Kommentar

kontertext: Wer ist des Feminismus’ würdig?

Ariane Tanner © A.T.

Ariane Tanner /  Am 8. März wurden im «Tages-Anzeiger» den Frauen zünftig die Leviten gelesen und neue ideologische Grenzen gezogen.

Faule Ausreden lassen die beiden Journalistinnen Michèle Binswanger und Bettina Weber jetzt einfach nicht mehr gelten. «Wir räumen mit dem Feminismus auf» war der Titel ihrer Gardinenpredigt zum Weltfrauentag 2019 (Tages-Anzeiger 8. März). Darin orteten sie die Wurzel allen Übels: Die Frauen sollten endlich mal die «Ärmel hochkrempeln» und aufhören, ihr Fernbleiben vom Arbeitsmarkt mit den Strukturen oder einer unglücklichen Verkettung von Umständen zu erklären. Gerade was den ‘anderen’ unter den Umständen betrifft, ist den beiden Autorinnen eine Gattung Frau besonders ein Dorn im Auge: «Die Tatsache, dass sich eine fortgepflanzt hat, wird vor sich hergetragen wie ein Schild: Die Mutterschaft nicht als eine Facette des weiblichen Daseins, sondern als Definitionsmerkmal, als USP, als Auszeichnung und letztlich als Erlaubnis und Entschuldigung dafür, allenthalben Sonderbehandlungen einzufordern, erinnert nicht nur angenehm an das Mutterkreuz, das die Nazis an besonders gebärfreudige Frauen verliehen haben. Und ist ein Affront gegenüber all jenen Frauen, die dafür kämpften, dass unsereins nicht auf den Uterus reduziert oder aufgrund der Reproduktionsfähigkeit bemessen wird. Aufhören, bitte.»
Kritik, so ein grundlegendes Anliegen im Artikel, müssten sich die Frauen gefallen lassen, sozusagen als Schritt in die Mündigkeit. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden. Ich bezweifle aber, dass uns geholfen ist, wenn Schwangere – die nicht zuletzt mangels vorgeburtlichem Mutterschutz mit schwer vor sich hergetragenem Bauch – auf irgendeine Weise (und schon gar nicht in der Formulierung «nicht nur angenehm») mit dem Mutterkreuz der Nazis in Verbindung gebracht werden. Mir persönlich geht auch das Bedürfnis ab, darüber zu urteilen, ob eine Frau nun ‘zu Recht’ oder ‘zu Unrecht’ stolz auf ihr Mutterwerden oder wegen Schmerzen in der Schwangerschaft auf Rücksichtnahme angewiesen ist.

Werdende Mamas sind aber nicht das einzige Feindbild, das die beiden Autorinnen aufbauen. Da wäre zum Beispiel auch die Frau, die mit der Heirat den Namen ihres Mannes annimmt, was fast der grösste unter den möglichen Fauxpas zu sein scheint: «Er (der Feminismus) ist kein A-la-carte-Menü, aus dem man auswählen kann, was einem gerade passt. Er verlangt Haltung und Konsequenz und dass man den eigenen Namen behält nach der Hochzeit. Weil: Töchter brauchen Vorbilder, kein Geschwätz.» Nur «ehrlich» wäre es, so Binswanger/Weber, wenn diese Frauen einfach mal reinen Wein einschenkten und zugeben würden, dass sie schlicht zu wenig Schneid für den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt hätten und sowieso lieber alles beim Alten liessen.
Über die Sache mit dem Nachnamen von verheirateten Frauen schrieb Bettina Weber, bekannt für ihre liebevoll und elegant gepflegte Stilrubrik im Tages-Anzeiger, bereits zum Weltfrauentag vor einem Jahr («Frauen, wo ist euer Stolz?»). Bei diesem Thema wurde alsbald klar, dass der Vorrat an Humor, der in ihrer Stilrubrik stets als höchste Tugend hochgehalten wurde, aufgezehrt ist. Wo sollte man denn die gesuchten Frauen für Führungspositionen herbekommen, «wenn sich der weibliche Stolz nicht selten darin erschöpft, den Namen des Gatten zu tragen?» fragte sie damals. Hier wäre aber auch einmal darüber nachzudenken, welche Wahlmöglichkeiten den meisten Frauen offen stehen, wenn sie sich nicht mit dem Nachnamen in die patriarchale Linie des Gatten einreihen. Dann behalten sie den Familiennamen des Vaters, was auch als Fortführung einer patriarchalen Linie interpretiert werden kann. Zudem ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Wahl des Nachnamens weder mit Stolz noch mit Abstammung noch mit einem politischen Statement zu tun hat: Für eine Frau mit Nachnamen «Klötzli» oder «Angst» könnte sich durch die Ehe mit einem «Rotondo» oder «Gut» eine willkommene Möglichkeit bieten, die Akustik oder Semantik ihres Namens zu ändern.

