BildCO2AbscheideAnlageClimeworksHinwil

Aufwendig und teuer: Abscheideanlage in Hinwil (ZH) holt pro Jahr 900 Tonnen CO2 zurück © CW

Das «Netto» in der Schweizer Klimapolitik hängt in der Luft

Hanspeter Guggenbühl /  Um das Klimaziel «Netto Null» zu erfüllen, soll die Schweiz einen Viertel ihrer Treibhausgase aus der Luft herausfiltern. Wie denn?

Bevölkerung und Wirtschaft in der Schweiz pufften im Jahr 2019 noch rund 46 Millionen Tonnen Treibhausgase, gemessen in CO2-Äquivalent, in die Atmosphäre. Davon entfielen 37 Tonnen oder 80 Prozent auf CO2 (Kohlendioxid) selber, 20 Prozent auf Methan sowie einige weitere klimawirksame Gase. Seit 1990, also Innerhalb von 30 Jahren, hat die Schweiz ihre inländischen Treibhausgas-Emissionen damit um 14 Prozent reduziert.

In 30 Jahren auf null Treibhausgase

Bis zum Jahr 2050, also in weiteren 30 Jahren, sollen diese Treibhausgase «netto» auf null CO2-Äquivalent gesenkt werden, um den Klimavertrag von Paris aus dem Jahr 2015 zu erfüllen. Dieses Ziel legte der Bundesrat als Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative fest; sogar der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse erklärte Anfang Dezember, er unterstütze dieses – noch unverbindliche – Ziel.

Mit dem «Szenario Zero» zeigen nun die neusten, vor zwei Wochen veröffentlichten Energieperspektiven des Bundesamtes für Energie (BFE) einen Weg zu diesem Inlandziel. Der Zusatz «Inland» ist wichtig, denn die Emissionen, die Konsumierende und Produzierende in der Schweiz mit dem Flugverkehr und dem Importsaldo an «grauen» Treibhausgasen im Ausland verursachen und die bis zum Beginn der Corona-Epidemie stark zugenommen haben, werden ausgeklammert.

Drei Viertel vermeiden, ein Viertel zurückholen

Das Resultat dieses Null-Szenarios: Drei Viertel ihrer heutigen Emissionen soll die Schweiz im Jahr 2050 vermeiden. Dazu sollen Bevölkerung und Wirtschaft ihre Energieeffizienz steigern und von fossilen (Erdöl und Erdgas) auf erneuerbare Energie umsteigen, primär auf mit Sonne, Wind und Biomasse erzeugte Elektrizität. Darüber hat Infosperber unter dem Titel «Klimaziel erfordert radikale Wende unserer Energieversorgung» am 27. November berichtet.

Damit bleibt im Jahr 2050 «netto» noch ein Viertel der heute emittierten Menge an Treibhausgasen übrig, nämlich 12 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. Diese verbleibende Menge wollen die Verfasserinnen der «Energieperspektiven 2050» mit sogenannten «Negativemissionstechnologien» aus der Atmosphäre herausfiltern und in den Boden zurück verfrachten, also dorthin, woher sie – in Form von Kohle, Erdöl und Erdgas – ursprünglich stammten. Aber wie?

Aufforsten von Wäldern ist begrenzt

Wer «positive» und «negative» CO2-Emissionen auseinanderhalten will, muss bei der «Neutralität» anfangen. «Klimaneutral» ist eine Wirtschaft und Gesellschaft, solange sie sich mit erneuerbarer Energie und nachwachsender Biomasse begnügt. Denn Biomasse etwa in Form von Wald entzieht der Atmosphäre CO2, solange sie wächst, und sie liefert die gleiche CO2-Menge in die Atmosphäre zurück, wenn sie in Öfen oder Mägen verbrannt wird oder verrottet.

Die verbreitete Meinung, mit Aufforstung liessen sich die Treibhausgase deutlich vermindern, gilt damit nur bedingt und vorübergehend: Bedingt, weil der Zuwachs an Biomasse durch die verfügbare Fläche begrenzt ist, und nur dann, wenn der Zuwachs der Wälder gegenüber der Abholzung oder Brandrodung überwiegt. Zudem kann die Nutzung von Holz den Ausstoss von CO2 nur temporär verzögern, nämlich solange es, bevor es verbrennt oder verfault, in Form von Bauten oder Möbeln zwischengelagert wird. Endgültig «negativ» (respektiv positiv im Kampf gegen den Klimawandel>) werden die Emissionen aus Holz und andern Pflanzen erst, wenn das CO2, das bei ihrer Verbrennung oder Vergärung entsteht, abgefiltert, danach im Boden versenkt und dort ewig fluchtsicher gelagert wird.

