
Kaum Interesse am Überwachungsprogramm Prism: die US-Medien
Edward Snowden, das Prism-Programm und die Medien
Die Enthüllung der systematischen Datenüberwachung durch die Geheimdienste legt auch Medienversagen offen.
Seit dem 6. Juni 2013 sind die brisanten Enthüllungen des Whistleblowers und ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden bekannt. Was vorher bestenfalls eine Vermutung war, ist zur Gewissheit geworden: Die US-Geheimdienste überwachen systematisch den gesamten Datenverkehr im Internet, speichern Millionen von Telefonverbindungsdaten - und laut «New York Times» allein 2012 gar insgesamt 160 Milliarden Absender- und Empfängeradressen bei Briefpostsendungen. «Wenn Wissen Macht ist», schrieb die «Zeit», «dann glaubt dies Supermacht USA offenbar, sich keine Wissenslücke leisten zu können».
Kein Tag vergeht, an dem nicht neue Details über das US-Überwachungsprogramm «Prism» ans Licht kommen: verwanzte Botschaften, abgehörte EU- und UN-Institutionen, angezapfte Glasfaserkabel, aber auch der vermutlich direkte Zugriff der Geheimdienste auf Facebook, Google und alle anderen Datenspuren, die wir als Internet-User unaufhörlich produzieren.
Unverzeihliches demokratisches Versagen
Die Digitalisierung der Überwachung, die Automatisierung des Überwachungssysteme stellen eine nie dagewesene technische Revolution dar, die unsere Gesellschaft für immer verändern wird. Die Empörung der europäischen Regierungen darüber ist angesichts eigener Pläne für den umfassenden Überwachungsstaat bestenfalls Heuchelei. Dass der britische Geheimdienst mit «Tempora» ein eigenes Internetüberwachungssystem aufgebaut hat und auch der französische Geheimdienst daran arbeitet, sind weitere Belege für eine Verlogenheit, die das Vertrauen in die europäischen Demokratien auf einen Schlag beendet. Dass die Regierungen ihren Bürgerinnen und Bürgern gezielt verheimlicht haben, wie sie überwacht werden, ist ein unverzeihliches demokratisches Versagen.
Den Medien, die sich selber gerne als «Wachhunde der Demokratie» verkaufen, kommt in diesem historischen Demokratieversagen westlicher Rechtsstaaten eine entscheidende Rolle zu. Ihr eigenes Versagen wiegt deshalb um so schwerer.
Snowden dominiert die US-Berichterstattung
Unter dem Titel «How Snowden became a bigger story than the NSA Spying» lieferte die «Washington Post» mit einem Blick in «Google Trends» den Beweis für das Versagen der US-Medien. Gibt man im Google-Analysetool die Suchbegriffe «Snowden» und «Prism» ein, ergibt sich ein erschreckend klares Bild: nur gerade zwei Tage lang interessierten sich die Journalisten für das enthüllte Überwachungsprogramm der Regierung. Als sich Snowden am 9. Juni als Whistleblower zu erkennen gibt, drückt das Interesse an seiner Person das eigentliche Thema bis Ende Juni fast komplett aus der Berichterstattung.
Ein weiteres Indiz dafür, dass Snowden statt Prism die Schlagzeilen dominiert, liefert «Google News»: dort finden sich per Ende Juni 628 Millionen Treffer zu Snowden und nur 235 Millionen zu Prism.
Angesichts dieses letztlich wenig überraschenden Resultats im Medienzeitalter der totalen Personalisierung muss man wohl jedem künftigen Whistleblower ins Manual schreiben: unbedingt anonym bleiben! Snowdens gut gemeintes Offenbarungs-Interview, das die gesellschaftliche Bedeutung seiner Informationen unterstreichen sollte, hat die Aufmerksamkeit weg von den Enthüllungen auf den Enthüller gelenkt. Nicht in jedem Fall ist das allerdings auch falsch: die Jagd der USA auf den «Verräter», die diplomatischen Verwerfungen, die dadurch ausgelöst werden, und Snowdens verzweifelte Suche nach Asyl, wirken wie ein Kontrastmittel im Operationssaal: der erstaunte Bürger kann seinem Staatswesen live dabei zuschauen, wie es sich bei der Verteidigung seiner Grundrechte verhält - und reihenweise versagt. Ähnliches gilt für die Medien: Wenn Journalisten etablierter Medien gegen Whistleblower Snowden wettern, der offen gelegt hat, was Aufgabe der Medien gewesen wäre, ist das ein tiefer Einblick in die Haltung einer Publikation und manchmal auch nur in verletzte Journalisten-Egos.
Und die Schweizer Medien?
