Farrow_Weinstein1

Autor Ronan Farrow und beschriebener Sex-Täter Harvey Weinstein © gk

Ein wahrer Krimi um Sex-Täter, ihre Macht und Machenschaften

Niklaus Ramseyer /  Ein Buch zeigt auf, warum mächtige Sex-Gewalttäter oft lange ungestraft bleiben. Eine spannende und erschreckende Lektüre.

In der «Virus-Auszeit» wieder mal ein paar Bücher lesen. «Catch and Kill» von Ronan Farrow zum Beispiel (2019 by Fleet GB). Darin erzählt der inzwischen weltbekannte US-Journalist auf über 450 Seiten, wie er den Film-Mogul und notorischen Frauenbelästiger Harvey Weinstein entlarvt hat. Der ist inzwischen festgenommen, schuldig gesprochen und zu 23 Jahren Haft verurteilt worden.

Der englische Titel des Buches «Catch and Kill» ist leicht irreführend: «Fangen und totschlagen» meint nicht etwa, dass dies Weinsteins Opfern geschehen sei. Oder dass man so gegen Unholde wie Weinstein – auf Schweizerdeutsch sogenannte Grüsel – vorgehen sollte. Gemeint ist vielmehr, dass die mächtigen und reichen Sex-Gewalttäter mit Hilfe nicht minder schmieriger Anwälte, Detektive und Medienleute systematisch Enthüllungen über ihre Übeltaten abfangen, niederschlagen und «beerdigen».

Opfer bedrohen, kaufen, zum Schweigen bringen

Darum geht es in dem Buch vor allem. Es geht um Weinsteins perfides Netzwerk und die Abwehrmauern, gegen die Farrow seine Recherchen als Fernsehreporter beim Sender NBC durchkämpfen musste. Der Titel der deutschen Übersetzung «Durchbruch» ist darum mindestens so treffend, wie der originale: Weinsteins Festnahme war in der Tat ein Durchbruch – durch eine Mauer der Vertuschung.

Dabei hatte der Sohn der renommierten Schauspielerin Mia Farrow und des weltbekannten Regisseurs Woody Allen ursprünglich nur mal eine solide recherchierte Reportage über sexuelle Gewalt und übergriffige Machtausübung in der Filmszene Hollywoods geplant. Zusammen mit seinem Kollegen beim Sender NBC, Rich McHugh. Arbeitstitel: «Die düstere Seite Hollywoods». Doch in allen Gesprächen mit Schauspielerinnen, Regisseurinnen, Produzentinnen oder Drehbuchautorinnen fiel ein Name immer wieder: Harvey Weinstein. Und etwas fiel den beiden Medienleuten auch sofort auf: Eine allgegenwärtige Angst. Angst der Opfer, der Zeuginnen und auch jener Medienleute, die zuvor schon versucht hatten, Licht in die düstere Angelegenheit zu bringen. Einer dieser Verängstigten warnte Farrow allen Ernstes: «Beschaff dir eine Pistole!»

Israelische Agenten vor dem Haus des TV-Reporters

Der bedrohliche Machtapparat des reichen Gewalttäters ging effektiv auch gegen Ronan Farrow selber vor: Plötzlich stand permanent ein Auto mit zwei dubiosen Figuren drin vor seinem Haus. Es waren ehemalige Geheimdienstler aus Russland. Sie arbeiteten nun aber für Weinstein im Auftrag einer Firma namens Black Cube, die zwischenzeitlich vor allem aus «privatisierten» israelischen Mossad-Agenten besteht.

Noch hinterhältiger das System «Catch and Kill». Und das geht so: Korrupte und pervertierte Zeitschriften, wie hier konkret das wöchentliche US-Boulevardblatt «The National Enquirer», machen sich scheinheilig an Opfer reicher Sex-Gewalttäter heran, schmeicheln sich bei ihnen ein – und sichern sich die Exklusivrechte an ihrer traurigen Geschichte. Dies jedoch nur, um diese dann im Auftrag des Täters (und von diesem gekauft) gar nie zu publizieren, sondern zu vertuschen – «totzuschlagen» eben. Der Chefredaktor des Enquirer, der Australier Dylan Howard, war mit Weinstein befreundet – wie auch mit Donald Trump.

