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Sind Leute, die für eine 13. AHV-Rente stimmen, «unanständig»? Kommentar von Simon Bärtschi, Chefredaktor der Berner Zeitung. © Bildschirmfoto bernerzeitung.ch

13. AHV-Rente: Journalisten beleidigen Leser

Marco Diener /  «Journalisten machen Politik», titelte Infosperber vor drei Tagen. Es ist noch schlimmer. Jetzt kommen auch noch Beleidigungen.

Journalisten von Blick und Tamedia führen sich in der Debatte um die 13. AHV-Rente seit Wochen auf, als wären sie Kampagnenleiter beim gegnerischen Komitee. Und sie versuchen, Mitleid mit Superverdienern zu erregen. Doch es geht noch übler. Chefredaktoren von Tamedia-Zeitungen haben begonnen, Gewerkschafter und Leser zu beleidigen.

Zum Beispiel Chefredaktor Simon Bärtschi in der Berner Zeitung.

In seinem Leitartikel schrieb der Chefredaktor, den Befürwortern der 13. AHV-Rente fehle es an Anstand: «Eine 13. Rente für Pensionierte zulasten der Jüngeren wäre unanständig

Wer der Initiative zustimme, der betreibe «eigenhändig Sabotage am populären Sozialwerk».

Bärtschi warf einem schönen Teil seiner Leser und Leserinnen vor, sie seien unfair: «Gefragt ist jetzt Fairness der älteren gegenüber der jüngeren Generation.»

Argumente lieferte der Chefredaktor kaum. Dafür stellte er Behauptungen auf. Etwa: «Der Mehrheit aller Pensionierten geht es materiell so gut wie nie zuvor, auch weil sie von einem ausgeklügelten Vorsorgesystem profitiert.» Dabei hatte die Berner Zeitung selber drei Wochen davor geschrieben: «Versicherte, die vor zehn oder zwanzig Jahren in Rente gingen, haben deutlich höhere Pensionskassenrenten als die jüngste Rentnergeneration.» Und es sei davon auszugehen, «dass sich die Situation weiter verschlechtern wird und ein heute 55-Jähriger in zehn Jahren nochmals weniger Rente aus der 2. Säule erhält.» Da fragt man sich: Liest der Chefredaktor seine eigene Zeitung nicht?

Oder Chefredaktorin Raphaela Birrer im Tages-Anzeiger und im Bund.

Tages-Anzeiger-Chefredaktorin Raphaela Birrer schlug in ihrem Leitartikel, den auch der Berner Bund abdruckte, einen ähnlichen Ton an. Die Befürworter der 13. Rente bezeichnete sie als Egoisten. Sie forderte: «Eine andere Denkhaltung in Politik und Gesellschaft: weg von Ideologie und egoistischer Perspektive

Sie bezeichnete das Anliegen der Gewerkschaften, den heutigen und den künftigen Pensionierten eine 13. Rente auszurichten, als «populistische Initiative». Und sie forderte von ihren Lesern: Ein «Nein zu diesem kurzsichtigen Populismus».

Den Gewerkschaften warf sie vor, für sie sei «die ungesicherte Finanzierung der Initiative ein lästiges Argument, sie lächeln es mit Nonchalance weg». Und dann: «Das ist verantwortungslos

Auch der Leitartikel der Tages-Anzeiger-Chefredaktorin ist arm an Argumenten. Birrer liefert dafür Behauptungen. Wie diese: «Wir können uns diesen pauschalen Rentenausbau nicht leisten.» Oder: Es sei eine beliebte, «aber zu teure Initiative».

Keine Entschuldigung – und Demokratie nach Tages-Anzeiger-Art

Tages-Anzeiger-Chefredaktorin Raphaela Birrer sah sich einen Tag nach Erscheinen ihres Leitartikels veranlasst, einen Kommentar «In eigener Sache» zu verfassen. Denn der Leitartikel hatte weit über 1000 Kommentare provoziert. Viele Leser und Leserinnen hatten sich über die Beleidigungen im Leitartikel beklagt. Aber Birrer konnte sich nicht zu einer Entschuldigung durchringen.

Stattdessen erklärte sie ausführlich, wie der Tages-Anzeiger zur ablehnenden Haltung in Sachen 13. AHV-Rente gekommen sei. Vor allen eidgenössischen Abstimmungen führe die Redaktion eine Konferenz durch. Dabei gelange sie zu einer befürwortenden oder zu einer ablehnenden Haltung. Birrer spricht von «einem demokratischen Verfahren». Sie schreibt aber auch: «In diesem Prozess hat die Chefredaktorin ein Vetorecht.» Das heisst: Entweder passt der Chefredaktorin der Entscheid der Redaktion. Oder sie kippt ihn. Oder anders gesagt: Eigentlich entscheidet sie alleine.

Und auch Wirtschaftsredaktor Hansueli Schöchli in der NZZ.

In seinem Kommentar schrieb NZZ-Wirtschaftsredaktor Hansueli Schöchli zwar ganz allgemein: «Ehrlichkeit gewinnt in der Schweiz keine Abstimmungen und Wahlen. Wer in politischen Kämpfen bestehen will, muss sein Gewissen beim Eingang abgeben. Etwa dies ist die vorherrschende Denkhaltung auf der nationalen Politikbühne, wie sich aus dem Verhalten vieler Akteure ableiten lässt.» Wobei er keinen Zweifel daran lässt, dass er mit den «vielen Akteuren» die Grünen meint. Und zwar ausschliesslich die Grünen.

