Pharmafabrik

Nicht überall auf der Welt geht es bei der Tablettenherstellung so sauber zu wie auf diesem Bild. © kalinovsky / Depositphotos

Dreckige Pharmafabriken: Was Patienten nicht erfahren dürfen

Josef Estermann /  Arzneimittelbehörden geben nicht preis, welche Medikamente unsauber hergestellt wurden.

In einer Fabrik in Indien, wo Medikamente für den US-amerikanischen Markt hergestellt werden, hinterlassen Tauben in einem Lagerraum ihren Kot auf Kisten mit sterilisierten medizinischen Geräten. In einer anderen Fabrik verunreinigen Krankheitserreger Wasser, das zur Herstellung von Medikamenten verwendet wird. Dies sind nur zwei von unzähligen Beispielen haarsträubender Bedingungen bei der Herstellung von Generika, welche «ProPublica» in einem kürzlich veröffentlichten Bericht erwähnt. 

Brisante Enthüllungen

ProPublica ist ein 2007 in New York gegründetes, durch Stiftungen finanziertes US-amerikanisches Nachrichtenportal für investigativen Journalismus. In ihrem Beitrag «Werden Ihre Medikamente in einer kontaminierten Fabrik hergestellt? Die FDA wird Ihnen das nicht verraten» vom 24. Oktober 2025 erheben die beiden Journalistinnen Debbie Cenziper und Megan Rose schwere Vorwürfe an die Adresse der US-Medikamentenaufsicht FDA (Food and Drug Administration). 

Dabei geht es einerseits um die erwähnten unglaublichen Zustände in Fabriken weltweit (insbesondere Indien, China und Puerto Rico), die generische Medikamente für den US-Markt herstellen, andererseits aber um die undurchsichtige und zum Teil äusserst fahrlässige Politik der Kontrollbehörden, solchen Situationen auf den Grund zu gehen und die Patientinnen und Patienten vor Nebenwirkungen zu warnen. Oder wie es Mac Lumpkin, ehemaliger leitender Mitarbeiter der FDA, ausdrückt: «Es ging nicht darum: Was müssen wir für die öffentliche Gesundheit tun? Es war: Was müssen wir tun, um die FDA aussergerichtlich zu halten? Das hat Vorrang.»

Verunreinigte Medikamente mit Nebenwirkungen

Ein Beispiel ist der Cholesterinsenker Atorvastatin. Er soll Herzinfarkte und Schlaganfälle verhindern. Seit dem Auslaufen des Patents von «Lipitor» von Pfizer im Jahr 2011 wird der Wirkstoff von über 20 Herstellern weltweit hergestellt und vertrieben.

Doch im Lauf der Jahre stellte die FDA bei etwa der Hälfte der Produktionsanlagen von Atorvastatin-Generika Sicherheits- und Qualitätsmängel fest. Die Bedingungen in einem Werk in Zentralindien waren im vergangenen Jahr so beunruhigend, dass die FDA dieser Fabrik zuerst untersagte, ihre Medikamente in die Vereinigten Staaten zu versenden – danach aber dieses Verbot durch eine Ausnahmeregelung wieder aufhob.

Bei den Arzneimitteln, die bei Autismus von Kindern verwendet werden, gebe es schon seit längerer Zeit Anzeichen dafür, dass bestimmte Medikamente problematisch sein könnten. Das stellte eine Kinderärztin aus Oregon fest. Als sie bemerkte, dass sich die Symptome bei Kindern mit Autismus, Angstzuständen oder anderen Erkrankungen verschlechterten, wenn sie von einem Markenprodukt auf ein Generikum oder von einem Generikum auf ein anderes Generikum wechselten, fing sie an, sich die Etiketten der Medikamente genauer anzusehen. Dort war aber nur der Grossverteiler angegeben, nicht die Fabrik, in der das Arzneimittel hergestellt worden war.

Vernachlässigte Informationspflicht

Viele Inspektionsberichte aus Fabriken und besorgte Hinweise von Ärztinnen und Ärzten, aber auch von Betroffenen selbst, liefen bei der FDA zusammen. Die Kontrollbehörde aber traf eine Entscheidung, die ihren eigenen Auftrag untergraben und die Profite der Pharmahersteller über das Wohl der betroffenen Patientinnen und Patienten stellen sollte: Anstatt die Namen der Medikamente und deren Hersteller, die unter fragwürdigen und dreckigen Bedingungen arbeiten, zu veröffentlichen, schwärzte die FDA die entsprechenden Informationen und hielt sie vor der Öffentlichkeit geheim.

Diese Entscheidung verhinderte, dass Fachpersonen und die Patientinnen und Patienten erfuhren, ob die Medikamente, auf die sie zählten, durch Herstellungsfehler verdorben wurden und möglicherweise gar unwirksam oder unsicher sind. 

Newsletter Balken grün


Allianz zwischen FDA und Pharmalobby

Die Praxis der Arzneimittelkontrollbehörde FDA, Namen, Herstellungsort und genaue Produktionsangaben bei Inspektionsprotokollen zu schwärzen, dürfte dem grossen Druck der Pharmalobby geschuldet sein, auch wenn diese dementiert. Auf den Verpackungen und Beipackzetteln der inkriminierten Medikamente fehlen diese Angaben weitgehend. Vorstösse von Organisationen der Zivilgesellschaft wie ProPublica bei der FDA oder im Kongress liefen bisher ins Leere. Anfragen werden nicht beantwortet und die Schwärzungen mit der Berufung auf das Geschäftsgeheimnis gerechtfertigt.

