Kommentar

kontertext: Schräges Podium

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsMathias Knauer ist Musikwissenschafter, Publizist und Filmemacher. Er ist seit Jahren in der Kulturpolitik engagiert. Er ©

Mathias Knauer /  Die SRG lanciert eine dritte Musikplattform auf dem Internet.

Offiziell lanciert im Sommer 2019, Anfang Februar nun bei einem Konzert der Basel Sinfonietta mit Werken von Heinz Holliger und Klaus Huber feierlich eröffnet, bietet die SRG, nach mx3.ch für Pop und Rock vor zehn Jahren und – «in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Kultur» – einer Plattform für «Volksmusik», nun auch einen ähnlichen Service für alles Abwegige, nämlich die ganze übrige «zeitgenössische» Musik an. Die neue Domain neo.mx3 bietet nicht nur den Zugang zu Archivaufnahmen der Werke von Schweizer Komponisten, die von der SRG produziert worden sind (zu Zeiten, als ihre Musikabteilungen noch stolz darauf waren, mit ihren Produktionen Musikgeschichte zu schreiben), sondern auch und vor allem von Usern selbst eingereichte Schöpfungen; dazu Annoncen von Musikakteuren und Gruppen aller Art, überdies ein Blog sowie einen offenbar redaktionslosen, somit unvollständigen, die Umtriebigen fördernden Veranstaltungskalender.
Laut Eigenwerbung sollen auf neo.mx3.ch bereits zehntausend Stücke zur Verfügung stehen. Beim Suchen nach bestimmten Musikern oder Komponisten entpuppt sich das Angebot indessen als seltsam lückenhaft. Von der legendären Urnäscher Streichmusik Alder bekommt man «0 Stücke» präsentiert, vom avantgardistischen Griechen Iannis Xenakis dagegen erfreulicherweise sieben. Die Gründe für diese Auswahl – von der SRG erwarte ich ja eine Selektionsleistung kompetenter Köpfe, die sich begründen liesse – werden uns auf der Website nicht erläutert.

Was sind die wahren Motive für diese SRG-Aktion?
Die Werbung sagt darüber:
«Mx3.ch heisst soviel wie ‹Musik mal 3› und ist eine Online-Plattform für Pop und Rock, die es seit zehn Jahren gibt. … Neo.mx3 ist nun die neue Plattform für die schrägen Klänge. Ein Online-Marktplatz, auf dem sich all die verschiedenen Lebewesen aus der bunten Welt der neuen Musik treffen, präsentieren und vernetzen können.»

Das Sprengsel verrät den infantilen Stil anderer Websites, mit denen derzeit ausprobiert wird, wie man sich beim Jugendlichen anbiedert.
«Wenn wir dir sagen, du sollst an eine Musikplattform denken, welche kommt dir in den Sinn? Vermutlich Spotify oder iTunes, gell? Aber hast du gewusst, dass die SRG auch drei Musikplattformen mit über 100’000 Schweizer Songs und Videos betreibt?»

Im Spannungsfeld von GAFA und No-Billag-Propaganda
Ein fairer Online-Marktplatz als Service public: das wäre ja schön und gut – Traum einer Alternative zu Streaming-Diensten wie iTunes, die mit den zu melkenden Künstlern nur über intermediäre Agenturen verhandeln und die Urheber miserabel entschädigen.
Zu fragen wäre nach der Leistung, die die SRG mit dem Projekt für das Schweizer Musikleben erbringt, und ob Radio und Fernsehen nach dem jahrelangen Abbau ihrer Beiträge zu unserem Kulturschaffen – nach der Liquidation von Orchestern, dem Abschaffen von Kompositionsaufträgen, nach dem völligen Kappen der eigenen Musikproduktion und dem Verschwinden der Fachkräfte – hier wieder eine Neuerung kreieren, die man als Kulturleistung betrachten dürfte, nicht als eine PR-Aktion, als Abschieben anspruchsvoller Musiksendungen ins Internet, gar als Verlagern des Kulturbudgets: von der eigenen Kreation und der Kooperation mit den besten künstlerischen Kräften des Landes in den Sumpf des User generated content.

