Dürre

Afrika leidet besonders stark unter den Folgen der globalen Klima­erhitzung. Temperaturen bis 50 Grad und anhaltende Trockenheit zerstören die Lebensgrundlage vieler Menschen. © RTS

Klimavertriebene kämpfen um den Flüchtlingsstatus

Rachel Barbara Häubi / Swissinfo /  Klimaflüchtlinge werden vom internationalen Recht nicht anerkannt. Die Schaffung eines speziellen Flüchtlingsstatus ist umstritten.

Eine Kabinettssitzung in sechs Metern Tiefe. Im Jahr 2009 gingen die Bilder dieses ungewöhnlichen Treffens um die Welt. In einer symbolischen und beunruhigenden Kulisse trafen sich die Minister der Malediven unter Wasser, ausgerüstet mit Tauchanzügen, zu einer aussergewöhnlichen Sitzung. Ihr Ziel war es, die internationale Gemeinschaft vor der existenziellen Bedrohung zu warnen, die der steigende Meeresspiegel für ihre Inselgruppe darstellt. 

Der Anstieg des Meeresspiegels, Dürren, Überschwemmungen, Erdrutsche und Brände: Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge haben klimabedingte Naturkatastrophen in den letzten zehn Jahren mehr als 220 Millionen Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen. Diese Fluchtbewegungen fallen oft durch die Maschen des internationalen Rechts und lassen viele Menschen ohne angemessenen Rechtsschutz zurück. 

Klima – ein ignorierter Grund für Exil 

Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 erkennt das Klima nicht als Fluchtgrund an. Dies beunruhigte bereits den ehemaligen UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Klimawandel, als er 2022 in Genf sprach: «Ich bin sehr besorgt über die Frage der Klimaflüchtlinge über nationale Grenzen hinweg. Sie werden nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht als Flüchtlinge anerkannt und haben daher kein Recht auf Schutz.»

Eine Gesetzeslücke, die umso besorgniserregender ist, als fast die Hälfte der Weltbevölkerung in Umgebungen lebt, die nach Schätzungen des Weltklimarats (IPCC) «sehr anfällig» für den Klimawandel sind. 

Klimaflüchtlinge
Klimabedingte Naturkatastrophen haben in den letzten zehn Jahren mehr als 220 Millionen Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.

Eine historische Stellungnahme der Vereinten Nationen

Das internationale Recht könnte sich ändern. Im Jahr 2010 beantragte ein Bürger aus Kiribati, einer Inselgruppe im Pazifik, die vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht ist, Asyl in Neuseeland. 

Nachdem sein Antrag abgelehnt wurde, wurde er vor den UN-Menschenrechtsausschuss gebracht. Zehn Jahre später wurde in Genf eine bahnbrechende Entscheidung getroffen: Die Abschiebung einer Person in ein Gebiet, das stark vom Klimawandel betroffen ist, könnte eine Verletzung ihres Rechts auf Leben darstellen. 

«Die Auswirkungen des Klimawandels (…) könnten Asylsuchende dem Risiko einer Verletzung der durch die Artikel 6 oder 7 des Pakts garantierten Rechte aussetzen, was die Staaten (…) dazu verpflichten würde, das Prinzip der Nichtzurückweisung anzuwenden», heisst es in der historischen Stellungnahme. Und weiter: «Die Gefahr, dass ein ganzes Land unter Wasser verschwindet, ist eine so ernste Gefahr, dass die Lebensbedingungen in dem betreffenden Land mit dem Recht auf ein Leben in Würde unvereinbar werden könnten, noch bevor die Katastrophe eintritt.»

Auch wenn dieser Präzedenzfall eine Bresche schlägt, bleiben die Kriterien für die Zulässigkeit weiterhin streng. So wurde der Beschwerdeführer Ione Teitiota in sein Land zurückgeschickt, weil er nicht nachweisen konnte, dass er einer «drohenden» Gefahr ausgesetzt war.

Ein Flüchtlingsstatus, der spaltet 

Fünf Jahre später spaltet die Schaffung eines speziellen Status für Klimaflüchtlinge weiterhin die internationale Gemeinschaft, die Diskussionen sind ins Stocken geraten. 