Stillschweigen der Opfer «gekauft» – und auch den Staatsanwalt

Tiefpunkt dieser Machenschaften des 300 Millionen reichen (aber wie das Buch enthüllt, ohne medizinische Hilfe impotenten) Weinstein: 2015 (Jahre, bevor Ronan Farrow den Unhold dann endlich zur Strecke bringen konnte) war Ambra Battilana Gutierrez, ein Model aus Italien, nach einem Treffen mit Weinstein in dessen Büro direkt zur Polizei in New York gegangen und hatte ihn wegen einem rüden, sexuellen Angriff auf sie angezeigt. Die Polizei rüstete Gutierrez für ein weiteres Treffen mit einem Aufnahmegerät aus. In der Aufzeichnung ist klar ein neuerlicher Übergriff Weinsteins vor der Türe seines Hotelzimmers auf die Frau zu hören. Und er sagt: «I am used to this.» Ich bin mich das gewohnt. Die Polizei nahm den Übeltäter sofort fest.

Und alle Beweise waren eigentlich da. Doch der Staatsanwalt, Cyrus Vance, stellte das Verfahren schnell wieder ein. Farrow hält fest, dass Weinsteins Anwälte später teils Zehntausende von Dollars für die Kampagne dieses Mannes zur Wiederwahl als Staatsanwalt gespendet hatten. Zudem waren plötzlich die inkriminierenden Tonaufzeichnungen aus den Akten verschwunden. Die 22-jährige Frau war ob dieser Vorgänge über die gerichtliche Misshandlung, die sie nun auch noch hatte erleiden müssen, derart erschüttert, dass sie am 20. April 2015 gegen Zahlung einer Million Dollar ein 18 Seiten dickes Stillschweige-Abkommen über diesen Fall unterschrieb.

Von einer «engagierten» Opfer-Anwältin verraten, von den eigenen Vorgesetzten belogen und behindert

Doch Gutierrez hatte auf einem alten Computer ein Backup des Tondokuments aufbewahrt – wie auch eine Kopie des Knebelvertrags mit ihrer Unterschrift und jener von Weinstein. Diese Belege und die Aussagen weiterer Opfer vor ihrer Kamera, deren Schweigen teils auch mit bis zu 100 000 Dollars durch Weinstein erkauft worden war, hatten Farrow und McHugh Mitte 2017 schon «wasserdicht» beisammen. Auch die Anwälte des Senders NBC meinten, die Geschichte könne publiziert werden. Es wäre eine Sensation geworden.

Doch plötzlich bremsten die direkten Vorgesetzten der beiden Investigativ-Journalisten: Die Sache sei «heikel» und «noch nicht bereit», behaupteten die NBC-Bosse Richard Greenberg, Noah Oppenheim und Andy Lack. Schliesslich verboten sie die Weiterarbeit an den TV-Enthüllungen über Weinstein kurzerhand ohne klaren Grund. Das kam McHugh und Farrow sehr seltsam vor.

Kurz zuvor hatte Farrow allerdings Kontakt gehabt mit einer Anwältin namens Lisa Bloom, der Farrow in seinem Buch nun ein eigenes Kapitel widmet. Sie hatte sich quer durch die USA einen Namen als Verteidigerin von Missbrauchsopfern gemacht und sich damit in TV-Shows profiliert. Farrow fragte sie, wie er die Opfer Weinsteins vor diesem schützen könne. Dies erst, nachdem Lisa Bloom ihm mehrmals hoch und heilig Verschwiegenheit zum Schutz der geschädigten Frauen zugesichert hatte. Später fanden er und McHugh heraus, dass die erbärmliche Advokatin postwendend Weinstein informiert hatte. Sie gehörte zu dessen gut bezahltem Anwälte-Team.

Weinstein hatte nach Blooms Vertrauensbruch dann auch sofort bei Farrows und McHughs NBC-Vorgesetzten, Greenberg und Oppenheim, interveniert, um die Publikation der umfangreichen und sehr soliden Recherche zu verhindern. Erfolgreich, wie sich zeigen sollte. Farrow und McHugh führten die Arbeit im Geheimen dann doch noch etwas weiter. Doch im August 2017 verliess Farrow NBC entnervt. Und am 10. Oktober 2017 publizierte er die sensationelle Geschichte über Weinstein in «The New Yorker».