Filtern von CO2-Emissionen an der Quelle …

Techniken zur Filterung von CO2 bestehen zwar schon seit Jahrzehnten unter dem Oberbegriff Carbon Capture and Storage (CSS), deutsch: CO2 abscheiden und lagern. Sie wurden vor allem entwickelt, um die hochkonzentrierten CO2-Emissionen aus Kohle- oder Gaskraftwerken zu neutralisieren. Doch bis heute wird CSS nur in einem Bruchteil aller fossilen Kraftwerke eingesetzt. Denn diese Technik rentiert erst, wenn der CO2-Ausstoss mittels Lenkungsabgaben oder handelbaren Kontingenten massiv verteuert wird.

Bei Öfen zur Verbrennung von Holz, Müll oder in der Biogasproduktion, wo die CO2-Abscheidung und Lagerung nicht nur eine Neutralisierung, sondern einen Rückgang der Treibhausgase bewirken würde, findet man CSS-Techniken erst in wenigen subventionierten Versuchsanlagen. Doch das soll sich ändern. «Insgesamt werden bis 2050 ein Grossteil der Kehrichtverwertungsanlagen und grössere Biomassekraftwerke sowie in der Industrie alle Zementwerke sowie grosse Chemie- und Stahlwerke mit CO2-Abscheideanlagen ausgestattet», prophezeien die Verfasserinnen der «Energieperspektiven 2015» voller Zuversicht.

… oder aus der Luft: Beides rentiert nicht

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, CO2 direkt aus der Luft und damit aus der Atmosphäre herauszufiltern und im Boden zu lagern. Doch dieses Verfahren mit dem englischen Kürzel DACCS ist noch weniger effizient (grosser Platz und Energiebedarf) und unrentabler, weil der CO2-Gehalt in der Umgebungsluft (0,04 Volumenprozent) viel geringer ist als im Kamin eines fossilen Kraftwerks.

Immerhin gibt es für das Abscheiden von CO2 aus der Aussenluft seit 2017 in der Schweiz eine Pilotanlage. Diese befindet sich in Hinwil im Kanton Zürich. Betrieben wird sie von der Firma Climeworks, einem Ableger der ETH-Zürich, und energetisch unterstützt von der Abwärme der benachbarten Kehrichtverbrennungs-Anlage. Pro Jahr kann diese Anlage 900 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre abscheiden. Das entspricht einem Anteil von 0,002 Prozent der jährlichen Treibhausgas-Emissionen der Schweiz, das heisst: Es bräuchte allein in der Schweiz mehr als 50’000 Anlagen wie jene in Hinwil, um alle inländischen Treibhausgase zu kompensieren.

Weltweit existieren laut einem neueren Bericht der IEA (Internationaler Energieagentur) derzeit 15 ähnliche Anlagen wie jene in Hinwil. Zusammen verfügen sie über eine Abscheidungskapazität von 9000 Tonnen CO2 pro Jahr. Damit können sie erst einen Vier-Millionstel Teil aller der Treibhausgase abscheiden, welche die Menschheit jährlich in die Atmosphäre ausstösst.

Die Kosten pro abgeschiedene Tonne CO2 belaufen sich bei der Anlage in Hinwil je nach Quelle auf 600 bis 1000 Franken. Zum Vergleich: Im europäischen Emissionshandel kostet eine in die Atmosphäre ausgestossene Tonne CO2 zurzeit etwa 25 Franken. Vertreter dieser Technik rechnen, dass sich die Kosten dieses Verfahrens dank Skaleneffekten auf 100 Franken pro Tonne CO2 senken lassen. Die Verminderung einer Tonne CO2 wäre damit immer noch viermal teurer als deren Produktion – oder Vermeidung.

Potenzial nur halb so gross wie Szenario-Ziel

Angesichts der hier aufgezeigten Grenzen und Kosten braucht es ziemlich viel Optimismus, um mit den Verfassern der neusten nationalen Energieperspektiven anzunehmen, die Schweiz könne ab 2050 jährlich 12 Millionen Tonnen CO2 abscheiden und fluchtsicher vergraben. An anderer Stelle teilte der Bundesrat diesen Optimismus offensichtlich nicht. Das zeigt ein ausführlicher und tiefgründiger Bericht über die Möglichkeiten und Grenzen von negativen CO2-Emissionen in der Schweizer Klimapolitik, mit dem die Landesregierung ein Postulat der grünen Parlamentarierin Adèle Thorens Goumaz beantwortete.

In diesem am im September 2020 veröffentlichten Bericht stützt sich der Bundesrat unter anderem auf eine Studie der Stiftung «Risiko-Dialog Schweiz». Dieser schätzt das «theoretische Gesamtpotenzial» aller «Negativemissionstechnologien» in der Schweiz auf 6 Millionen Tonnen CO2, also nur auf die Hälfte der Menge, welche die drei Monate später veröffentlichten Energieperspektiven des Bundes voraussetzen. Fraglich bleibt zudem , ob die Schweizer Klimapolitik dieses relativ kleine und teure «theoretische Potenzial» in der Praxis tatsächlich nutzen wird. Die Antwort folgt – spätestens Ende 2050.