Janet Woodcock, die langjährige Leiterin der Arzneimittelsicherheit bei der FDA, sagte in einem Interview mit ProPublica, dass sie die Veröffentlichung von Arzneimittelnamen befürworte, stellte aber zugleich den Nutzen für eine breite Öffentlichkeit infrage. Tatsächlich bedeutet es für Interessierte einen erheblichen Aufwand, aufgrund der Medikamentenbezeichnung feststellen zu können, ob die Arzneimittel aus einer kontaminierten Fabrik stammen. Jahrelang widersetzte sich die FDA dem Druck der Zivilgesellschaft, von den Herstellern zu verlangen, dass sie weitere Details auf den Etiketten offenlegen. 

Angebliche Kursänderung

Inzwischen scheint die FDA diese Praxis ändern zu wollen. Sie hat den Kongress ersucht, das Gesetz so zu ändern, dass die Etiketten von Medikamenten die Namen und Adressen von Herstellern sowie Unternehmen enthalten, welche die wichtigsten Inhaltsstoffe eines Medikaments hergestellt haben. Die FDA schlug zudem vor, zusätzliche Details auf einer Website aufzuführen. Allerdings führt sie diese inzwischen auf zwei verschiedenen Listen: eine, die Fabrikadressen ohne Medikamentennamen anzeigt, und eine andere, die Medikamentennamen ohne Fabrikadressen listet. Die jeweiligen Informationen einander zuzuordnen, ist praktisch ein Ding der Unmöglichkeit.

Wenn ein Medikament potenziell kontaminiert ist oder andere Qualitätsprobleme aufweist, müssen die Hersteller innerhalb von drei Tagen einen detaillierten Bericht bei der FDA einreichen. Die Berichte sollen eine Frühwarnung über mögliche Sicherheitsbedrohungen liefern, aber die FDA veröffentlicht sie nicht auf ihrer Website und gibt auch keine Warnungen heraus. Die einzige Möglichkeit für Fachpersonen oder Patientinnen und Patienten, von einem der oben erwähnten Probleme zu erfahren, besteht darin, gemäss dem Öffentlichkeitsgesetz (Freedom of Information Act) Einsicht zu beantragen, was Wochen oder Monate dauern kann.

Eine Black Box

2022 verlangte ein Komitee der «National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine», dass die FDA die Hersteller dazu anhalten solle, den Produktionsort von Medikamenten anzugeben. Doch es sei nichts weiter geschehen, kritisieren die Autorinnen des «ProPublica»-Artikels. Sie zitieren Erin Fox, die zusammen mit Wissenschaftlern und Branchenexperten in diesem Ausschuss war: «Sie können ein Medikament in der Hand haben und wissen nicht, welches Unternehmen es hergestellt hat und wo. Das ist das Leben einer Apothekerin. Es ist wie beim Einkaufen bei Amazon und alles, was Sie kennen, ist der Preis. Sie haben wirklich keine anderen Informationen. Es ist eine Black Box.»

Im Juli versprach der neu ernannte FDA-Leiter Marty Makary «radikale Transparenz». Doch sieben Monate nach Beginn seiner Amtszeit habe die FDA noch immer keine detaillierten Informationen darüber veröffentlicht, wo Generika hergestellt werden, geschweige denn, welche aus kontaminierten Fabriken stammen. Für viele Betroffene sei die Einnahme von Arzneimitteln weiterhin eine Art russisches Roulette.


In schwerwiegenden Fällen informierten die Behörden

Der im «ProPublica»-Artikel geäusserte Vorwurf, Patienten und Patientinnen würden es nicht erfahren, wenn ihre Medikamente unsicher sind, trifft nicht immer zu. 2018 beispielsweise kam es zu einem teilweisen Rückruf von Blutdrucksenkern, die den Wirkstoff Valsartan des chinesischen Herstellers Zhejiang Huahai Pharmaceutical enthielten. Der Grund war, dass einzelne Chargen mit dem wahrscheinlich krebserregenden Stoff N-Nitrosodimethylamin verunreinigt wurden. Swissmedic führte damals Laboranalysen durch und rief betroffene Chargen vorsorglich zurück. Die Aufsichtsbehörde wurde in diesem Fall aktiv, weil in Europa bereits Arzneimittel mit dem Wirkstoff Valsartan zurückgerufen worden waren. Der Wirkstoff Valsartan wird zur Behandlung von Bluthochdruck und auch zur Therapie der Herzschwäche (Herzinsuffizienz) eingesetzt.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.

Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:



_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Pillen

Die Politik der Pharmakonzerne

Sie gehören zu den mächtigsten Konzernen der Welt und haben einen grossen Einfluss auf die Gesundheitspolitik.

Lobbyist_Hand

Macht und Einfluss von Lobbys

Für Anliegen zu lobbyieren ist legitim. Doch allzu mächtige Lobbys korrumpieren Politik und Gesellschaft.

Swissmedic

Swissmedic

Diese BAG-Behörde erlaubt alle Medikamente, deren Nutzen grösser ist als der Schaden. Zu viel läuft geheim.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...