Die begleitenden Texte, die auf dieser Webplattform zu finden sind, lassen einen über die kulturpolitische Ratio des Unterfangens rätseln: Wie, zum Beispiel, werden die Musiker oder Urheberinnen, deren Arbeiten hier angeboten werden, entschädigt und finden hier neue Einkünfte? Welche Strategie wird bei der Öffnung der Archive verfolgt, wer wählt aus? Welche (rechtlichen oder wirtschaftlichen) Hemmnisse stehen einer freien Auswahl entgegen? Welcher Beirat hat hier Pate gestanden?
Aber auch: Welche Tonqualität erlaubt und garantiert das System für die Übertragung? Wird die dynamische Integrität der Originale gewahrt? Letztere Fragen werden im Kontext der generellen Verwilderung der Sitten im Radiobereich mehr und mehr zu kulturpolitischen Schicksalsfragen, nachdem sogar gewisse «Klassik-Kanäle» auf DAB+ nicht einmal in CD-Qualität übermitteln und munter im Loudness War mitmischen.
Statt klare, die Fachwelt aufklärende Angaben finden wir in den «FAQ» dieser Seite blumige Sätze wie «Neo setzt alles daran, damit die Künstlerinnen und Künstler von ihren Kompositionen und Interpretationen bestens profitieren können.»
Gewiss muss man einem solchen Pionierunternehmen eine gewisse Zeit geben, um Anfangsprobleme auszubessern. Das Schema liegt mit dem Portal mx3.ch indessen seit schon einigen Jahren vor, und so sollte man der hier neu agierenden Musik-Equipe zutrauen dürfen, ein Menucocktail wie – Auswahl zu «Stil»! – «Composition / Interdisciplinary / Moderne Musik / Volksmusik / Improvisation» als unzumutbar zurückzuweisen.
Ob dieses Portal den nationalen Austausch fördern wird, wie es beabsichtigt, wird sich zeigen. Wenn im neuen «Blog» (im Unterschied zum Vorbild mx3.ch) von 26 Beiträgen nur zwei auf französisch erscheinen, alle hingegen «en anglais américain» übersetzt sind, spricht das nicht gerade für einen beherzten Versuch, den künstlerischen Dialog zwischen unseren Sparten und Regionen zu animieren. Diese Dialogrubrik könnte ja, würde sie von Autorinnen und Autoren mit gutem Honorar und auf hohem Niveau geführt, zumindest ein kleiner Ersatz für die von unserer famosen Kulturpolitik versaubeutelte Zeitschrift dissonance werden.
Zu den Fragwürdigkeiten dieses SRG-Portals gehört auch die an anderer Stelle beschriebene Problematik, dass der Besucher gezwungen wird, sich von Google und Konsorten auskundschaften zu lassen, und dass der zu Grunde liegende Code aufgeblasen, somit unökologisch ist (es werden für eine Seite z. B. in 55 Anfragen 3,1 MB Ressourcen geladen). Dies und weitere konzeptionelle und gestalterische Probleme wären noch zu lösen, bevor das Angebot als ernstzunehmender Mitspieler im Feld der Künste goutierbar werden kann.

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    Mathias Knauer ist Musikwissenschafter, Publizist und Filmemacher. Er ist seit Jahren in der Kulturpolitik engagiert. Er war Mitbegründer der Filmcooperative und des Filmkollektivs Zürich. Als Mitglied des Verbands Filmregie und Drehbuch Schweiz war er an der Ausarbeitung des «Pacte de l'audiovisuel» und anderer filmpolitischer Instrumente beteiligt. Er ist Vizepräsident von Suisseculture und Mitbegründer der Schweizer Koalition für die kulturelle Vielfalt, in deren Vorständen er u.a. das Dossier Medienpolitik betreut.

      Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder.

    Zum Infosperber-Dossier:

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