Kommentar

Der Spieler: Doping für die grauen Hirnzellen

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  «Set» gehört zu den Spielen, die bei Schulungen immer wieder eingesetzt werden. Dies auch, weil kein Thema den Zugang erschwert.

«Spielquadrat» ist ein Arbeitskreis von ein paar Frauen und Männern, für die Spiele mehr sind als nur Unterhaltung. Sie setzen Spiele ein, um Kreativität zu fördern, Konflikte zu lösen, um die Betroffenen besser in die Stadtplanung miteinzubeziehen oder Teams in Unternehmen weiterzuentwickeln. Die Gruppe trifft sich in der Regel einmal pro Jahr, um über Erfahrungen zu berichten und Ideen auszutauschen.

Bei einem dieser Treffen erzählte ein österreichischer Kreativitätstrainer, der zu den Gründern von «Spielquadrat» gehört, dass es ein im Handel erhältliches Spiel gebe, das er bei seiner Arbeit mit Managern immer wieder einsetze. Als Spielkritiker war ich logischerweise sehr gespannt, welches Spiel er wohl meinte. Keiner der Titel, die ich nannte, war richtig. Schliesslich zog er das kleine Kartenspiel «Set» aus dem Koffer. Ich kannte das, klar. Es war 1995 erstmals auf den Markt gekommen und hatte 2001 eine Neuauflage erlebt. Doch es zählt nicht zu meinen Lieblingen, da ich Konzentrations- und Kombinationsspiele nicht mag, bei denen man auf Zeit gegeneinander spielt. Was soll ich mich in meiner Freizeit unnötig stressen?

Abstrakte Symbole

Worum geht es in «Set», das jetzt seine dritte Veröffentlichung erlebt? Das Spiel besteht aus 81 verschiedenen Karten mit abstrakten Symbolen. Diese unterscheiden sich in mindestens einer der vier Eigenschaften Farbe, Anzahl, Form, Füllung. Zu Beginn werden 12 Karten in einem 3×4-Raster ausgelegt. Spielerinnen und Spieler müssen nun Sets aus drei Karten finden. Jede der vier Eigenschaften muss auf den drei Karten entweder dreimal genau gleich oder dreimal vollkommen unterschiedlich sein. Nach dem Startsignal bricht totale Hektik aus: Jeder will ein Set finden, bevor es ihm ein anderer vor der Nase wegschnappt. Hat jemand ein richtiges Set gefunden, wird die Auslage auf 12 Karten ergänzt. Sind alle 81 Karten ausgelegt worden, ist das Spiel zu Ende. Gewonnen hat, wer am meisten Sets eingesammelt hat.

Die «Set»-Regeln sind sehr einfach. Das Spiel ist schnell erklärt, der Einstieg leicht, der Ablauf logisch. Die Aufgabenstellung ist transparent, man braucht nicht lange Strategien oder Taktiken zu überlegen. So genannte «Fehler» wie in grossen Strategie- und Taktikspielen kann man auch nicht machen, höchstens vielleicht den, dass man zu langsam ist. Und das wiederum lässt sich mit diesem Spiel sogar wegtrainieren … Wer «Set» spielt, muss zuerst die Auslage überblicken, dabei die 12 auf dem Tisch liegenden Bilder «scannen» und schliesslich jene drei Karten herausfiltern, die ein Set bilden, und das alles unter enormem Zeitdruck. Gefragt sind da mehrere Fähigkeiten, so jene zur raschen Situationsanalyse und zum schnellen Kombinieren und Entscheiden. «Set» fordert diese Kompetenzen – und fördert sie gleichzeitig. Das ist mit ein Grund, weshalb es zu jenen Normalspielen gehört, die häufig bei Managementschulungen eingesetzt werden.

Kinderkram ist unbeliebt

Es gibt aber noch einen anderen Grund für diese Verwendung von «Set»: Es ist ein abstraktes Spiel. Seine Spielidee versteckt sich nicht hinter einem Thema oder einer Geschichte, was sehr oft eine hohe Einstiegshürde darstellt. Ich hatte einmal den Auftrag, für eine Gruppe von Angestellten einer Bank einen Spielabend durchzuführen. Nicht Unterhaltung war der Zweck, sondern in erster Linie Teambildung. Unter anderem hatte ich «Ave Caesar» mitgebracht, ein Brettspiel zum Thema Wagenrennen im alten Rom. Ein hervorragendes Spiel, bei dem es vor allem darum geht, mit den knappen Ressourcen haushälterisch umzugehen. «Und das sollen wir spielen?», fragten die Banker, als ich das Spiel auspackte, das in ihren Augen nur Kinderkram war. Es brauchte viel Überzeugung, bis am Schluss alle feststellten, wie schwierig es war, Pferde und Wagen über die Runden zu bringen. Wäre die Herausforderung von «Ave Caesar» in ein abstraktes Spiel verpackt worden, hätten alle von Anfang problemlos mitgemacht. Der Lerneffekt wäre am Schluss der gleiche gewesen.

«Set» ist nicht mein Spiel, ich sage es offen. Ich ziehe es vor, beim Spielen in eine Geschichte abzutauchen. Aber ich verstehe sehr gut, dass «Nichtspieler» Mühe haben, in die Rolle von Zwergen, Drachen oder mittelalterlichen Steinmetzen zu schlüpfen, nur um irgendwelche unternehmerische Kompetenzen und Fähigkeiten zu trainieren. Deshalb bin ich froh, dass es Titel wie «Set» gibt, die ihr Potenzial ohne Umwege jedem öffnen, der sich zum Spielen an den Tisch setzt.

Übrigens: «Set» ist nicht als Spiel erfunden worden. Die Autorin Marsha J. Falco hatte in den 1970er Jahren an einem wissenschaftlichen Projekt gearbeitet. Dabei hat sie die Gesetzmässigkeiten von genetischen Strukturen mit Hilfe von Kärtchen und Symbolen dargestellt. Erst später kam sie auf die Idee, daraus ein Spiel zu entwickeln.

«Set». Such- und Sammelspiel mit Karten von Marsha J. Falco für 1 bis 8 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Verlag Amigo Spiel und Freizeit. Spieldauer 20 Minuten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung»

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