Von denen dürfte es unter den Lesern der NZZ auch ein paar geben. Aber das hält ihn nicht davon ab, mit seinen Beleidigungen weiterzufahren: «Bei Debatten um die Altersvorsorge haben Heucheleien Hochkonjunktur.» Nur weil sich Schöchli nicht vorstellen kann, dass sich die 13. AHV-Rente ohne Weiteres solide finanzieren lässt: über Lohnabzüge, über die Mehrwertsteuer oder über eine Mikrosteuer für Finanztransaktionen.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Senioren Paar.monkeybusiness.Depositphotos

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Die Bundesverfassung schreibt vor, dass die AHV- und IV-Renten den Existenzbedarf angemessen decken müssen.

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9 Meinungen

  • am 23.02.2024 um 11:34 Uhr
    Permalink

    Erstaunlich sind die Meinungen aus der Chefredaktion von BZ und Tages-Anzeiger eigentlich nicht. Zum einen verdienen Raphaela Birrer wie Simon Bärtschi weit über 100’000 Franken pro Jahr, also so gut, dass bei Annahme der Initiative womöglich mit höheren Lohnabzügen zugunsten des AHV.-Topfs rechnen müssen. Aus sozialliberalen Haltung hätten sie die Initiative befürworten müssen, weil die AHV die einzige Institution der Schweiz ist, die auf sozialen Ausgleich setzt, ungleich den Krankenkassenprämien. Birrer wie Bärtschi fallen ihre Argumentation wohl leicht, denn beide stellen sich seit Jahr und Tag stramm hinter den Supino-Verlger, der auf Shareholder-Value setzt, dafür die Redaktion zurückfährt und die in den Zeitungen fehlenden Inserate mit anderem, wie Ricardo, Jobs.ch Auto Scout24, home.ch, Homegate , Immostreet, tutti.ch, Goldbach und T-Store-Onlineshop hohe Profite einfährt. Dank ihrer bedingungslose Solidarität mit Supino erhalten sie das hohen Gehalt. Geld regiert die Welt.

  • am 23.02.2024 um 12:35 Uhr
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    Auch aus dem Tagesanzeiger am 21.2.24 die Feststellung, dass
    – eine hohe Stimmbeteiligung diesmal schlecht sei und
    – die Befürworter ungebildet seien – oder dumm:

    Titel: Hohe Stimmbeteiligung spielt Initianten in die Hände
    Anreisser: Bei der 13. AHV-Rente könnten die Stimmberechtigten, die nur über eine obligatorische Schulbildung verfügen, den Ausschlag geben.

  • am 23.02.2024 um 13:27 Uhr
    Permalink

    Jetzt aber ehrlich Infosperber. Diese angeblichen Beleidigungen sind ganz normale Wörter, die in jedem Artikel vorkommen. Ihr hört mehr als nur das Gras wachsen. Völlig übertrieben!

    • am 24.02.2024 um 00:44 Uhr
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      Nein, diesmal hat der Infosperber recht. Hoffentlich fliegt er weit und zieht seine Kreise über der ganzen Schweiz. Dafür wurde mir klar, dass sich ein Abo des Tagi oder der NZZ nicht lohnt.

  • am 23.02.2024 um 16:25 Uhr
    Permalink

    Ich gebe es zu : Unterstellungen sind unfair. Erlaube mir aber in einem Abstimmungskampf, in welchem Zeitungsredaktionen mit unfairen Argumenten nur so um sich werfen, Andersdenkende und anders Abstimmende unter der Gürtellinie attackieren und damit jeden Anstand vermissen lassen, meinerseits (ausnahmsweise) auch eine Unterstellung : Ich unterstelle den betreffenden Redaktoren, die sich zum Beispiel in den Tamedia-Blättern als enragierte Nein zu 13.AHV-Propagandisten betätigen, dass sie dies schlicht und ergreifend auf direkte Anweisung aus der Chefetage der Verlegerschaft tun. Ganz nach der Devise «Wes Brot ich ess, des Lied ich sing». Unredlich, aber angesichts des wirtschaftlichen Drucks, unter welchem sich die Schreiberzunft gegenwärtig leidet irgendwie verständlich.

  • am 23.02.2024 um 21:39 Uhr
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    Journalisten mögen bitte kommentare für sich behalten und ihre energie in eine ausgewogene berichterstattung stecken

  • am 24.02.2024 um 07:58 Uhr
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    Niemand wird gezwungen, die Medien, die ihm nicht passen, mit einem Abo zu belohnen.

  • am 24.02.2024 um 10:59 Uhr
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    Diese Parteinahme kennen wir doch schon aus der Corona-Zeit. Wer dahinter steckte, ist allen bekannt. Damals waren es die Impfbefürworter vs Impfgegner und mit dem Zertifikat war die Polarisierung der Bevölkerung vollends. Dieselben Medien spielen jetzt die Jungen gegen die Alten aus und lassen sich vor den Karren der Wirtschaftsverbände spannen. Und dafür zahlen wir immer teurer werdende Abo‘s.

  • am 25.02.2024 um 20:31 Uhr
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    Herr Bärtschi, Frau Birrer, Herr Schöchli und alle KollegInnen der Schreibzunft: in welcher ideologischen Ecke stehen oder sitzen Sie denn, dass Sie sich aufschwingen, Ihre Leserschaft und grosse Teile der Gesellschaft zu beleidigen, für dumm und ungebildet abzustempeln und als unanständige, unverantwortliche Menschen zu diffamieren?? Haben Ihnen die Brötchengeber das eingeflüstert oder haben Sie eine eigene Meinung, die Sie mit Argumenten belegen könnten?
    Möglicherweise haben Sie bei einer Propagandafirma für den Geldadel angeheuert und haben es noch nicht realisiert.
    Journalismus geht etwas anders! Wundern Sie sich also nicht über sinkende Saläre oder Jobverlust.
    Holen Sie Ihren Verstand wieder an der Garderobe ab.

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