Wenn der Film-Unflat die Fernseh-Unflate in der Hand hat

Ronan Farrow hat 2018 für diese Publikation den Pulitzer-Preis gewonnen. Rich McHugh blieb noch bei NBC. Doch seine Vorgesetzten verboten ihm selbst nach dem Auffliegen des Weinstein-Skandals weiterhin seine umfangreichen Recherchen über diesen «Jahrhundert-Fall» zu publizieren. Hugh kündigte im Sommer 2018 verärgert.

Später fanden er und Farrow dann heraus: Nicht nur hatte Weinstein zu NBC beste Kontakte. Er hatte auch garstige Informationen: Bei diesem TV Sender waren seit 2012 mehrere belästigte Frauen mit ganz ähnlichen Knebelverträgen und Zahlungen zu Stillschweigen genötigt worden, wie dies auch Weinstein über Jahre hinweg praktizierte. Das wusste Weinstein und hatte sie in der Hand. Einige der Übeltäter wurden kurz nach der Publikation von «Catch and Kill» durch NBC entlassen.

Vor allem auch der bekannte Präsentator Matt Lauer, der Weinstein in puncto Rüdheit gegenüber Frauen kaum nachstand. Lack und Oppenheim jedoch, welche die Entlarvung Weinsteins verhindert hatten, behaupten weiterhin, die Weinstein-Geschichte sei leider «zu wenig gut» gewesen. Dazu sagt McHugh in «Vanity Fair» (11. Okt. 2019): «Die beiden haben uns und die Öffentlichkeit und die NBC-Belegschaft immer nur belogen.» McHugh weiss heute: Derlei windiger Vorgesetzter wegen hatte das System «Catch and Kill» auch den renommierten Sender NBC korrumpieren können.

Querverbindungen zum Fall Woody Allen

Diese ganze verästelte Geschichte hinter und rund um den Weinstein-Skandal liest sich wie ein raffinierter Krimi. Nur dass da alles auf Fakten basiert. Und es gibt interessante Querverbindungen. Zum Fall Woody Allen etwa: Der Autor Ronan Farrow ist dessen Sohn. Ronan und seine inzwischen erwachsene und verheiratete Schwester Dylan Farrow erheben seit Jahren schwere Anklagen gegen Allen, weil dieser die kleine Dylan damals im Alter von 7 Jahren sexuell belästigt haben soll. Farrow hält in seinem Buch fest, Allen habe teils dieselben Anwälte (z.B. Elkan Abramowitz) vorgeschickt, um sein innerfamiliäres Opfer Dylan zu diskreditieren: die gleichen Anwälte, die dann später auch für Weinstein und gegen dessen Opfer arbeiteten.

Weinstein, der Woody Allen natürlich kannte, habe diesen während Farrows Recherchen angerufen, um ihn zu fragen, wie er es gemacht habe, dass er davon gekommen sei. Allen habe ihn jedoch kurz abgeputzt. Die hinterhältige Anwältin Lisa Bloom hatte sich bei Farrow derweil mit der Beteuerung eingeschlichen, auch sie sei «überzeugt von der Glaubwürdigkeit» seiner angeblich («alleged») misshandelten Schwester Dylan. Woody Allen selber warnte im Zusammenhang mit dem Weinstein-Skandal öffentlich vor einer «Hexenjagd-Atmosphäre». Das ganze sei doch gar «nicht interessant».

Was Wunder auch: Wie nun Weinstein, so hatte zuvor auch Woody Allen mehr als zehn Anwälte und Privatdetektive losgeschickt, um nicht nur seine Tochter, sondern auch die New Yorker Ermittler und die Staatsanwaltschaft zu diskreditieren. Farrow betont: Nur um seine damals 7-jährige Schwester Dylan vor Allens «Kampagne» zu schützen, habe Staatsanwalt Frank Maco 1992 auf einen Prozess gegen Woody Allan verzichtet. Und nicht aus «Mangel an Beweisen», wie immer wieder behauptet wird. Maco selber sagt: Er hätte «genügend Hinweise» für einen Prozess gehabt («probable cause»). In einem weiteren, von Allen selber angestrebten Verfahren um das Sorgerecht für die Kinder, erlitt dieser 1993 eine vernichtende («scathing») Niederlage unter Kostenfolgen von über einer Million Dollars. Das Gericht in New York hielt damals fest: Man müsse «Massnahmen treffen, um das kleine Mädchen vor ihm zu schützen». Mia Farrow hatte ihren Hausangestellten lange vorher schon eingebläut, die kleine Dylan nie mit Woody Allen allein zu lassen. Das Gericht verbot diesem am 7. Juni 1993 jeglichen unüberwachten Kontakt mit Farrows Kindern.

