menschen abzudecken, von denen die Vereinten Nationen sagen, dass sie sich «in Notlage oder schlimmerem Ausmass akuter Ernährungsunsicherheit» befinden. Das zeigt eine neue Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung (IFEU) im Auftrag der NGO Transport&Environment (T&E).

Agrar-Treibstoff ist weder effizient noch nachhaltig

Die Studie quantifiziert zum ersten Mal die enormen Opportunitätskosten in ganz Europa, die durch Nutzung von Millionen Hektar fruchtbarer Ackerflächen für die Produktion von Agrar-Kraftstoffen entstehen. Nicht einmal die CO2-Belastung wird reduziert:

  • Würde diese Anbaufläche der Natur unbearbeitet zurückgegeben, würde doppelt so viel CO2 absorbiert, wie angeblich durch den Antrieb von Autos mit Agrar-Kraftstoffen, die fossile Brennstoffe ersetzen, eingespart wird. 
  • Für eine CO2-Reduktion noch weitaus effizienter wäre die Nutzung des Landes für Solarparks. Dadurch könnte – im Vergleich mit den Agrar-Kraftstoffen – der 40fache Energieertrag gewonnen werden. 

Die Ergebnisse seien eindeutig, folgert die NGO T&E. Dieses Land könnte viel besser genutzt werden, um den Klimawandel einzudämmen, den Verlust der biologischen Vielfalt einzudämmen oder die globale Ernährungssicherheit zu erhöhen. 

Die EU-Agrarpolitik sorgt für Fehlanreize 

Im Jahr 2009 führte die Europäische Union EU im Rahmen ihres «Ökokraftstoffgesetzes» die «Erneuerbare-Energien-Richtlinie» (RED) ein, um Agrar-Treibstoffe zu fördern. Der damalige Vorschlag war attraktiv: Bauern sollten bei der Produktion von «grünen Kraftstoffen»  unterstützt werden. Doch heute sei klar, bilanziert T&E, dass Agrar-Kraftstoffe sowohl die Ernährungssicherheit beeinträchtigen als auch den Klimaschutz behindert haben. 

«Das Dümmste, was je gefördert wurde»

Maik Marahrens, Biokraftstoffexperte bei T&E, sagt: «Biokraftstoffe sind ein gescheitertes Experiment. Weiterhin Lebensmittel als Brennstoff zu verbrennen, während die Welt mit einer wachsenden globalen Nahrungsmittelkrise konfrontiert ist, ist grenzwertig kriminell. Als Reaktion darauf diskutieren Länder wie Deutschland und Belgien die Begrenzung von Biokraftstoffen für Nahrungsmittelpflanzen. Der Rest Europas muss diesem Beispiel folgen.» 

Sein Fazit ist deutlich: «Pflanzen-Biokraftstoffe sind wahrscheinlich das Dümmste, was jemals im Namen des Klimas gefördert wurde». Auch Julie Bos, Beraterin für EU-Klimagerechtigkeit bei der unabhängigen Entwicklungsorganisation Oxfam, übt scharfe Kritik: «Die Biokraftstoffpolitik der EU ist eine Katastrophe für Hunderte Millionen Menschen, die Schwierigkeiten haben, ihre nächste Mahlzeit zu finden. Sie verschwendet nicht nur riesige Teile des Ackerlandes für den Autoverkehr, sondern treibt auch die Lebensmittelpreise noch weiter in die Höhe». 

T&E bringt auch das Argument der Biodiversität ins Spiel. Die EU habe sich in ihrem Naturschutzgesetz Ziele gesetzt, um den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen und umzukehren. Da Rohstoffe für Agrar-Treibstoffe einen grossen Teil der europäischen Anbauflächen einnähmen, könnte zur biologischen Vielfalt wesentlich beitragen, wenn keine fruchtbaren Flächen mehr für Agrar-Treibstoffe verwendet würden. 


Inforsperber informierte regelmässig über die Agrar-Treibstoffe und das angebliche «Bio»-Benzin


Susanne Aigner am 9.12.2022:
WWF-Report: Europa ernährt sich auf Kosten des globalen Südens

Tobias Tscherrig am 15.6.2018:
Palmöl oder Rapsöl ins Auto – beides ist Unsinn

Urs P. Gasche am 25.9.2012:
Für Zuckerrohr, Soja und Mais setzt man massiv Pestizide ein und holzt sogar Urwald ab. Trotzdem sollen die Treibstoffe «bio» sein.

