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Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe: Sind Sie durch den Wind? Gehen Sie in die Beiz!

Daniel Goldstein /  Wer «Beiz» in die Zeitung setzt, ist nicht gerade «durch den Wind» – wohl aber, wer Letzteres hierzulande ohne Erklärung schreibt.

«Wann ist eine Beiz eine Beiz?», fragte mich eine Leserin, nachdem unser mutmasslich gemeinsames Leibblatt einen bestimmten «Bären» so tituliert hatte. Im Fall dieses «klassischen (Land-)Gasthofs» empfand sie die Bezeichnung als abschätzig; weniger gestört hätte sie eine «flapsige, übergeordnete Verwendung, z. B. als Schlagzeile: ‹Wieder alle Beizen geschlossen›». Ich sehe das ähnlich, aber nicht ganz so streng wie die Leserin, für die es immer «despektierlich» ist, ein namentlich genanntes Lokal als Beiz zu bezeichnen. Ein einfaches, gemütliches Restaurant, eine Dorf- oder Quartierbeiz eben, hat wohl nichts gegen diesen Titel oder wirbt sogar selber damit; eine Fressbeiz eher nicht.

Der kleine Duden «Schweizerhochdeutsch» führt «Beiz» als «mundartnahe» Bezeichnung für «Kneipe, Schenke»; ist sonst ein «Restaurant, Wirtshaus» gemeint, so sei das «salopp». Im allgemeinen Duden (Rechtschreibung) steht «Beiz» als «schweizerisch mundartlich für Schenke, Wirtshaus», «Beize» als «landschaftlich für Schenke», also regional; wer so ein Lokal führt, ist «landschaftlich und schweizerisch» ein «Beizer». Auf duden.de erfährt man zusätzlich, dass «Beiz» auch in Bayern und West­österreich vorkommt und die gleiche Herkunft hat wie das dor­tige «Beisel»: «jiddisch bajis = Haus, Gastwirtschaft < hebräisch bayit = Haus». Ist mit «Beize» dagegen ein Beizmittel oder die Beizjagd gemeint, dann ist das Wort mit «beissen» verwandt.

Von der Beiz ins Puff

Nun kann man natürlich nicht jedesmal Wörterbücher wälzen, bevor man ein Wort wie «Beiz» in die Zeitung setzt. Aber man kann sich kurz überlegen, ob es für die gemeinten Lokale und in den Zusammenhang passt, in dem sie genannt werden. Für Titel bieten sich «Beizen» als kurzer Sammelbegriff an, doch statt «Beizer» passt «Wirt» bzw. «Wirte» genauso gut. Geht es ums Durchhalten in Corona-Zeiten, so sind kaum alle betroffenen Lokale auch Beizen. Dagegen wird man bei einer «Beizentour» nicht so genau hinschauen, wo sie überall hinführte: Wenn sie in die Zeitung kommt, dann wegen der Folgen.

Sogar für einen Gerichtsbericht kann ein Titel wie «Das Finanzpuff des Milieuwirts» unwiderstehlich sein. Bei den Corona-Folgen im Milieu indessen müsste nicht unbedingt von «Puff» die Rede sein. Doch weit mehr als die saloppe Ausdrucksweise störte mich da ein Abgleiten ins Fachsimpeln: Was BDSM genau be­deutet, wissen lange nicht alle; Wikipedia hilft. «Puff» ist für den Duden übrigens nicht einmal salopp, nur «umgangssprachlich für Bordell»; die seltene Einstufung «salopp» erhält in diesem Bereich nur «Hure (salopp abwertend, auch Eigenbezeichnung; auch stark diskriminierendes Schimpfwort)».

Hirnen ist nicht kreuzfalsch

Als «schweizerisch salopp» haben es überhaupt nur zwei Wörter in den Duden geschafft: «hirnen» und «kreuzfalsch». «Schweizerisch umgangssprachlich» kommt dort etwas häufiger vor; meistens könnte dabei gerade so gut «mundartlich» stehen, denn schliesslich ist hierzulande die Mundart die Umgangssprache. Schreibt man über und für Leute, also fast immer, dann auch sprachlich gern «bi de Lüt». Dazu passt es, wenn man sich aus der Mundart bedient – jedenfalls soweit ihr schriftdeutscher Gebrauch im Duden (inklusive «Schweizerhochdeutsch») belegt ist.

