Sperberauge

Recht ersetzt niemals Moral

Christian Müller © zvg

Christian Müller /  Andere zu kritisieren, ist immer gut. Über die gleichen Sünden im eigenen Haus schaut man lieber hinweg.

«Das Recht ersetzt nicht die Moral», so stand es in grossen Lettern oben auf Seite 21 in der «Schweiz am Wochenende». Pascal Hollenstein, der «Leiter Publizistik von CH Media», der Herausgeberin der «Schweiz am Wochenende», nahm den Fall Jolanda Spiess-Hegglin zum Anlass, um über die notwendige Trennung von privatem und öffentlichem Interesse zu schreiben.

Zitat: «Der Anwalt Ringiers hat sich zur Aussage verstiegen, wenn politische Opponenten sexuellen Kontakt hätten, so sei das von öffentlichem Interesse. Mit Verlaub: Je nachdem, was nun in jener Nacht geschehen ist, ist das entweder eine erbärmliche Verhöhnung oder aber eine bemerkenswert dümmliche Generalaussage. Auch Politiker müssen es sich nicht gefallen lassen, dass der Boulevard unter die Bettdecke leuchtet. Sensationslust und Voyeurismus mögen menschlich sein; als Leitfaden für die Berichterstattung taugen sie aber nicht.»

Die Schlussfolgerung von Pascal Hollenstein lautete: «Am Ende aber, auch das ist klar, ersetzt das Recht niemals die Moral. Und schon gar nicht das geschulte Urteilsvermögen eines qualitativ hochwertigen Journalismus. Auch dies macht ihn wertvoll und unersetzlich.»

Schade, dass Pascal Hollenstein bei seinen Ausführungen einen anderen, mindestens ebenso eklatanten Fall von Verletzung der Privatsphäre eines Politikers in der Schweiz unerwähnt liess: die Veröffentlichung der sogenannten Selfie-Affäre des damaligen Badener Stadtammanns und grünen Nationalrats Geri Müller. Dabei ging es sogar nur um einen Politiker, nicht um zwei politische Opponenten, die involvierte Frau war keine Politikerin. Das Ziel der Veröffentlichung war transparent: Geri Müller sollte politisch abgeschossen werden, was mit einiger Verzögerung bei den Neuwahlen in Baden dann auch erreicht wurde. Verantwortlich für diese krasse Verletzung der Privatsphäre war der damalige Chefredaktor der «Schweiz am Sonntag», Patrik Müller, der jetzt Chefredaktor der – zwischenzeitlich umgetauften, weil schon am Samstag erscheinenden – «Schweiz am Wochenende» und in dieser Position eben diesem Pascal Hollenstein hierarchisch direkt unterstellt ist.

So passt alles wieder zusammen: Pascal Hollenstein kritisiert den «Blick» im Fall Spiess-Hegglin. Der «Blick» wird ja vom Medien-Konzern Ringier herausgegeben, da darf durchaus kritisiert werden. Und er erwähnt eine ebenso problematische, ja noch krassere Publikation mit keinem Wort, weil sie im – durch Zusammenlegung – jetzt eigenen Haus erfolgte.

Das so zu machen, ist natürlich Hollensteins «Recht». Wie aber steht es mit Hollensteins «Moral», die durch «Recht» nicht ersetzt werden kann? Ist es das, was Pascal Hollenstein unter «qualitativ hochwertigem Journalismus» versteht?


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