Urs P. Gasche am 3.8.2012:
Den Autofahrern sind die Hungernden egal


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Hunger

Hunger und Fehlernährung weltweit

Alle Menschen auf der Erde können sich nicht so ernähren wie wir. Der Kampf um fruchtbare Böden ist im Gang.

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12 Meinungen

  • am 13.03.2023 um 11:12 Uhr
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    «Die Agrarfläche, welche für europäische Kraftstoffe genutzt wird, könnte täglich 120 Millionen Menschen ernähren.» — Das «täglich» ist überflüssig, d.h. eigentlich falsch. (Es wäre ebenso sinnlos zu schreiben stündlich, wöchentlich, monatlich oder jährlich; der Zeitraum für den Kraftstoffanbau und die Ernährung der Millionen ist einfach derselbe aber an sich bedeutungslos.)

  • am 13.03.2023 um 12:00 Uhr
    Permalink

    Nicht-Bio «Bio-Treibstoff»: Eine potente Form von Food Waste.
    Für unnötigen mehrheitlichen Vergnügungsverkehr (BMW-Slogan: «Aus Freude am Fahren»). Dessen giftige Abgas- und Reifen-Partikel darüber hinaus auch noch im Essen landen, die wir tatsächlich «fooden», inkorporieren.
    https://www.tagesanzeiger.ch/giftstoffe-aus-dem-reifenabrieb-koennten-in-unser-gemuese-gelangen-113477388105
    Schilda, wie es leibt und bebt. Ginge es noch mehr man-made Worst Case?

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 13.03.2023 um 12:18 Uhr
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    BBC hat vor kurzem gesagt, dass die Versorgung der Flugzeuge in UK mit Biotreibstoff die Hälfte des ganzan Ackerlandes des Landes beanspruchen würde.

  • am 13.03.2023 um 13:00 Uhr
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    Die Anzahl der wegen des Anbaus von Pflanzen für Treibstoff statt für Nahrung Verhungerten und auch die Anzahl der wegen der Luftverschmutzung durch die Mobilität Gestorbenen sollte in die jährlichen Statistiken der Verkehrstoten aufgenommen werden. Ebenso sollte berechnet werden, wieviel Nahrung NICHT erzeugt werden kann, weil Ackerflächen für Mobilität versiegelt sind. Und wieviel Hungertote darauf zurückgeführt werden müssen. Vielleicht würde der eine oder die andere erschrecken.

  • am 13.03.2023 um 17:20 Uhr
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    Die Idee, aus Raps einen Dieselersatz herzustellen, wurde schon vor 30 Jahren herumgeboten. Schon damals hatte man eigentlich relativ rasch herausgefunden, dass es eine Schnapsidee ist.

  • am 13.03.2023 um 17:57 Uhr
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    «Nicht-Bio» produzierten «Bio-Treibstoff» betrachte ich als Food Waste; die verwendeten Pestizide als Umweltverschmutzung und Förderung der stromverbrauchs-intensiven Chemieindustrie. Das Verhältnis zwischen Gewinnungs-Aufwand und Ertrag an Sprit, scheint mir tendenziell so unverhältnismässig ungünstig wie das der Ölsandindustrie Kanadas.
    Und wofür? Hat die Schweiz nicht etwa eh das dichteste Strassennetz Europas und einen Umfahrungsstrassen-Boom? Ist nicht über die Hälfte der gefahrenen Kilometer «Vergnügungsverkehr» (im Gegensatz zum Arbeitsverkehr)? Landet der Treibstoff (Abgase) und Reifenabrieb nicht letztlich in unserem (auf den übrigen Flächen angebauten) Essen bzw. wird auch inkorporiert?
    https://www.tagesanzeiger.ch/giftstoffe-aus-dem-reifenabrieb-koennten-in-unser-gemuese-gelangen-113477388105
    Wären «Schrittzähler» (und ÖV) in der Freizeit nicht das für alle(s) Gesündeste?

