Sperberauge

Flüchtlinge oder Armutsbetroffene anonym einladen

Sperber © Bénédicte Sambo

Andres Eberhard /  Wer solidarisch sein will, kann Kaffee, Pizza oder ein Bibliotheksabo spendieren. Einige Angebote sind aber noch zu wenig bekannt.

In der Not ist die Hilfsbereitschaft oft gross. Das zeigt die Solidarität mit ukrainischen Flüchtlingen. Auch die Stadtbibliothek Biel wollte solidarisch sein und offerierte allen Menschen auf der Flucht mit Schutzstatus S ein dreimonatiges Gratis-Schnupperabo.

Was aber ist mit allen anderen Flüchtlingen? Das fragten mehrere Bibliotheksnutzer, weswegen die Verantwortlichen eine weitere Idee umsetzten: Das sogenannte «Freie Abonnement suspendu».

Suspendu heisst auf Deutsch «aufgeschoben». Das Prinzip: Wer möchte, bezahlt an der Kasse im Voraus ein Gratis-Abo für jemand anders. Menschen auf der Flucht können dann ein «Abonnement suspendu» verlangen und müssen ihren Ausweis nicht bezahlen. Alles ist anonym: Das verhindert, dass sich die Beschenkten zu einer Gegenleistung verpflichtet fühlen.

Die Stadtbibliothek fand damit einen kreativen Weg, um sich solidarisch zu zeigen. «Wir sind eine Stiftung und müssen neben den Subventionen, die wir erhalten, auch Einnahmen generieren», sagt Vize-Direktorin Brigitte Bättig auf Anfrage. Die ersten zehn «Abonnements suspendus» offerierte die Stadtbibliothek gleichwohl selbst.

10’000 offerierte Kaffees pro Jahr

Die Idee dahinter stammt ursprünglich aus Italiens Gastronomie. Wer an der Bar einen Espresso für sich bestellt und etwas Gutes tun will, bezahlt gleich noch einen weiteren dazu. Der «Café Sospeso» ist dann für andere kostenlos.

Nach dem gleichen Prinzip werden mittlerweile auch in vielen Schweizer Bars und Restaurants Kaffees spendiert. Neben einigen kleineren privaten Initiativen gibt es grössere Netzwerke wie das «Café suspendu» in der Romandie oder das «Café Surprise».in der Deutschschweiz. Letzteres umfasst rund 110 Gastronomiebetriebe, in denen im Schnitt je etwa 10 Tassen pro Monat offeriert werden – macht alleine über das vom Basler Verein Surprise betriebene Netzwerk 10’000 spendierte Kaffees pro Jahr.

Anders als in der Stadtbibliothek Biel profitieren dabei nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Armutsbetroffene – beziehungsweise wer auch immer einen Sospeso, Suspendu oder Surprise bestellt. Bättig sagt, dass man erst einmal schauen müsse, wie die Aktion anläuft. «Auch wir überlegen uns, ob wir die Aktion in Zukunft auf Menschen in prekären Lebenssituationen ausweiten sollen.»

Eines kaufen, eines offerieren: Die Idee lässt sich fast beliebig weiterspinnen: So bietet zum Beispiel die Pizza-Kette VITO, ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem Verein Surprise, eine «Pizza sospeso» an.

Das einzige Problem: Oft sind die Aktionen bei Spenderinnen und Spendern bekannter als bei jenen, die sie nutzen könnten. Nach rund drei Wochen sind in der Stadtbibliothek Biel bereits rund 28 Gratis-Abos spendiert worden. Zusammen mit jenen von der Bibliothek selbst offerierten sind es bereits deren 38. Bestellt wurden allerdings erst zwei. «Wir arbeiten daran, das Angebot bekannter zu machen, indem wir Institutionen, die mit flüchtenden Menschen arbeiten, kontaktieren und auf das Angebot aufmerksam machen», sagt Bättig.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Andres Eberhard schreibt auch für das vom Verein Surprise herausgegebene Strassenmagazin.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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2 Meinungen

  • am 16.06.2022 um 14:03 Uhr
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    Ich würde es toll finden, wenn auch z.B. Sozialämter, Caritas oder Tischlein deck dich über solche Aktionen informiert würden. So könnten vielleicht einige mehr davon profitieren. Es sollten möglichst viele Menschen, welche nicht genug zum Leben verdienen/erhalten, Zugang erhalten, welche ihnen erlauben, soziale Kontakt und Kultur zu erleben.

  • am 16.06.2022 um 22:45 Uhr
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    Wer ist Flüchtling und wer nicht? Die Ausbeutung des Sozialwesens seit dieser inszenierten Flüchtlingskrise, sollte uns nachdenklich machen. Wir sollten auch den Ukrainekonflikt etwas genauer anschauen. Aber es ist wohl bequemer die Verantwortung und das Denken unserer Politik zu überlassen und einfach ja und Amen zu allem sagen und auch alles noch zu bezahlen.

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