Weitere Informationen zu diesem Thema auf Infosperber

– «Klimaziel erfordert radikale Wende unserer Energieversorgung»

– DOSSIER: Klimapolitik – kritisch hinterfragt

– DOSSIER: Emergiepolitik ohne neue Atomkraftwerke


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Zum Infosperber-Dossier:

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Die Klimapolitik kritisch hinterfragt

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5 Meinungen

  • am 12.12.2020 um 11:42 Uhr
    Permalink

    CO2 ist die Nahrung der Pflanzen, die im Wesentlichen aus umgewandeltem CO2 plus Wasser bestehen. Und Wasser-Dampf wäre noch das grössere «Treibhaus-Gas». Das Klima-Märchen war seinerzeit eine Erfindung der Atom-Wirtschaft. Für Details:
    https://www.eike-klima-energie.eu/2020/05/18/klima-und-scheinwissenschaft-teil-1/
    https://www.eike-klima-energie.eu/2020/05/19/klima-und-scheinwissenschaft-teil-2/
    https://www.eike-klima-energie.eu/2020/05/20/klima-und-scheinwissenschaft-teil-3/

  • am 12.12.2020 um 12:46 Uhr
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    Wenn es um Energie geht, scheint es zu guten Ton zu gehören, über Dinge umgekehrt propotional zu schreiben, je unsinniger die Lösungen sind. Um nicht das selbe zu tun hier ein Versuch in eine andere Richtung zu gehen. Primär ist unser Energieverbrauch zu entschwenden. Damit diese wirtschaftlich wird, braucht es eine Ressourcen-Lenkungsabgabe. Im Rahmen einer Entschwendungsstrategie ist es mit Sichwerheit am wirtschaftlichsten, möglichst mit Holz zu bauen und damit CO2 möglichst langfristig in Gebäuden zu speichern. Hilfreich ist auch Holz, als einheimische lagerbare Energie zur nutzen um gezielt Winterspitzenstrom zu produzieren. Dafür braucht es Energieholzwälder, die möglichst viel CO2 zu Holz umwandeln. Gemäss meinem Kenntnisstand tun dies Wälder ganz allgemein Bäume in den ersten 10 bis 20 Jahren ihres Lebens. Danach nimmt die CO2 Bildung tendenziel wieder ab. Dies lässt sich relativ leicht und mit wenig Aufwand umsetzen. Zudem helfen Bäume in der Stadt diese zu kühlen. Nur solte dann jeder Baum nicht gleich als Kulturdenkmal betrachtet werden, dass nicht mehr gefällt werden darf. Doch vermutlich sind diese banale Vorschläge zu banal, als dass sie eine Schlagzeile Wert sind.

  • Portrait_Marcel1
    am 12.12.2020 um 13:53 Uhr
    Permalink

    Mehr als ein Viertel der heutigen Emissionen müssten wir dem Szenario zufolge aus der Atmosphäre holen: Die Luftfahrtsemissionen sind da ja noch nicht eingerechnet.

  • am 12.12.2020 um 14:15 Uhr
    Permalink

    DIE Schweiz oder besser Kapitalstarke Schweizer u. Pensionsfonds könnten das einfach, durch Beteiligung an Projekten ausserhalb der Schweiz erreichen und fossile Energieträger mit den immer höheren ‹Externen Kosten› lassen.
    Die Abscheidung von CO2 aus dem Meerwasser mittels Photosynthese von sog. Mikroalgen ist 20-30 mal effektiver u. effizienter als bei Landpflanzen, die CO2 mühsamst aus der Luft gewinnen müssen, wie die Technik. Aus den Mikroalgen können dann synthetische Energieträger u. Futtermittel gewonnen werden. Das ist dann CO2 neutral. Wenn der CO2-Gehalt im Meer gesenkt wird, kann sich wieder mehr CO2 aus der Luft im Meerwasser lösen u. die Versauerung der Meere geht zurück.
    Diese Bioreaktoren können fast vollständig aus Kohlenstoff-Verbindungen produziert werden. Diese Kunststoffe werden wiederum aus Algen synthetisiert. So wird der Kohlenstoff aus dem CO2 gebunden u. ersetzt auch noch das fehlende O2 aus immer kleineren (Ur-)Wäldern.
    Das ist der vernünftigere Weg den CO2 Gehalt in der Luft zu senken, ohne CO2 auch noch irgendwie teuer abspeichern zu müssen.

    Wird das so küstenweit immer mehr in Massenproduktion gemacht, werden diese Energieträger ‹Makro-‹Ökonomisch immer günstiger, schon weil die beträchlichen Kollateralschäden u. Externen Kosten durch die Fossilen abnehmen. Dafür wären die Mittel Rhetorik/Populismus einzusetzen, als für mächtig Gewaltige u. die in deren Windschatten fahren.

  • Pingback: Die hässlichen Kehrseiten der vermeintlich sauberen Energie - infosperber,

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