  • am 14.03.2023 um 08:08 Uhr
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    Als Landwirt werde ich ständig mit widerstreitenden Meinungen zum Thema Kraftstoffe bzw. Energie aus Agrarrohstoffen konfrontiert. Klagt die Landwirtschaft über niedrige Preise, heißt es: das liegt an der Überproduktion. Flächen müssen aus der Produktion genommen und dem Umweltschutz zur Verfügung gestellt werden oder für die Energiegewinnung um fossile Energieträger zu ersetzen.
    Macht man darauf aufmerksam, dass wir in Europa die produktivste Landwirtschaft der Welt haben (d.h. überall sonst auf der Welt wird viel mehr Fläche für den gleichen Ertrag in Anspruch genommen als hier), heißt es: Export ist keine Lösung, das zerstört die regionalen Märkte. Europa soll die Welt gar nicht ernähren.
    Wenn ich diese unsinnige Tank oder Teller Diskussion höre, sage ich: dann lasst uns Landwirte doch produzieren und gängelt uns nicht ständig. Marktwirtschaft funktioniert! Es wird produziert was benötigt wird. Ob das Rapsöl im Salat oder im Tank landet, entscheidet der Preis.

    • am 18.03.2023 um 14:48 Uhr
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      Marktwirtschaft funktioniert? Tatsächlich?

      Warum bekommen Landwirte dann Milliardensubventionen?
      Warum haben wir ein gigantisches Stickstoffproblem?
      Warum kommt das Essen nicht bei denen an, die am wenigsten davon haben?
      Warum leben wir in der Ära des 6. Massenaussterbens ?
      Warum haben wir so viel Lebensmittelverschwendung?
      Warum finden wir überall Pestizide?
      Warum quälen wir Tiere in Massentierhaltungen?
      Warum gibt es so viel Antibiotikaeinsatz in der LW?
      Warum werden die Böden mit immer schwereren Maschinen verdichtet?
      Warum haben wir so einen irren Milch- und Fleischkonsum, der Tieren, Klima und unserer Gesundheit schadet?

      Mir scheint, Marktwirtschaft funktioniert nicht wirklich für alle … nicht für die sozial oder wirtschaftlich Schwachen, nicht für die Nutztiere, nicht für die «Natur», auch nicht fürs Klima … und letztlich auch für sehr viele Bauern nicht.

      Mag sein, dass etliche dieser Probleme aus der üblen Kombination aus Subvention UND Marktwirtschaft resultieren.

  • am 14.03.2023 um 10:51 Uhr
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    Ohne die Argumentation im Einzelnen zu kommentieren. Ein Satz / Argument stört mich sehr – sinngemäß «Anbauflächen für Bio-Sprit = Nahrungsmittel für 120 Mio Menschen». Er insinuiert Hilfe für Hungeropfer bei Verwendung jener Nahrungsmittel für Essen i.e. Food statt Sprit. Lt. einschlägigen Quellen (u.a. NGO´s & UN) gibt es seit einigen Jahren ausreichend «Food» für jeden Menschen auf der Erde – jene 2200 bzw. 2800 kcal/capita je nach Standard. Es ist eine Frage des polit. Verteilungs-Willens und keine Frage der Verfügbarkeit.

  • am 18.03.2023 um 12:45 Uhr
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    Der Hunger im Süden und die Verbrenner-Autos im Norden (auch im Süden – Brasilien) hätten dann miteinander zu tun, wenn die zu Biosprit umfunktionierten Nahrungsmittel als Nothilfe gespendet würden. Der seit gut 20 Jahren betriebene Leerlauf ist entstanden, um die fehlgelaufene Fahrzeugtechnik am Leben zu erhalten, solang Antriebe durch erneuerbare Energien nicht umgesetzt sind. Auch aus vielen anderen Gründen (Siedlungsstruktur, Gewinne der Agrarmultis, Maisbauern, Autohersteller etc). Der Umbau kommt erst langsam in Gang, während die Folgen der Verzögerung in Form von Waldbränden, Wassermangel etc zunehmend schmerzhaft werden. Es wird keinen Durchbruch geben, solang die Förderung der fossilen Energieträger nicht global heruntergefahren wird. Das wird nicht geschehen, solang es grosse Energieverbraucher gibt, die nicht umstellen. Solange werden weiter grosse Wirtschaftszweige gut von der Symbolpolitik leben, sei es Biosprit, Bio-Kerosin, CO2 aus der Luft oder was sonst noch alles.

    • Portrait_Josef_Hunkeler
      am 19.03.2023 um 08:43 Uhr
      Permalink

      Die Armeen der Welt werden die letzten sein, welche umstellen werden.

      Alles im öffentlichen Bereich. Mittlerweile werden wir «wohl zu zweit» duschen müssen. Die Unterschiede der Gewichtung sind evident. Solange Waffenhersteller das sagen haben, wird es kleinen Klimawandel geben.

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