Dagegen wirken über den Rhein geschwappte Brocken von Umgangssprache oft befremdlich. Einige jüngere Beispiele: «Die Tochter aus gutem Hause schmiss ihr Studium» – oder ohne Objekt: «Er schmiss hin». Vielleicht war er eben «durch den Wind» (Google/Oxford: «geistig verwirrt, konfus»). Ein Redaktor (Redakteur?) hat sein Material über die Rechtschreibereform «in die Papiertonne gekloppt»; eine «herumeiernde Tiefdruckrinne» bestimmt das Wetter; «in den Neunzigern knallte Kara Walker uns Scherenschnitte vor den Latz». Gleich danach, schier zum Trost: «Es ist halt schon schampar interessant zu sehen, …». Letzteres ist aber schon schampar mundartlich, nur in Dialektwörter­büchern zu finden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund». Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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3 Meinungen

  • am 14.08.2021 um 13:55 Uhr
    Permalink

    Viele Redewendungen kommen aus der Praxis, aus dem Handwerk, Landwirtschaft, Jagt, Seefahrt etc.

    Was nützt es, den Begriff «durch den Wind» in einem Duden ergründen zu wollen, der doch von praxisfremden Germanisten geschrieben wurde?
    Besser forsch man in der Praxis, wo es um Wind und Wasser geht: bei der alten Seefahrt!

    «Durch den Wind gehen» bedeutet das gleiche wie «wenden», wobei die «Wende» nicht irgend eine Kursänderung ist, sondern ganz spezifisch den Bug gegen den Wind und eben durch den Wind hindurch zu steuern. Vor der Wende blies der Wind von Steuerbord her und danach weht er von Backbord her, genau gleich auch umgekehrt.
    Ein Begriff mit gleicher Bedeutung ist «über Stag gehen», was für kopflastige Germanisten kaum be-greiflicher ist, weil sie kaum wissen, was der Wasserstag ist.
    Wenn nun ein solch klarer Begriff auf ein fremdes (politisches?) Gebiet entführt wird, geht er der Grundlage verlustig und wird beliebig interpretierbar, was wiederum den Theoretikern ganz neue Möglichkeiten eröffnet.
    Ich meine, als gelernter Bauschlosser, als ehemaliger Kunstschmied und ehemaliger Segelschulbetreiber… die Sprache war sehr viel klarer, bevor diese von den Sprachwissenschaftern vereinnahmt wurde.

    Oder wie die Glarner zu sagen pflegen: «diä Gschiide mache mee Dumms, als die Dumme Gschyts.

    • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
      am 14.08.2021 um 19:58 Uhr
      Permalink

      Danke für die Erklärung, woher die Redensart kommen könnte. Daran, dass sie an Land eine ganz andere Bedeutung hat, sind allerdings keine «praxisfremden Germanisten» schuld – die haben nur festgestellt, dass es in der ihnen wohlbekannten (deutschen) Sprachpraxis der Fall ist. Um abzuklären, ob wirklich ein Landgang aus der Seglersprache vorliegt (und nicht etwa ein anderer, gleichlautender Ursprung), wäre es gut zu wissen, ob beim Kreuzen gegen den Wind etwas geschehen kann, das in Richtung der untenstehenden Definition geht. Nach meiner bescheidenen eigenen Segelerfahrung ist das kaum der Fall.
      (duden.de:) durch den Wind sein (umgangssprachlich: geistig verwirrt, konfus sein: durch das Chaos der vergangenen Wochen ist er [völlig] durch den Wind; er ist frisch verliebt und etwas durch den Wind)

      • am 15.08.2021 um 11:39 Uhr
        Permalink

        Danke, Herr Goldstein!
        Mich würde interessieren, wie das terrestrische «durch-den-Wind-sein» als Redewendung hergeleitet wird. Haben die Duden-Macher eine Erklärung, oder haben die einfach eine modische Worthülse aufgeschnappt, wie dies z.B. auch Hülse «im-nach-hinein» geschehen sein muss?

        Wäre auch interessant zu ergründen, WER diese völlig unsinnige Hülse erstmals gesprochen hatte, und weshalb soviele Nach-Sprecher*****innen diese unsinnige Hülse brauchen.

        Was sollte denn «Im-hinein» real beschreiben?
        Mit dem zwischengesetzten «nach» könnte verstanden werden, dass es mit «danach» gleichbedeutend sein soll.
        Es bleibt trotzdem ungeklärt was das «im-hinein» beschreiben sollte.
        (Die Codierung verstehe ich schon…)

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