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Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe: SprachDACH als Gefahr für die mehrsprachige Schweiz

Daniel Goldstein /  Dass Behörden für das deutsche Sprachgebiet zusammenarbeiten, kann sinnvoll sein – aber nur, wenn es um die Sprache geht.

«Der Fels hat als Ägide die Hütte überdacht.» Als wir, lang ist’s her, diese Liedzeile lernen mussten, war «Ägide» das schwierige Wort. Falls heute «Wo Berge sich erheben» noch zum Schulstoff gehört, ist eine neue Schwierigkeit dazugekommen. Die steckt im Wort «überdacht» – und nicht etwa deshalb, weil es auch von «überdenken» kommen könnte. Vielmehr liegt der (Dach-)Hase genau dort im Pfeffer: dann nämlich, wenn DACH grossgeschrieben wird und als Abkürzung für Deutschland–Österreich–Schweiz steht, gemäss den Autokennzeichen.

Diese Abkürzung ist zunehmend in Gebrauch, wenn sich Instanzen der drei Länder zusammentun, um gemeinsame Probleme zu bereden oder zu regeln. Wenn es um Belange der deutschen Sprache geht, etwa um Rechtschreibung oder Unterricht, ist dagegen kaum etwas einzuwenden. Die Schweiz gehört ja auch zur Organisation internationale de la Francophonie, ohne dass daraus den anderen Landessprachen Nachteile erwüchsen. Doch DACH greift inzwischen weit über Sprachfragen hinaus, wie in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift «Sprachspiegel» der Historiker und Verwaltungswissenschafter David Zimmer darlegt.

Deutsch verkehren und verteidigen

So gibt es ministerielle und administrative Dreiertreffen etwa bei der Verteidigung und beim Verkehr. Das mag praktisch sein, weil man dann Deutsch reden kann (was auch anderssprachige Delegierte aus der Schweiz meist können). Aber von der Sache her ist nicht einzusehen, warum bei solchen Treffen Frankreich und Italien fehlen sollten. Zudem beobachtet Zimmer: «Gerade internationale Unternehmen orientieren sich verstärkt an der ‹DACH-Region› und organisieren ihre Absatzmärkte, Vertriebskanäle und Lieferketten entsprechend.» Auch Deutschschweizer Medien schöpfen demnach mit Vorliebe aus ausländischen deutschsprachigen Quellen, statt zuerst in unseren anderssprachigen Landesteilen nach Experten und Themen zu suchen.

Der Autor konstatiert: «Der gegenüber nicht deutschsprachigen Schweizerinnen und Schweizern ausgrenzende Charakter und die – um es polemisch zu sagen – ‹kulturimperialistische› Stossrichtung, die dem Akronym DACH innewohnt, werden selten mitbedacht.» Er sieht quasi Feuer im Dach voraus, denn die überhandnehmenden «sprachlichen, transnationalen Logiken» könnten für «die genuin mehrsprachige Schweiz eine potenziell zentrifugale Wirkung haben». Zimmer schliesst: «Wo CH draufsteht, muss auch die ganze Schweiz drin sein. (…) Deshalb ist das Akronym DACH kritisch zu hinterfragen, nein: aus staatspolitischen Überlegungen heraus schlichtweg abzulehnen.»

Ein- und ausladend zugleich

Damit freilich wäre das Kind mit dem Bade ausgeschüttet: Wenn es allein um die deutsche Sprache geht, unterstreicht DACH gerade, dass sie nicht nur zu D gehört, sondern ebenfalls zu A und CH (nebst Ländern mit deutschsprachiger Minderheit). Die «Sprachspiegel»-Redaktorin Katrin Burkhalter betont denn auch, «dass die Umsetzung des DACH-Prinzips einem mehr denn begrüssenswerten Emanzipationsschritt der nicht deutschländischen Zentren unserer Sprache gleichkommt». Im Deutschunterricht würden die Besonderheiten der Schweiz und Österreichs nun vermehrt beachtet, stellt sie fest.