Ein systematischer Blick in die Schweizer Presse bestätigt die Ergebnisse der Google-Medienanalyse in den USA tendenziell. Hier die Aufstellung der Berichterstattung über die Überwachungsprogramme durch die Geheimdienste im Zeitraum vom 6. bis 30 Juni 2013 in den wichtigsten Schweizer Tageszeitungen:
Aargauer Zeitung: 29 Artikel zu Snowden («Snowden spielt Katz und Maus», «Snowden will nach Ecuador», «Snowden sitzt am Moskauer Flughafen fest»), 9 zu Prism («Auf dem Weg zum Schnüffelstaat?»), 1 zu Tempora (Codename des britischen Geheimdiensts für Überwachung der Glasfaserkabel), 0 zum Büpf (Bundesgesetz zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs) und NDG (Nachrichtendienstgesetz), die derzeit vom Schweizer Parlament überarbeitet werden).
Basler Zeitung: 26 Artikel zu Snowden («Snowden über die Schweiz», «Snowden will in Hongkong bleiben», «Snowden will offenbar nach Hause»), 9 über Prism («Das lange Ohr Amerikas überrascht die Welt nicht - fünf Auslandkorrespondenten der BaZ schildern, wie der Abhörskandal in ihren Regionen aufgenommen wird»), 2 über Tempora, 0 zu Büpf/NDG.
Berner Zeitung: 20 Artikel zu Snowden (darunter der interessante Kommentar: «Wir lieben den Verrat und Verachten den Verräter»), 2 zu Prism, 0 zu Tempora, 0 zu Büpf/NDG.
Bund: 37 Artikel zu Snowden («Snowdens Erwachen in Genf», «Wikileaks bietet Snowden Hilfe an», «Verwirrspiel um Snowden»), 10 zu Prism («Gute Geschäfte mit dem Überwachungsstaat»), 3 zu Tempora, 0 zu Büpf/NDG.
Blick: 24 Artikel zu Snowden («Spion Snowden mag die Schweiz nicht leiden!»), 5 zu Prism (»So überwachen uns die US-Spione», «US-Spionage-Angriff: Jetzt muss Maurer antraben!»), 1 zu Tempora, 0 zu Büpf/NDG.
Luzerner Zeitung: 20 Artikel zu Snowden («Ich habe nichts falsch gemacht», «Snowden offenbar noch in Moskau», «Schweizer Schutz für Informant?»), 3 zu Prism, 0 zu Tempora, 1 zu Büpf/NDG (inklusive einem Kommentar).
Neue Zürcher Zeitung: 29 Artikel zu Snowden («Wie viel wusste Snowden?», «Rätselraten um flüchtigen Agenten Snowden», «Hongkonger Belehrungen an die USA»), 19 zu Prism, 3 zu Tempora, 0 zu Büpf/NDG.
Tages-Anzeiger: 45 Artikel zu Snowden («Snowdens Erwachen in Genf», «Snowden sucht das Weite», «Snowden lästerte über die Schweiz»), 10 über Prism, 5 über Tempora («Britische Spione lesen Schweizer Emails»), 0 zu Büpf/NDG.
20 Minuten: 12 Artikel zu Snowden («Snowden: Ich bin weder Verräter noch Held»), 1 über Prism, 0 zu Tempora, 0 zu Büpf/NDG.
Blick am Abend: 21 Artikel zu Snowden («Snowdens hübsche blonde Gefährtin», «Snowdens Freundin: Bin so allein!», «Snowden: Schweizer Frauen sind flach wie Fernseher»), 4 zu Prism, 0 zu Tempora, 0 zu Büpf/NDG.
Eine vertiefte Ausdehnung der Analyse auf Wochen- und Sonntagszeitungen sowie Internetportale wäre wünschenswert. Aufgefallen sind: die TagesWoche mit einem Kommentar zum Büpf («Böse USA, gute Schweiz»), die Schweiz am Sonntag mit einer Recherche über den Widerstand der Telekomfirmen gegen Überwachungsdienstleistungen an den Staat und einem Essay über «Post Privacy», die SonntagsZeitung mit der Recherche über das Versagen der Schweizer Spionageabwehr.
Das beste Erklärstück darüber, wie die Überwachung konkret funktioniert und was die Geheimdienste heute bereits alles können, lieferte die «Zeit» hier: «Jäger im Datendschungel».
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DOSSIER: «Schutz der Privatsphäre»
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Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors
keine
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5 Meinungen
Letztendlich dient der ganze Spuck mit dem alles und jeden zu überwachen wollen, zu noch mehr direkte, wie indirekte Kriege und zu noch mehr Ausgrenzungen in dieser Welt.
Viel Schaden kann uns die Art der Auswertung bringen, sind das doch alles Menschen, die das machen und reine sachliche Objektivität ist nun mal ein seltenes Gut.
Zu einer absoluten Katastrophe kann das führen, wenn dann noch Massnahmen auf Grund der Auwertungen ergriffen werden.....
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