Kommentar

Sprachlust: Arabellion «ersetzt» Mohammedanismus

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Keine Bibel: Ob ein Wort im neuen Duden steht oder nicht, entscheidet nicht über seine Existenz. Das Buch folgt dem Sprachgebrauch.

Adrema, adremieren, Alwegbahn, antedatieren, Autocoat, beziehentlich, borgweise, Buschklepper, Diligence, Diskkamera, Dragonade, Füsillade, halbschürig, Makartbouquet, Makartbukett, Manggetreide, Mistigkeit, Mohammedanismus, Moskowitertum, münzmäßig, Plattei, schnadern, Schnatz, Stickhusten, Suszeptibilität, Swedenborgianer, Swedenborgianerin, Talkerde, Telekrat, Traftenführer, vetterlich, Werdaruf.
Wer alle diese Wörter kennt, ist vermutlich ein wandelnder Duden, muss jetzt aber umlernen: Sie wurden aus der Anfang Juli erschienenen Neuauflage des Wörterbuch-Bands 1 (Rechtschreibung) gelöscht. Erstaunlicher als diese Tatsache ist der Umstand, dass diese 32 Wörter nach Mitteilung des Verlags auch schon alle sind, die bei der Redaktion keine Gnade mehr gefunden haben*. Umgekehrt sind gegenüber der Auflage 2009 rund 5000 Wörter dazugekommen, und bereits damals hatte es ebenso viele Neueinträge gegeben.
Was es alles gibt
Nun ist es aber nicht so, dass es die gestrichenen Wörter nicht mehr «gibt» – ausser für Scrabble-Spieler, die sich an die Regel halten, nur Duden-Einträge zu verwenden. Ebenso wenig «gibt» es nur jene 140’000 Wörter, die das Standardwerk jetzt umfasst. Etwa 9 Millionen verschiedene Wörter (Grundformen) stehen im Duden-Korpus – der Datenbank von elektronisch erfassten Texten, auf die sich die Duden-Redaktion stützt. Es umfasst Bücher, Zeitungen und Zeitschriften ab 1995 und ist mittlerweile auf mehr als zwei Milliarden Wörter (inklusive Abwandlungen und Wiederholungen) angeschwollen. Darunter sind indessen viele, die nur vereinzelt auftauchen.
Gerade im Deutschen mit seiner Möglichkeit, Verbindungen zu bilden, ist eine schier unbegrenzte Anzahl von Wörtern möglich. Nur wenn ein Wort «häufig» und «breit gestreut» vorkommt, gelangt es ins Wörterbuch, und es darf auch «keine Eintagsfliege» sein, wie der Verlag erklärt. Er hat eine kleine Auswahl der Neuaufnahmen zusammengestellt. Darunter sind ein «Wort des Jahres» (Wutbürger) und ein «Anglizismus des Jahres» (Shitstorm). Auch anderes ist der Aktualität zu verdanken, so der journalistische Kalauer Arabellion – da sind Zweifel erlaubt, ob man das Wort in einigen Jahren noch «breit und häufig» antreffen wird, ausser in Geschichtsbetrachtungen. Aber dann kann es ja auch wieder aus dem Duden verschwinden, wie das den eingangs aufgeführten Wörtern passiert ist – mangels Verwendung.
Alkohol- und Liebesschloss
Neben vielen englischen Wörtern, die jetzt ebenfalls (Duden-)deutsch sind, hat auch die bundesdeutsche Politik in mancherlei Form Aufnahme gefunden (Gauck, hartzen, Kaltreserve). Andere Zugänge sind Kriminellen zu verdanken, so der Enkeltrick oder das Klaukind (kein gestohlenes, sondern eines, das zum Stehlen ausgesandt wird). Dagegen hilft kein Alkoholschloss, denn es sperrt nicht die Hausbar, sondern bei «Fahne» den Automotor, während das Liebesschloss an einem Brückengeländer hängt.
Was an Neuaufnahmen nicht in der Auswahlliste steht, muss man selber anhand der aktuellen und der vorherigen Auflage aufspüren. Ein kurioses Beispiel: Bisher lautete der umgangssprachliche Ausdruck für einen Reifen ohne Luft «der Platte», wie es die Ableitung vom Adjektiv «platt» nahelegt. Doch nun führt der Duden auch «der Platten» auf, samt Genitiv «des Plattens»; um eine Empfehlung, welche Form vorzuziehen sei, drückt er sich hier. Im «Variantenwörterbuch des Deutschen» (2004) steht nur «der Platten». Eine Korpus-Recherche zeigt, dass diese Form viermal häufiger ist als «der Platte». Das Duden-Korpus ist nicht öffentlich, wohl aber das – noch umfangreichere – des Instituts für Deutsche Sprache. Der hier dokumentierte allgemeine Sprachgebrauch hat, wie so oft, auch beim «Platten» über die Logik gesiegt.
*Auf erneute Anfrage hin hat sich die Presseabteilung des Verlags korrigiert: Es gebe noch weitere Streichungen; die Gesamtzahl könne sie nicht liefern, aber es seien «wohl rund um die 100».
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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