Kreuzgang_Allie_Caulfield

Kreuzgang © Allie_Caulfield/Flickr/CC

Über die Zukunft von Papst und katholischer Kirche

Fritz P. Schaller, Theologe /  Das Papsttum muss nicht so sakral, monarchistisch, zentralistisch und absolut sein, wie es Benedikt XVI. hinterlässt.

Papsttum und Papst sind zwei Dinge. Mit jedem Amtsantritt aber verschmelzen sie – gemäss ihrer Eigenpropaganda – zu einer ungetrennten sakralen Einheit. Die Unfehlbarkeit in Lehrfragen sowie die universale Jurisdiktionsgewalt verknüpfen Papst und Papsttum, «bis dass der Tod sie scheidet».
Papst Benedikt XVI. schied vorzeitig aus dem Amt, was einer Neuerung gleich kommt. Papst und Papsttum erscheinen fortan als trennbar.

Der vorzeitige Amtsverzicht von Benedikt XVI. hat mich erleichtert. Der Papst ersparte seiner Kirche den tristen Anblick eines öffentlichen Sterbens. Die Losung, «bis dass der Tod Papst und Papsttum scheiden», ist hiermit relativiert. Der Papst nahm eine Korrektur am Papsttum vor, die bei seinem Vorgänger Johannes Paul II. noch undenkbar war. Weist sein Amtsverzicht nun aber den Weg zu Reformen? Es sollte all den kirchlichen Amtsträgern zu denken geben, es sei ihre Pflicht zu dienen «bis zum Tod». Und was wäre mit einem neuen Verständnis des Eheversprechens «bis dass der Tod uns scheidet?»
Basisgemeinden lösen Pfarreien ab
Es kommt natürlich darauf, ob der Papst als geistliches Oberhaupt das derzeitige Machtgefüge der römischen Kirche beherrschen kann, und ob er überhaupt einen Handlungsbedarf erkennt. Benedikt XVI. sah nicht die geringste Dringlichkeit, Reformanliegen aufzunehmen wie Mitsprache der Kirchenbasis, Subsidiaritätsprinzip, dezentrale Leitung, Gleichberechtigung der Geschlechter, usw. Er sah das Problem gar nicht. Denn die Kirche war für ihn eine vollkommene göttliche hierarchische Institution, im Besitz der Offenbarung und der Wahrheit.
Die Frage ist darum: Was für ein Papsttum bräuchte die katholische Wirklichkeit heute?
Die Kirche ist global betrachtet in Bewegung. Sie lebt in einer zunehmend säkularen Gesellschaft. Die Katholiken emanzipieren sich selbst von den global verpflichtenden, detailversessenen Normen und Regeln des römischen Gesetzeswerkes, des Codex iuris canoni, sowie des Lehramts.
Die traditionellen engmaschigen Strukturen von Pfarreien, die je von einem Priester geleitet und von konfessionellen Vereinen getragen werden, lösen sich auf. Damit schwindet die Funktion der Kirche als umfassendes Heilsangebot für Leben und Sterben. Die Kirche ist nicht mehr «Volkskirche», der Papst nicht mehr der Papst einer universalen Volkskirche.