Für die beiden Journalistinnen jedenfalls scheint bei dieser Sparte Frau jegliche politische Mobilisierung vergebliche Liebesmüh’. Echte Sorge bereitet ihnen darüber hinaus, dass sich die ernstzunehmenden Feministinnen in einem «Zickenkrieg» verzettelten. «Es gibt fast genauso viele Auffassungen von Feminismus, wie es Feministinnen gibt. (…) Da machen sich Frauen gegenseitig die Eignung zur Feministin streitig, weil sie mit der inhaltlichen Ausrichtung der anderen nicht einverstanden sind.» Das führe mitunter zu «beschämenden Szenen» wie vor einem Jahr bei der Eröffnung des Barbie-Hauses in Berlin, als die «Feministinnen gegenseitig aufeinander losgingen». Binswanger/Weber finden jedoch eine Eigenschaft, an der sich alle orientieren könnten: «Die Lösung wäre, sich auf eine möglichst einfache Definition zu einigen. Etwa, dass Feminismus bedeutet, als Frau über die eigenen Geschlechtsorgane verfügen und sich dafür einsetzen zu wollen.» Ohne sich jetzt in anatomischen Detailfragen über die primären, sekundären und tertiären Geschlechtsmerkmale verlieren zu wollen, wirkt die Argumentation an diesem Punkt unfreiwillig zirkulär: Gerade eben noch war die Biologie (Fortpflanzung, Reduzierung auf den Uterus) eine negative Referenz, um im nächsten Augenblick als das einzige einende Band zwischen Frauen aufzutauchen.

Der Artikel von Binswanger/Weber trat an, einen «Beitrag zur Beschleunigung und Versachlichung der Diskussion» zu leisten. Die Journalistinnen wollten beim Grossreinemachen auch die toten Winkel ausleuchten, öffneten jedoch durch ihre klaren Auffassungen von ‘richtigem’ und ‘falschem’ weiblichen Verhalten und von ‘echtem’ und ‘unechtem’ Feminismus der Ideologie die Hintertür. Zielführender ist es, für die Vielfalt der Biographien zu plädieren, analog dazu, wie auch Binswanger/Weber im gleichen Artikel die Regenbogenfamilien als leuchtendes Beispiel anführen, weil diese nicht in den klassischen Mann-Frau-Kategorien aufgehen und neu über die Aufteilung der Arbeit und der Kinderbetreuung nachgedacht werden muss. Denn wenn wir etwas in den letzten Jahrzehnten durch die Debatten über Feminismus, Gender, LGBTQ gelernt haben, dann dies, dass es eben erfrischend verschieden ist, wie Leben und Abschnitte davon gelebt werden.


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Ariane Tanner ist Historikerin und Texterin aus Zürich.

    Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Matthias Zehnder.

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4 Meinungen

  • am 18.04.2019 um 13:42 Uhr
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    Liebe Frauen, ihr seid die Mütter von Bald 8 Milliarden Menschen auf Erden und ihr habt dabei ganz schön gelitten. 80 Millionen ungewollte Kinder/ Jahr (Quelle WTO), ja, das ist wahrlich «Reduzierung auf den Uterus». Zeit, dass ihr euch emanzipiert. Werdet Feministinnen im Sinne von Svenja Flasspöhler in «Die potente Frau» (Ullstein). Dann haben eure Peiniger, die Männer, keine Chance mehr.

  • am 23.04.2019 um 12:41 Uhr
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    Zu den bekanntesten Völkern mit matriarchalischer Gesellschaftsform gehörte der indigene Stamm der Irokesen im heutigen Amerika. Die Verwaltung des kollektiven Reichtums war einer Gruppe von älteren Frauen bestimmt. Sie genossen dadurch grosse Macht und die Männer und Frauen waren gegenseitig Abhängig. Die gegenseitigen Abhängigkeiten schützte die Frauen vor institutioneller Unterdrückung.

    Daraus schliesse ich, dass nicht die Abhängigkeit der Frau vom Manne zur Unterdrückung der Frau in der westlichen Gesellschaft führte, sondern die Unabhängigkeit des Mannes von der Frau. Die ethn. Forschung zeigt sehr deutlich, dass eine Gesellschaft welche auf gegenseitiger Abhängigkeit beruht, gerechter funktioniert als eine Gesellschaft welche auf Unabhängigkeit beruht.
    Das was heute als Feminismus bezeichnet wird, ist für mich lediglich eine Inklusion der Frau ins aktuelle patriarchalische System. Anstatt die unterdrückenden Mechanismen des patriarchalischen Kapitalismus zu überwinden, soll sich auch die Frau ihm unterwerfen und ihre Identität, ähnlich wie es der Mann heute bereits tut, als Arbeiterin definieren: «Ich bin Journalistin», «Ich bin Sanitärinstallateurin», … Beschreiben patriarchalische Männer das Ideal der Frau als Gebärerin, bezeichnen patriarchalische Frauen das Ideal der Frau als Arbeiterin.

    Ich bin für die Befreiung von Herrschaft und für mehr Abhängigkeit und Solidarität untereinander.

    Infos:
    https://www.wildmohnfrau.at/feminismus.html

  • am 23.04.2019 um 19:45 Uhr
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    Ich habe den Familiennamen meines Gatten angenommen, weil ich mit der meinigen abschliessen wollte und wer glaubt, dass durch verbissenen Feminismus die Welt gerechter oder besser wird, darf meinetwegen auch an den Storch glauben.
    Ich jedenfalls habe den Tagi abbestellt, nachdem die eine der beiden Damen in diesem von sich gab, sie habe sich unterwegs mit den ÖV vor all diesen ungepflegten und schlecht angezogenen Mitreisenden geekelt und sich gefragt, wie die Menschheit sich überhaupt vermehren könne.
    Da bleibe ich doch lieber rückständig.

  • am 24.04.2019 um 13:11 Uhr
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    Für den treffsicheren Kommentar von Herrn Stöckli möchte ich mich herzlichst bedanken. Mehr gibt es zum Thema eigentlich nicht zu sagen.

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