«Es ist sehr selten, dass jemand nur wegen des Klimas eine Grenze überquert. Viele Menschen, die von der globalen Erwärmung betroffen sind, sitzen in Wirklichkeit fest, weil ihnen die Ressourcen fehlen, um wegzugehen», sagt der Geograf Etienne Piguet, Spezialist für klimabedingte Migration an der Universität Neuchâtel, in der Sendung Géopolitis von RTS. 

Sendung Géopolitis von RTS zur klimabedingten Migration

Die Definition eines Klimaflüchtlings sei umso schwieriger, als die oftmals temporären Fluchtbewegungen auf mehrere Ursachen zurückzuführen seien: «Meistens sind es mehrere Faktoren, die zusammenkommen. Das Klima ist oft der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt», so der Forscher. 

Anpassung statt Flucht 

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Genf setzt vor allem auf Anpassung als Antwort auf die klimabedingte Zunahme von Fluchtbemühungen. «Den Rechtsrahmen zu ändern, kann zeitaufwändig sein und sich für die meisten klimabedingt Vertriebenen, die mehrheitlich Binnenvertriebene sind, als unwirksam erweisen», sagt Rania Sharsh, Direktorin für Klimaschutz, bei einem Besuch von Swissinfo bei der IOM. Die Organisation schätzt, dass mehr als 80 Prozent der klimabedingten Vertreibungen innerhalb eines Landes stattfinden. 

«Wichtiger scheint uns, dass die Menschen weiterhin in ihrem Land leben können, indem wir beispielsweise am Zugang zu Wasser oder am Schutz von Agrarland arbeiten.» Sie nennt als Beispiel den Bau von Dämmen im Jemen, um Agrarland vor Überschwemmungen zu schützen. 

Klimavertriebene in Europa

Klimabedingte Migration ist nicht mehr nur ein Problem in Entwicklungsländern. «Heute sieht man ähnliche Fälle auch in Frankreich, der Schweiz und Grossbritannien», sagt der Geograf Etienne Piguet. Im Pas-de-Calais haben wiederholte Überschwemmungen zur Umsiedlung eines ganzen Dorfes geführt. Es soll abgerissen und als unbebaubares Gebiet erklärt werden, um eine Hochwasserausbreitungszone zu werden.

In der Schweiz musste das Dorf Brienz (GR) 2023 evakuiert werden, weil es von einem Erdrutsch bedroht wurde. 2025 traf Blatten im Wallis das gleiche Schicksal. «Früher dachte man vielleicht, dass der Norden immun sei. Aber das ist nicht mehr der Fall. Zwar sind wir finanziell besser gerüstet, um uns anzupassen, aber sicher sind wir nicht.»

«Man wird nicht überall Deiche bauen können», sagt Umweltmigrations-Experte Piguet. «Die Technologie kann uns Lösungen bieten, aber das wird nicht ausreichen. Wir müssen unbedingt die globale Erwärmung bekämpfen und gleichzeitig die bereits betroffenen Bevölkerungsgruppen unterstützen.» 

Seiner Meinung nach müssen die lokalen Bemühungen von einer verstärkten internationalen Solidarität begleitet werden: «Die internationale Gemeinschaft sollte Fonds einrichten, die in der Lage sind, auf die kommenden Herausforderungen zu reagieren.»

Das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) hat einen Fonds eingerichtet, um Gemeinden, die durch den Klimawandel vertrieben werden, bei der Vorbereitung und Bewältigung zu helfen. Die Organisation hofft, bis Ende des Jahres 100 Millionen US-Dollar aufbringen zu können. 

Auf dem Weg zu Klima-Visa?

Für manche Menschen ist die Flucht jedoch die einzige Möglichkeit. «Die IOM arbeitet mit Regierungen und Gemeinden zusammen, um legale Migrationswege für diejenigen zu schaffen, die keine andere Wahl haben, als zu gehen, zum Beispiel, weil der Meeresspiegel steigt», sagt Rania Sharsh. 