In das Vakuum, das die volkskirchlichen Strukturen hinterlassen, treten Basisgemeinden und kritische christliche Gemeinschaften, die das Evangelium als befreiende Botschaft lesen, Mahl feiern und sich gesellschaftlich und politisch im Sinne von Jesus und seiner Reich-Gottes-Botschaft engagieren.
Die Institution Kirche erleidet damit einen Funktions-, Macht- und Kontrollverlust, doch die kirchliche Wirklichkeit selbst lebt neu in einem Netzwerk von aktiven, kernkompetenten Gemeinden, welche die kirchlichen Funktionen der Verkündigung, der Liturgie, der Diakonie und der Prophetie kreativ, autonom und selbstverständlich ökumenisch wahrnehmen. Die Katholiken sind zugleich ihrem Bistum zugehörig, das die sie regional repräsentiert. Es bleibt Auftrag der Bischöfe, den Basisgemeinden Freiraum zu lassen, sie mit Hilfe diözesaner Einrichtungen zu unterstützen und zu coachen.
Papsttum muss Macht- und Kontrollansprüche zurückstufen
Analog ist die Position des Papstes in der Kirche neu zu bestimmen. So wie die Bischöfe den Basisgemeinden Freilauf lassen, so kann der Papst den Bischöfe weltweit ihren eigenen Gestaltungsraum lassen, sie subsidiär fördern im Sinne der Frohen Botschaft für die Menschheit. Konkret würde das Papsttum seine Funktionen radikal dezentralisieren, seine Kontroll- und Machtansprüche zurückstufen, seinen Pomp entsorgen, inklusive der Schweizer Garde, und darauf vertrauen, dass die aufgeklärten Gemeinden vom Geist Jesu geleitet sind.
Papsttum und Papst sind bis heute der Einsicht verschlossen, dass die viel beschworene Katholizität in säkularer Gesellschaft nur als eine vielgestaltige, plurale und ökumenische zu haben ist.
Benedikt XVI. repräsentierte als bekennender Platoniker perfekt das Bild der heiligen, vollkommenen Gestalt einer hierarchischen Ständeordnung, deren Gnadenstrom nur eine Richtung kennt: von oben nach unten. Von der Basis her erwartete der Papst Dankbarkeit und Gehorsam. Ich habe dieses Phänomen als den systemischen Autismus der römischen Kirche dargestellt (in: «Nach Gott und Religion. Vision für einen jungen christlichen Humanismus», Lit Verlag 2012).
Paradox ist, dass der Anschub zur Kirchenreform von Benedikts Nachfolger erwartet wird, das heisst von einem neuen alten Mann, der bereits Akteur des Systems ist, und der von einem Elektorengremium, den Kardinälen, gewählt wird, die ihrerseits von Benedikt XVI. und seinem Vorgänger Johannes Paul II. ernannt wurden.
Dies stimmt mich skeptisch.
Der vatikanische Granit und die Kirchenreformer
Meine Frage, auf die ich keine Antwort weiss, ist diese: Wie könnte der systemische Autismus der römisch-katholischen Kirche aufgebrochen werden?
Die Kirchenreformer werden weiterhin ihre Zähne am vatikanischen Granit ausbeissen. Der heutige globale Jurisdiktionsanspruch des Papsttums ist totalitär. Er stammt aus einem totalitären Zeitalter. Er wurde dem Papsttum auf dem Ersten Vatikanischen Konzil von 1870 zugesprochen und nie widerrufen. Der Satz «anathema sit», verflucht sei, wer diese Gewalt dem Papst abstreitet, gilt unwiderrufen und nicht relativiert.
Im Gegenteil: In Gestalt des Dogmenfundamentalismus, des Codex des Kirchenrechts, sowie der päpstlichen Kurienapparats erscheint der biblische «Felsen Petri» – 50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil – als der unüberwindliche Granitsockel des Papsttums. Dieses Kirchensystem repräsentiert eben nicht bloss die eine gnadenvolle Heilsanstalt, sondern auch ein gnadenloses Machtgefüge. Wer das nicht sieht, gibt sich Illusionen hin.
Säkularität als Zeichen der Zeit
Hermann Häring, ehemals Student bei Josef Ratzinger und später Professor an der Universität Nijmegen, sagte jüngst, nach Ablauf des Modells Volkskirche werde die Kirche eine gesellschaftliche und eine innerkirchliche Doppelfunktion haben. Sie werde einerseits gesellschaftsstabilisierende Funktionen wahrnehmen können: Zu Festzeiten oder Trauerzeiten die Bevölkerung zu ihren lebens- und trostspendenden Riten einladen. Sie werde soziale und karitative Aufgaben erfüllen.
Aufgrund des priesterlichen Sakramenten-Monopols breche aber die traditionelle Seelsorge zusammen. Es entstünden andererseits Basisgemeinden, das heisst offene, wache und sehr kritisch theologisch reflektierende Gruppierungen, die mit grossem Selbstbewusstsein postulieren: Wir sind Glieder dieser Kirche, egal, was Papst und Bischöfe da oben sagen.
Eine solche plurale Kirche der vielen kirchlichen und ökumenischen Basisgemeinden ist schlicht nicht mehr vom Vatikan aus steuerbar. Bereits die befreiungstheologischen Basisgemeinden in Lateinamerika sind dem Vatikan aus dem Ruder gelaufen, zur einer Zeit, als Joseph Ratzinger Präfekt der Glaubenskongregation war.
Wenn ein künftiger Papst diese Entwicklung als «Zeichen der Zeit» erkennt, kann er das Seinige tun, um den systemischen Autismus des Papsttums aufzubrechen und den Weg freizugeben für vielfältige, örtliche und regionale Lösungen, für das Mitsprechen und Mitwirken der Kirchenbasis, in ihren verschiedenen Charismen.
Das ist seine Chance. Ob der Papst sie ergreift, bleibt offen. Der Kirche wäre es zu wünschen.

Siehe auch «Ratzinger, Küng und das Elend der Theologie» vom 21.1.2013.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor hat in katholischer Theologie promoviert, war Journalist und Redaktor diverser Schweizer Print-Medien und betätigt sich seit der Pensionierung als freischaffender theologischer Autor. Er setzt auf seiner Homepage Leitmarken für einen jungen, christlichen Humanismus.

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