Doch Allen hat sich im Hause Farrow heimlich und teils unter einem Decknamen (Mr. Simon) gleich noch an eine zweite, um Jahrzehnte jüngere (Adoptiv)-Schwester Ronans, Soon-Yi Farrow-Previn (die inzwischen mit dem prominenten Filmemacher sogar verheiratet ist), heran- und von ihr Pornofotos gemacht. Das Gericht vermerkte auch hier sehr negativ: Das Findelkind Soon-Yi aus Südkorea sei damals doch «naiv, sozial unerfahren und verletzlich» gewesen. Allen jedoch zeige «keine Einsicht, dass sein Verhalten falsch sein könnte». Das steht alles in dem 33 Seiten starken Gerichtsbeschluss von 7. Juni 1993.

Diesen Gerichtsbeschluss sollten jene (meist männlichen) Medienleute mal lesen, die immer noch meinen, sie müssten Woody Allen verteidigen: So etwa neulich im «Bund» (12. 3. 2020) oder in der «NZZ am Sonntag» (15. 3. 2020) oder im «Spiegel» ( 28. 3. 2020). Das Dokument hält klar fest: Nicht die junge Frau Dylan Farrow sei unglaubwürdig und unzuverlässig, sondern ganz im Gegenteil der alte Mann Woody Allen.

Weinsteins präsidiale Freunde und Trumps geheime Geliebte

Doch wie Allen, so hatte auch Weinstein lange Zeit gute Freunde in den Medien. Und in der Politik: Er war ein guter Bekannter, grosszügiger Spender und Fund-Raiser für die Wahlkampagnen von Hillary Clinton. Auch Ronan Farrow kannte die Präsidentengattin und ehemalige US-Aussenministerin gut. Er hatte zu ihrer Zeit im US-State Department gearbeitet. Nachdem allerdings die Anwältin Lisa Bloom Ronan Farrow an Weinstein verraten hatte, wollte auch Clinton plötzlich den freischaffenden NBC-Reporter kaum mehr kennen. Einer von Clintons Mitarbeitern hatte ihn zuvor indirekt gewarnt, seine Recherche zu Weinstein mache «uns Sorgen».

Weinstein setzte zudem unter anderem zweifelhafte Privatermittler, wie etwa einen Jack Palladino, zwecks Erforschung seines Privatlebens auf Farrow an, die schon 1992 für Bill Clinton gearbeitet hatten: Damals sollten ehemalige Geliebte des späteren Präsidenten aufgespürt und «diskreditiert» werden, jetzt Ronan Farrow. Auf Weinsteins Seite stand auch Lanny Davis im Einsatz, ein enger Freund von Bill und Hillary Clinton seit ihrer Zeit an der Rechts-Fakultät der Yale-University. 2016 hatte sich Weinstein vor den Präsidentschaftswahlen noch im Clinton-Team engagiert – vor allem gegen Clintons internen Konkurrenten bei den Demokraten, Bernie Sanders. Während Farrows und McHughs Recherche schlug Weinstein den obersten NBC-Bossen plötzlich vor, er könnte für den TV-Sender doch einen Dokumentarfilm oder eine ganze Serie über seine gute Bekannte Hillary Clinton machen.

Auch der derzeitige US-Präsident Donald Trump wird in «Durchbruch» mehrmals erwähnt (Und auch dabei taucht plötzlich wieder die schäbige Anwältin Lisa Bloom auf). So waren Berichte über eine seiner heimlichen Geliebten oder gar über ein heimliches, uneheliches Kind («love child») Tumps offenbar ebenfalls durch den «Enquirer» und dessen Umfeld «exklusiv» aufgekauft – und dann gleich verheimlicht worden: «Catch and Kill». Der englische Untertitel lautet denn auch: «Lies, Spies and a Conspiracy to Protect Predators» (Lügen, Spione und eine Verschwörung zum Schutz von Gewalttätern). Für die deutsche Ausgabe: «Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen».

Ronan Farrow: «DURCHBRUCH; Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen. Rowohlt (2019), 520 Seiten, CHF 34.- / Zur Bestellung


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

Polizei1

Justiz, Polizei, Rechtsstaat

Wehret den Anfängen, denn funktionierende Rechtssysteme geraten immer wieder in Gefahr.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

Eine Meinung zu

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...