Dies führt dazu, dass manchmal neue Initiativen entstehen. Dies ist der Fall in Tuvalu. Der kleine Pazifikstaat unterzeichnete 2023 ein neuartiges Abkommen mit Australien, das seinen 11’000 Bürgerinnen und Bürgern Zugang zu Visa garantiert, um im Nachbarland zu leben, zu arbeiten und sich schrittweise niederzulassen. Die ersten Visa sollen diesen Sommer an 280 tuvaluische Staatsbürger ausgestellt werden. 

Im Gegenzug verlangt Canberra ein Mitspracherecht bei Sicherheitspakten, die der Archipel mit anderen Nationen zu schliessen gedenkt, was zu heftigen Debatten über die Souveränität Tuvalus geführt hat.

Die Kürzungen der USA – der Tropfen zu viel? 

Die langsamen Fortschritte könnten durch die jüngsten Haushaltskürzungen der USA gefährdet werden, die insbesondere auf Projekte im Bereich Klima und Umweltgerechtigkeit abzielen. Die IOM ist besonders betroffen und musste Personal abbauen, darunter mindestens 20 Prozent der Stellen am Hauptsitz in Genf. Auf die Gefahr hin, dass die Klimaflüchtlinge noch mehr in Vergessenheit geraten.

Doch Rania Sharsh glaubt an die Widerstandsfähigkeit des Systems: «Klimaflüchtlinge werden nie vergessen werden. Es ist eine Realität, mit der wir tagtäglich konfrontiert sind, in allen Ländern, in denen wir tätig sind. Wir werden weiterhin die notwendige Unterstützung mobilisieren, um die von der Klimakrise betroffenen Menschen zu begleiten.»

Die Nansten-Initiative, ein von der Schweiz getragenes Projekt

Die Frage nach dem Status von Klimaflüchtlingen ist nicht neu. Bereits 2010 leiteten die Schweiz und Norwegen einen Konsultationsprozess ein, um Menschen zu schützen, die aufgrund von Katastrophen und den Auswirkungen des Klimawandels über die Grenzen hinweg vertrieben wurden.

Aus diesem Projekt, der sogenannten Nansen-Initiative, entstand fünf Jahre später die Plattform zu katastrophenbedingten Vertreibungen (Disaster Displacement Platform, DDP), die in Genf von mehr als 100 Staaten gebilligt wurde. Sie ist bis heute aktiv und soll das Thema in den verschiedenen internationalen Verhandlungsgremien voranbringen.

Dieser Beitrag ist zuerst auf Swissinfo.ch erschienen.
Editiert von Virginie Mangin, Übertragung aus dem Französischen mit der Hilfe von Deepl: Janine Gloor


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Afghanischer_Flchtling_Reuters

Migrantinnen, Migranten, Asylsuchende

Der Ausländeranteil ist in der Schweiz gross: Die Politik streitet über Asyl, Immigration und Ausschaffung.

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Eine Meinung zu

  • am 13.06.2025 um 13:11 Uhr
    Permalink

    Solange die Landwirtschaft großflächig durch extreme Wasserentnahme, riesige Monokulturen und exzessiven Export zerstört wird, greift der Begriff «Klimaflüchtling» zu kurz. Seit Jahrtausenden überleben Menschen in Hitzezonen und betreiben dort durch hohen Organisationsgrad erfolgreich Landwirtschaft; z.Bsp. in der tausende Kilometer langen Flußoase des Nils, im Oman, an Euphrat und Tigris in Syrien und im Irak, im harten Klima des Iran. Seit den 50iger Jahren ist die Bevölkerungszahl in Afrika und Asien explodiert; die Anbaufläche und auch das verfügbare Wasser jedoch nicht! Im Gegenteil sind immer mehr Flächen erodiert und wasserhaltende Wälder und Savannen zerstört worden. Der Artikel ist hier wenig differenziert und lässt nur Geldempfänger westlicher Hilfsorganisationen zu Wort kommen. Es gibt genug Projekte in Afrika, die zeigen dass mit Wiederaufforstung, Bodenverbesserung und althergebrachten Sorten erfolgreich Subsistenzwirtschaft möglich ist.

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