Dagegen, so fällt mir auf, schwinden diese Besonderheiten jedenfalls in den Deutschschweizer Medien zunehmend unter dem deutschländischen Einfluss – als gäbe das DACH den nationalen Kammern keine Ägide, sondern mache aus ihnen ein gemeinsames Massenlager und versperre zugleich den Blick auf die anderssprachigen Kammern unseres Landes. Diese würden so vom ausladenden DACH – na ja, ausgeladen.

Weiterführende Informationen

  • Indexeintrag «Helvetismen/Hochdeutsch» in den «Sprachlupen»-Sammlungen: tiny.cc/lupen1 bzw. /lupen2, /lupen3.
    In den Bänden 1 und 2 (Nationalbibliothek) funktionieren Stichwortsuche und Links nur im heruntergeladenen PDF (linke Spalte, ganz unten).
  • Die zitierte Ausgabe der Zeitschrift «Sprachspiegel» enthält auch einige frühere «Sprachlupen» und ist gratis erhältlich:probeheft@sprachverein.ch, Vermerk D-A-CH

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor war früher Redaktor des «Sprachspiegels».
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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5 Meinungen

  • am 1.07.2023 um 12:27 Uhr
    Permalink

    Habe soeben die Geschichte des Slogans von Ben Vautier «La Suisse n’existe pas» wieder gelesen. Laut Vautier existiert die Schweiz nicht, weil eine Nation nur dann existiere, wenn in ihr einzig und allein eine Sprache gelte. Mit 4 offiziellen Sprachen sei die Schweiz deshalb keine Nation. Mit DACH wird nun diese eindimensionale Sichtweise zementiert.
    Die Schweiz kann jedoch nur Schweiz sein, wenn sie 4-sprachig bleibt!

    • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
      am 1.07.2023 um 15:00 Uhr
      Permalink

      Der Slogan für die Weltausstellung 1992 in Sevilla gab nicht Vautiers eigene Meinung wieder, sondern er war ironisch gemeint: Der Künstler wollte damit gewissermassen denjenigen eins aufs DACH geben, für die ein Staat nur als homogene Einheit existieren kann.

      • am 2.07.2023 um 02:01 Uhr
        Permalink

        Herr Goldstein, wie begründen Sie Ihre Behauptung «Der Slogan für die Weltausstellung 1992 in Sevilla gab nicht Vautiers eigene Meinung wieder, sondern er war ironisch gemeint»?

        Vautier hat in verschiedenen Interviews diese Meinung als seine eigene geäussert – ohne Ironie. So schrieb sogar die NZZ: «Auch Ben Vautier fühlt sich missverstanden. Die Schweiz habe keine gemeinsame Sprache oder Kultur, erklärt er, deshalb: «La Suisse n’existe pas.»» (NZZ, «Eine Schande für unser Land», Marc Tribelhorn, 22.05.2017)

      • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
        am 2.07.2023 um 09:30 Uhr
        Permalink

        Auf Ironie schloss ich aus damaligen Presseberichten, auch dem von Ihnen zitierten. Ich verstand seine Erklärung so, dass nur jene die Existenz der Schweiz verneinten, die eine monokulturelle oder monolinguale Auffassung von Staatlichkeit hätten. Und das Missverständnis liege darin, diese Sicht für seine eigene zu halten. Worin denn sonst? Nachdem ich nun beim Aargauer Kunsthaus eine Einordnung des Slogans in sein Schaffen und Denken gefunden habe, bin ich tatsächlich nicht mehr so sicher, inwiefern er sich missverstanden fühlte. Aber als ironischer Schlag aufs DACH eignet sich «La Suisse n’existe pas» allemal.

      • am 2.07.2023 um 22:07 Uhr
        Permalink

        Ich vermute, dass hinter der Provokation «la Suisse n’existe pas» auch eine beträchtliche Dosis von Lust und Freude am «épater le bourgeois» steckt. Das würde gut zu Dadaismus und Fluxus passen, beides Bewegungen, an die sich Ben Vautier anschloss.

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