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Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe – Perle aus frisch gehobenem Wort-Schatz: «flubbern»

Daniel Goldstein /  Im Basler Uni-Archiv schlummerte ein monumentales Wörterbuch-Manuskript. Nach gut 250 Jahren ist es endlich im Druck erschienen.

«Flubbern, unbedachtsam und unanständig herausplaudern» – das alte Wort kommt in Zeiten der Pandemie und des Online-Jekami wie gerufen wieder zum Vorschein. Es war wohl bereits damals eine Rarität, als es der Basler Gelehrte Johann Jakob Spreng Mitte des 18. Jahrhunderts auf einen Zettel notierte. Als er 1768 starb, hinterliess er gegen hunderttausend solcher Notizen – die meisten schon wohlgeordnet und bereit zur Publikation, doch seine Einladung zur Subskription hatte nicht den nötigen Erfolg gehabt. Also blieb der Wort-Schatz verborgen, bis sich ein Vierteljahrtausend später ein Team von Freiwilligen an die Hebung machte, also daran, die alte deutsche Handschrift zu entziffern und die Ordnung zu vollenden. Unter der Leitung des emeritierten Basler Deutschprofessors Heinrich Löffler ist so ein siebenbändiges Werk von gut 4600 Seiten entstanden. Der Schwabe-Verlag hat die Pioniertat Sprengs und seiner postumen Geburtshelfer nun mit dem Druck vollendet: «Allgemeines deutsches Glossarium».

Sprachforschung als Volkskunde

Zu «flubbern» hat Spreng zwar eine Hamburger Quelle angegeben, aber neben dem Wortsinn keine weiteren Erklärungen. Viele andere Einträge aber erfüllen als kleine Essays den Anspruch des Autors, nicht nur die Herkunft der ausgewählten Wörter zu erkunden, sondern damit auch eine Kulturgeschichte des «Germanentums» zu erschliessen. Er versprach «allen möglichen Fleiß, die keltischen, gotischen, die altfränkischen, angelsächsischen, langobardischen und alemannischen Urwörter aus den alten Gesätzen, Gedichten, Urkunden, Wörterbüchern und andern Schriftstellern zu sammeln». Besonders interessierten ihn die «germanischen Gebräuche in dem heidnischen und christlichen Gottesdienste, in Friden und Kriege, in den Gerichten, in Heuraten, und sonst; Eigenschaften, Sitten, Waffen, Kleidungen, Wohnungen, Wanderungen, und übrigen Schicksale; die alten Namen der Städte, Länder, Gaüe, Flüsse, und drgl.; Männer- und Weibernamen; die in Vergessenheit gerathenen Kraft- und Sprüchwörter, und reiche Ausdrücke unserer Altväter». Dazu gehört wohl «flubbern»; selber geflubbert hat Spreng indessen nicht, auch wenn ihm ein weiterer Basler Professor «krause Etymologie» vorwarf, «heute gänzlich veraltet» (Adolf Socin, 1888).

Für Wissenschafter und Laien

Jedenfalls hat die Germanistik nun uraltes Neuland vor sich, nachdem sie sich «seit langem damit abgefunden [hatte], dass es – im Gegensatz zu den Naturwissenschaften – eigentlich nichts mehr zu entdecken gibt», wie Heinrich Löffler im «Sprachspiegel» 3/2018 schrieb. Bisher galt der hergebrachte deutsche Wortschatz mit dem Wörterbuch der Brüder Grimm als weitgehend aufgearbeitet. Sie hatten es 1838 in Angriff genommen und – ohne das schlummernde Werk des Vorgängers zu kennen – einen ähnlichen Umfang wie Spreng geplant. Nach der Publikation des ersten Bandes (A, 1854) lebten sie noch wenige Jahre. Generationen von Nachfolgern vollendeten bis 1961 das Werk in 32 Bänden mit durchschnittlich 10’000 Einträgen. Heute ist es auch im Internet einsehbar. Wer Vergleiche mit Spreng anstellen will, kann dessen Werk nun im Druck untersuchen, oder am Bildschirm in den vollständig erfassten Originalzetteln. Es geht aber auch einfacher: «Unerhörte Auswahl vergessener Wortschönheiten aus Johann Jakob Sprengs gigantischem, im Archive gefundenen, seit 250 Jahren unveröffentlichten deutschen Wörterbuch». Unter diesem Titel hat der Verlag Das kulturelle Gedächtnis Anfang 2021 einen Band mit Trouvaillen herausgebracht. Ihm verdanke ich auch «flubbern».

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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Eine Meinung zu

  • am 2.01.2022 um 23:12 Uhr
    Permalink

    Schön, dass Sie Hamburg als Ursprung notieren. Denn ein baseldeutsches und noch weniger baseldytsches Wort ist das nicht (gewesen). Hingegen kommt in einem Schwarzweiss-Film von Walt Disney aus den sechziger Jahren als «Flubber» vor ((The Absent Minded Professor, 1961). Das ist ein englisch zusammengesetztes Kofferwort zwischen Flying und Rubber. Auch ein «Professor» hat dieses Material erfunden, das gleichzeitig das ultimative Perpetuum Mobile war – eine immerwährende Energie. Lustig die Szene, als der Kopf eines weissen Foxterriers wie ein Metronom hin und her lugte, als er dem Energiekonzentrat «Flubber» zuschaute. Dieses hatte die Form eines Tennisballs und flog ohne Unterbruch zwischen den Zimmerwänden hin und her.

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